Leichtfüßig läuft Angela Winkler durch die Lobby des Hamburger Maritim Hotels. Wenn man sie so sieht, denkt man weder, dass die Schauspielerin schon das Rentenalter erreicht hat, noch dass sie gerade erst ihr Debütalbum veröffentlicht hat. Die 67-Jährige wirkt, als würde sie abends vielleicht auf eine Studenten-Party gehen. Aber vielleicht ist das auch wieder nur diese Katharina-Blum-Assoziation, dass man eigentlich erwartet, Angela Winkler auf einer Party kennenzulernen. Zur Begrüßung lacht sie herzlich.
Der Freitag: Frau Winkler, freuen Sie sich, mal von einer jungen Frau interviewt zu werden? Befragen Sie sonst nur gealterte Feuilletonisten?
Angela Winkler:
Das ist schon oft der Fall. Gestern hat mich einer der Herren gefragt, ob ich Sport treibe, um mich fit zu halten.
Sie renovieren mit Ihrem Mann Häuser. Das ist doch wie Sport.
Das stimmt. Wir haben sechs Häuser aufgebaut. Was für eine tolle Überschrift wäre das: „Sie renovieren Häuser“.
Lassen Sie uns über solche Alltagsthemen sprechen, statt intellektuell Brecht-Theorien auszutauschen.
Gut, denn von denen habe ich auch gar keine Ahnung.
In dem Infotext zu Ihrem Album
Ach ja? Das ist mir gar nicht so aufgefallen, und es stimmt doch so auch gar nicht. Das ist doch nur ein Aspekt meiner Person. Und es wundert mich, dass man das heute noch sagt. Früher ja, da hieß es oft, ich sei mädchenhaft oder naiv. Aber heute heißt es eher, ich sei „zeitlos“. Und dass ich noch eine junge Stimme habe.
Sie sind seit Langem eine erfolgreiche Schauspielerin, vierfache Mutter – man könnte sagen, durchaus eine gestandene Frau.
Ja, mit „mädchenhaft“ kann ich mich auch nicht identifizieren. Bis wann ist man heute eigentlich ein Mädchen? Gut, in meinem Alter sind die Menschen normalerweise in einem festen Umfeld, haben ihr Haus oder ihre Wohnung und wollen da gar nicht mehr raus. Sie sind von links bis rechts organisiert. Okay, es gibt natürlich auch welche, die schon ganz jung mit der Aktentasche herumrennen. Aber im Allgemeinen ist es doch so, dass man erst, wenn man älter wird, seine vier festen Wände um sich hat.
Wie ist das bei Ihnen?
Das versuche ich zu vermeiden. Das heißt, dass man offen ist für das, was das Leben bietet, und sich nicht zumacht. Aber das heißt nicht, dass man ein „Mädchen“ ist.
Über eine erwachsene Frau zu sagen, sie sei „mädchenhaft“, heißt ja auch, sie kleinzumachen.
So streng sehe ich das nicht. Ich wollte nie mädchenhaft sein, ich wollte immer anders sein. Ich war früher sehr scheu. Da haben viele gedacht, ich sei naiv, aber das war ich nicht. Zum Beispiel haben die Männer immer geglaubt: „Ach, die kannst du leicht knacken, die sieht so schutzbedürftig aus.“ Das ist es ja, was Männer anzieht. Ich strahlte immer dieses Die-muss-man-beschützen aus. Das ist auch eine Typ-Frage. Nur ist man dann gleich in einer Schublade drin. Also wurde ich immer für die Jugend- liche, die Naive besetzt. Da habe ich mich dann aber auch gewehrt.
Und zwar wie?
Nach der Rolle der Katharina Blum habe ich immer so Katharina-Blum-Angebote bekommen. Die wollte ich aber alle nicht. Ich wollte andere Sachen machen, in Western mitspielen, in Komödien. Das hat man mir nur nie angeboten, also habe ich Theater gemacht.
Hat das nicht auch damit zu tun, dass Frauenrollen einfach oft als mädchenhaft und zurückhaltend inszeniert werden?
Männer haben das gerne, ja. Und bei mir war der Beschützerinstinkt schnell da. Als junge Frau war ich sehr neugierig und lebenslustig, sodass ich oft in die dollsten Situationen reingeraten bin. Da bin ich aber auch ganz fix wieder raus, wenn es brenzlig wurde.
In welchen „dollen Situationen“ sind Sie denn abgehauen?
Na, das war doch damals die Zeit, wo man zu dritt und zu viert ... Uschi Obermaier und so. Ich war mittendrin in dieser Zeit, aber ich bin dann doch lieber immer wieder weg.
Wenn Uschi Obermaier gesagt hätte: „Komm, Angela, zieh zu uns in die Kommune 1 ...“
... wäre ich neugierig mitgegangen. So habe ich es auch gemacht. Und als es dann so weit war, dass gegrabbelt und gegrabscht wurde, habe ich gedacht: Och nö, das interessiert mich doch nicht, und bin durch die Hintertür raus – und flutsch, war ich weg. Ich kann sehr gut abhauen. Ich gehe sehr weit, und dann merke ich, ob es mich interessiert oder nicht, nach dem Motto: Die Neugierde ist befriedigt, dann bin ich weg.
