Daten ohne Sound

Musik-Kolumne Netz ohne Noten? Auf der re:publica wurde kaum über Downloads und den Wandel der Musikindustrie geredet. Wenigstens hielten die Live-Konzerte in Berlin, was sie versprachen

Es ist die Abschlussveranstaltung der diesjährigen re:publica in der Berliner Kalkscheune.

Im Hof drängeln sich zum ersten Mal in den vergangenen drei Tagen die TeilnehmerInnen ohne Regenschauer und hinterhältigen Fröstelwind. Aber auch ohne die laue Abendluft, hält man sich hier besser im Freien auf, denn drinnen tobt sich Nilz Bokelberg als DJ aus: Mit so großartigen Dancefloorburnern wie „Verdammt ich lieb dich“ von Matthias Reim.

Sag mal, geht’s noch?! Und überhaupt, wieso findet die „Die Konferenz über Blogs, soziale Medien und die digitale Gesellschaft“ weitgehend ohne Veranstaltungen über „Musik und Internet“ statt. Schließlich jault die Musikindustrie schon seit mehr als einem Jahrzehnt rum, das Internet hätte sie kaputt gemacht.

Statt spannender Panels über tolle Musikblogs wie popkontext, Drei Minuten oder munitionen gibt es Langeweile: Andrea Goetzke von der Berliner Musikmesse all2gethernow moderierte ein mäßig spannendes Panel über die Richtung, die Musik als Teil der digitalen Kultur einschlagen sollte. Wem da nicht die Tanzbeine einschlafen wollten, der musste sich genauer im re:publica-Treiben umschauen oder doch einen Blick auf die Blogs der SpeakerInnen werfen, in denen – ungeachtet der regulären Themenbesetzung – durchaus Musik stattfindet.

Carolin Neumann, die zusammen mit Sanja Stankovic, über Datenkraken und Internettaten referierte, stellt auf ihrem Blog regelmäßig tolle Musik vor. Zum Beispiel die Amerikanerin Sharon van Etten.

Über van Etten schreibt Neumann: „Sehnsüchtig wie Julia Stone haucht die amerikanische Songwriterin Sharon van Etten ins Mikrofon. Ihre Songs liegen irgendwo zwischen durchaus radiotauglichem Pop und melodischem Folk, und so variiert auch ihre Stimme, die nie die einer Popsängerin ist, aber auch nicht ganz so bizarr klingt wie bisweilen die der schon genannten Australierin Stone.“

Neumans Kollegin Kathrin Kaufmann, im Netz als Kommander Kaufmann unterwegs, macht auch alles richtig: Sie verbindet die re:publica mit einem Interview mit den Franzosen von Hermann Dune, deren neues Album Ende Mai erscheint.

Ein paar Tage zuvor machte Kaufmann außerdem Blog-Werbung für das Sextett The Head and the Heart, das unabhängig von der re:publica ein kleines exklusives Konzert im Berliner Ballhaus spielte.

Ich muss zugeben: Da wäre ich auch gerne bei gewesen. Stattdessen hing ich mit der re:publica-Gang ab, konnte aber im Tagesspiegel nachlesen, dass der Gig „ein Gewinn“ war und die Band ihre „Mission erfüllt“ hat.

Auch andere Panel-Teilnehmerinnen pfeifen in ihren Blogs immer mal wieder eine Melodie. Egal ob happyschnitzel „Chandeliers“ von Summer Fiction postet, Miss Caro Azure Ray verlinkt, oder flannel apparel auf das SXSW-Festival hinweist ohne Musik kommt die Blogosphäre nur schwer aus.

Das hat sich auch Annina-Luzie Schmid gedacht und ihren Vortrag über Netzpoesie mit einem absolut großartigen Song von Hans Unstern beendet.

Auch Kübra Gümüsay, deren Blog ein fremdwörterbuch sich vor allem mit Politik, Gesellschaft und der Rolle des Islam in eben dieser beschäftigt, kommt nicht ohne Musik aus. Nachdem sie auf der re:publica stetigem Blitzlichtgewitter ausgesetzt war, widmete sie ihren anschließenden Blogeintrag den gesungenen Wörtern.

Und selbst die Mädchenmannschaft, für dessen Feminismus ich die Musik eher hinten anstelle, zeigt jede Woche einen Hipshaker im Samstagabendbeat. Am re:publica-Wochenende übernahmen hooker diesen Job mit einem Cover von „heard it through the grapevine“; zusammen mit Viv Albertine von The Slits. Ein Fest!


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Geschrieben von

Verena Reygers

Musikfetischistin, Feministin, Blames it on the Boogie

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