„Die Gitarren sind nicht so zufrieden mit der Wärme“, scherzt Ólöf Arnalds in radebrechendem Deutsch über die Temperaturen im Hamburger Imperial Theater. In Island sind die Musikerin und ihr Instrument andere klimatische Verhältnisse gewöhnt, denn hier, zwischen der verstaubten Bühnekulisse, die sonst für mottenzerfressene Edgar Wallace Inszenierungen herhält, steht die Luft. Aber nicht lange, denn mit den entrückt akustischen Songs der Isländerin verwandeln sich auch die dichtesten Partikel in federleichte Harmonien. Und warm, ja warm wird es hier noch öfters werden.
190 Bands in drei Tagen in allen möglichen und unmöglichen Clubs rund um die Reeperbahn; im fünften Jahr
zählt das Reeperbahnfestiva
im fünften Jahr zählt das Reeperbahnfestival zu den größten Clubfestivals Deutschlands. Der Austragungsort „sündige Meile“ tut sein übriges. Für Kiez-Bräute wie mich sind Neonreklamen und Striplokale allerdings weniger eine Ablenkung, weshalb ich es auf immerhin 30 Bands in diesen drei Tagen bringe. Das gelingt auch deshalb, weil sich erschöpfte Reeperbahnbesucher in der kleinen St. Pauli Kirche von der meditativen Wirkung diverser leise produzierender Musiker, wie der Hamburgerin Mohna, einfangen lassen können. Allerdings, entgegen der betörenden Zartheit auf Platte, wirkten Mohnas Songs live durch die biedere Präsenz ihrer Interpretin etwas angestrengt. Es mag Schüchternheit oder Lampenfieber sein, die Mohna immer etwas betreten zu Boden schauen oder verschämte Schlucke aus ihrer Wasserflaschen trinken lassen. Daran ändert auch der Auftritt ihrer Mitstreiter, Marina und Sebastian nichts, obwohl diese die brüchige Färbung in Mohnas Gesang und Pianospiel durch Akkordeon und Miniaturschlagzeug abdichten. Eine ungewöhnliche Konzert-Location ist nicht nur die kleine St. Pauli Kirche, auch eine Haspa-Filiale, einen Strip-Club und ein leer stehendes Grundstück haben die Festivalmacher ausgespäht. Für die meisten Indie-Acts ist das eine spannende Sache, auch wenn die klassischen Clubs wie das Docks, Indra oder die Hasenschaukel den meisten Künstlern doch besser zu Gesicht stehen als die etwas ausgefallenen, sporadischen Bühnen. Als früher Hauptgewinn für das Docks stellt sich Donnerstagabend der Auftritt von Selah Sue heraus. Die Belgierin wird mit dem Satz angekündigt, „Selah ist es gewöhnt, dass die Leute tanzen“ und tatsächlich, schon der Opener der 21-Jährigen lässt die Leute wippen und grooven. Wo Erykah Badu und India.Arie auch spirituelle Elemente in ihre Songs betonen, greift Selah Sue auf Ragga Riddims zurück, die nicht selten an die spoken word performances einer Ursula Rucker erinnern. Im halb gefüllten Saal wird es jedenfalls schnell enger und Selah Sue, die hauptsächlich an der Akustikgitarre agiert, wird von einer enthusiastisch spielenden Band begleitet. Ich bin schwer begeistert. Ein bisschen ruhiger wird es im Anschluss bei Marie Fisker, die in Angie’s Nightclub spielt. Die Dänin hat im vergangenen Jahr in ihrer Heimat ihr Debüt „Ghost of Love“ veröffentlicht: Träge treibender Bluesrock, der düster statt wild und dumpf statt krachend ist. Ein bisschen Country, ein bisschen Noir, Marie Fisker passt perfekt in das rauchige Halbdunkel des Jazzclubs. Ebenfalls in Angie’s Nighcub spielen in den folgenden Tagen noch weitere tolle Frauenacts. Zum Beispiel Boy, ein Hamburger Singer/Songwriter-Duo, hinter dem trotz des irreführend männlichen Bandnamens zwei Frauen stecken. Mit ihrem klaren Songwriting erzählen sie Geschichten, die nicht selten vom eigenen Leben inspiriert sind. Zum Beispiel über den Umzug der einen Boy-Hälfte Valeska Steiner von der Schweiz nach Hamburg: Die Mama hat die Möbel in den Kofferraum gepackt und dann wurde die ganze Autofahrt lang Mixtapes. Abschied und Neubeginn, traurig und schön zugleich – so flimmert hier der filigrane Pop. Bereits am Tag zuvor spielt Hannah Georgas im eisblauen Kittelkleid mit gestreiften Pumps. Und das obwohl der Sound der Kanadierin zwar ansprechender aber auch sehr eingängiger Pop ist. Hat mich ein bisschen an das erste Album „Eye to the telescope“ der Britin KT Tunstall erinnert. Verpasst habe ich leider Kat Frankie und Barbara Panther, die beide ganz hervorragende Auftritte absolviert haben sollen und bewiesen, dass sich der Ausflug auf die Reeperbahn auch vor 20 Uhr lohnt. Die Belgierin und Wahlberlinerin Panther und ihr Elektro-Synthie-Rock sind derzeit ein Thema, das man im Augen behalten sollte. Der Berliner Radiosender Radio Eins nennt die Mischung aus aus Grace Jones, Laurie Anderson und Björk „brodelnd“. Stattdessen hing ich wartend vor der Hanseplatte rum, einem Schallplattenladen im Schanzenviertel, der direkt neben dem legendären Club Knust und dem Kreativ-Büro-Haus von Labels wie Grand Hotel van Cleef liegt. Dort in der Hanseplatte sollten Clara Bow spielen, die aber auf sich warten lassen, ohne ihre mehr als halbstündige Verspätung überhaupt zu erklären. Dass sich das vermeintliche Riot-Girls-Trio sowieso nicht lohnte, kommentierte meine Kollegin Chris Köver später noch im Blog vom Missy Magazine. Vielleicht war dieses Versäumnis auch mein Glück, denn so konnte ich noch den Schlenker ins Übel Gefährlich machen, wo Lonelady sehr bemerkenswert auf ihre Gitarre eindrosch. Wirklich enttäuscht war ich leider von dem Auftritt von Lydia Daher. Und das obwohl die Bekannte, die ich im Beatlemania, wo Daher auftrat, traf, ganz begeistert von ihrem selbstbetitelten Debüt ist. Am 15. Oktober kommt das zweite Album „Flüchtige Bürger“ und vielleicht stimmt es, dass es nicht jeder Musikerin und nicht jedem Musiker gelingt, live genauso zu überzeugen wie auf Platte.