Als Sie für die Hamlet-Inszenierung von Peter Zadek auf der Bühne stehen sollten, sind Sie während der Proben auch mal abgehauen. Zadek hat Sie dann zurückgeholt.
Ja, aber ich komme nur wieder, wenn ich das will. Also nicht wie ein kleines Mädchen, das immer wiederkommt. Und ich habe einen guten Riecher, welche Sachen ich annehmen will. Es heißt immer, ich hätte in meiner Karriere so viel gemacht, aber das stimmt gar nicht. Ich habe weder Kleist noch Schiller und nur einmal Goethe gespielt. Aber als Zadek damals kam, hat er mich immer in Hauptrollen besetzt, die in den Schlagzeilen waren. Deshalb dachten alle, ich hätte so viel gemacht.
(
Danke. Roter Lippenstift wird bei Frauen oft auch als ein Signal gewertet.
Als Signal? Für was? Batsch, hier bin ich? Ich habe früher keinen Lippenstift getragen. Als junges Mädchen schon gar nicht, aber in letzter Zeit tue ich das öfter. Ich habe mir auch neulich erst Ohrlöcher stechen lassen. Mein Mann hat immer gesagt, Schmuck sei für alte Frauen, und hat mir deshalb nie Schmuck geschenkt. Oft trage ich auch nur einen einzelnen Ohrring.
Senta Berger war auch im Gespräch für
Aha, das ist mir neu. Ich weiß nur, dass die Rolle der Katharina Blum über Heinrich Böll kam. Ich war damals am Theater in Castrop-Rauxel und kam durch den dortigen Intendanten an meine erste Rolle fürs Fernsehen in Der blaue Strohhut, zusammen mit Hannelore Elsner. Anschließend bekam ich eine Rolle in der dramatisierten Fassung einer Erzählung von Böll. In Ende einer Dienstfahrt spielte ich eine Barfrau.
Und dann haben Sie Böll kennengelernt?
Ja, als er zur Premierenparty kam, war das so eine besondere Begegnung. Wir gaben uns die Hand und: Batsch – das war wie bei meinem Vater. Als Schlöndorff dann die Verfilmung der Katharina Blum plante, sagte Böll, er denke für die Hauptrolle an eine bestimmte junge Schauspielerin. So habe ich die Geschichte gehört, aber sicherlich hat Schlöndorff auch andere Darstellerinnen in Erwägung gezogen.
Und die Sache mit der Schönheit?
Senta Berger sei ihm zu schön gewesen? Naja, ich war auch jung, aber immer ein bisschen schlampig. Senta Berger ist dagegen schon immer sehr gepflegt und selbstbewusst in ihrem Aussehen gewesen.
Sie hat bestimmt auch immer schon Ohrringe getragen.
Bestimmt. Als der Anruf wegen der Rolle damals kam, lebte ich in Italien ohne Elektrizität und wusch meine Wäsche am Fluss. Vielleicht passte ich deshalb besser in das Bild, das man von der Rolle hatte.
Katharina Blum wird im Laufe der Handlung ziemlich wütend, obwohl ihr das zunächst niemand zutraut. Sind Sie auch jemand, der wütend werden kann?
Ja, und wie.
Was passiert dann?
Ich könnte jemanden totschlagen, richtig draufhauen, wie verrückt. (
Zadek war auch bekannt dafür, sehr wütend werden zu können.
Zadek war laut und leise. Aber als er älter wurde, hat ihn mehr das Leisere interessiert – um dann wieder laut werden zu können. Heute ist ja eher alles laut.
Ist das eine Entwicklung beim Theater, die auch Frauenrollen betrifft?
Ich habe da noch nie so richtig drüber nachgedacht, aber wo Sie gerade fragen, ich würde sagen: nein. Zadek zum Beispiel hätte nie gewollt, dass man nur naiv ist.
Sondern?
Der wollte, dass man alles ist. Ich kam von einem Theater aus der Provinz, wo die Rollen viel stereotyper waren – wie wahrscheinlich heute noch: die jugendliche Naive, die jugendliche Raffinierte, die Alte, der Alte, der jugendliche Held. Aber damals in Castrop-Rauxel habe ich bei Zadek viel mehr ausprobieren können. Hans Dieter Schwarze hat mich zum Beispiel als Dirne in Sartre besetzt, weil er gemerkt hat, dass ich auch andere Sachen spielen kann. Im
Hat Sie das nicht geärgert?
Nein, warum? Ich mag es ja, mal dieses, mal jenes auszuprobieren. Deswegen habe ich ja auch Hamlet gespielt.
Wie sieht die Situation für Frauen hinter den Kulissen heute aus? Gibt es da eine Entwicklung?
Die findet schon eher statt. Es gibt mittlerweile doch viele Frauen, die Regie machen oder Theater leiten, Katrin Bauer fällt mir zum Beispiel ein. In Berlin gibt es gerade viele junge Regisseurinnen, die Karriere machen.
Sehen Sie diese Entwicklung auch insgesamt in der Gesellschaft?
Ich finde schon, dass sich das verändert hat. Das steht doch auch in der Zeitung und Sie sitzen zum Beispiel hier als Journalistin.
Wie sah eigentlich die Rollenteilung bei Ihnen zu Hause aus? Haben Sie und Ihr Mann Ihre Kinder gemeinsam erzogen?
Nein. Das war meine Sache, da kann ich ihm aber auch überhaupt keinen Vorwurf machen. Als ich schwanger war mit Anfang 30, da wusste ich, ich will nie heiraten. Meine Eltern haben sich wirklich geliebt. Ich dachte mir: So wie die und für immer, das kann ich nicht. Das kann ich nicht nur nicht, das will ich auch nicht – einem Mann auf ewig treu sein.
Das ist wie in dem Song „Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre“, in dem Sie singen: „Ich gehör nur mir. Ich gehör mir ganz allein“.
Das ist das Lieblingslied meiner Mutter. Das hat sie immer gesungen. Und obwohl sie meinem Vater unheimlich treu war, hat sie ihm das unter die Nase gerieben – „ich gehöre mir ganz allein“. Mein Vater ist ein Niederbayer, der meist bloß seine Ruhe haben wollte. Meine Mutter wollte oft Feste feiern.
Ihre Mutter trug wahrscheinlich auch Goldschmuck.
Ja, genau. Sie ist aber meinem Vater zuliebe, der die Natur so liebte, sogar mit beim Zelten gewesen. Und ich habe meine Mutter auch nur ein einziges Mal ausflippen sehen, als sie in einem Jahr an Silvester keine Tulpen bekam. Das war nämlich ein Ritual meiner Eltern.
Haben Sie und Ihr Mann auch solche Rituale?
Nein. Mein Mann würde sich auch gar nicht daran halten. Wir finden es aber beide schön, zu dekorieren. Wir haben immer ein offenes Haus und machen oft Feste, wo wir aus Kohlblättern oder solchen Sachen etwas basteln. Oder wir schmücken das Haus. Und wenn das Haus gerade noch eine Ruine ist, malen wir einen Baum an die Wand oder solche Sachen.
Gibt es bei Ihnen gerade mehr Häuser- oder mehr Schauspiel-Projekte?
Aktuell habe ich eine Rolle abgedreht, in der ich eine kannibalistische Bäuerin in einem Horrorfilm spiele. Wir fangen die Städter, die vorbeikommen, sperren sie in den Keller und verspeisen sie irgendwann.
So richtig mit Abschlachten?
Nein, das ist kein blutrünstiger Horror, sondern sehr viel subtiler. Hannah Herzsprung spielt auch mit, und der Regisseur ist sehr jung. Ich finde es toll, mit jungen Menschen zu arbeiten. Fatih Akin zum Beispiel macht ganz tolle Filme, auch für Ältere. Der ist jung, aber der hat so ein Wissen über Menschen. Für mich ist er einer der stärksten Regisseure. Mit dem würde ich wirklich wahnsinnig gerne mal arbeiten.
Rufen Sie ihn doch mal an.
Nee, vielleicht schreibe ich ihm einen Brief, das mag ich lieber. Ich habe nicht mal ein Handy, aber immerhin ein Faxgerät. So einen Brief zu bekommen, ist aber doch auch viel schöner.
Das Gespräch führte
Theater, Film, Musik: Angela Winklers Rollenwechsel
Vor allem mit der Rolle der Katharina Blum in der Verfilmung der Heinrich-Böll-Erzählung Die verlorene Ehre der Katharina Blum wurde Angela Winkler Mitte der 70er bekannt. Sie erhielt dafür diverse Kritikerpreise. In Die Blechtrommel (1979) überzeugte die Schauspielerin außerdem als Mutter der Figur Oskar Matzerath.
Winkler wurde 1944 im brandenburgischen Templin geboren. 1967 erhielt sie ihr erstes Engagement am Theater in Kassel, später war sie Ensemblemitglied in Castrop-Rauxel. Unter Peter Zadek spielte Winkler dann den Hamlet, später die Mutter von Peer Gynt. Zuletzt war sie im Kino in Tom Tykwers Drei zu sehen. Im Herbst läuft ihr neuer Film Hell an.
Musikalisch debütierte Winkler Anfang Juni mit ihrem Album Ich liebe dich, kann ich nicht sagen (Trocadero), auf dem sie Chansons von Edith Piaf und Barbara, aber auch Songs von Element of Crime interpretiert. Über die Chansonsängerin Barbara, die in Frankreich jeder kennt, sagt Winkler, sie habe einiges zu erzählen gehabt: Frauengeschichten, die auch immer einen gewissen Trotz haben. Wenn sie in Paris im August dem Mann sagt: Gehst du in den Süden, gehe ich in den Norden, zeigt sie, dass er nicht bedingungslos über sie verfügen kann. Privat lebt Winkler mit dem Bildhauer Wigand Witting in Berlin. Das Paar hat vier gemeinsame Kinder. vr
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