Niemand hier scheint das Klischee des von der Welt abgewandten Hippies bedienen zu wollen. Stattdessen herrscht backstage gepflegte Langeweile. Das ist bei Alela Diane nicht viel anders als bei anderen Bands, die jeden Tag die Stadt wechseln, jeden Abend woanders spielen. Die Sängerin pickt ein paar Bissen vom Buffet, der Bassist tippt auf dem Laptop, der Schlagzeuger testet die kleine Trommel. Tom Bevitori, Dianes Ehemann, hat sich einen ruhigen Raum gesucht und ebenfalls den Laptop aufgeklappt. Als seine Frau ihn für unser Interview aufscheucht, ist es aber mit seiner Ruhe vorbei. Bereitwillig macht er Platz, gibt seinen Stuhl ab und schleicht nach einigen Minuten geräuschlos aus dem Zimmer.
Der Freitag: Frau Diane, zu Ihrer Band gehören sowohl Ihr Mann als auch Ihr Vater. Wie ist es, mit der engsten Familie auf der Bühne zu stehen?
Alela Diane:
Ich finde es schön. Mein Mann und mein Vater kommen gut miteinander aus. Sie hängen auch ohne mich ziemlich viel miteinander ab. Tom, mein Mann, war auch schon in der Band, bevor wir ein Paar waren. Deshalb hatten er und mein Vater Gelegenheit, sich ganz unkompliziert anzufreunden. Ich finde es toll, dass ich mit den Menschen arbeiten und reisen kann, die mir am nächsten stehen.
Aber nervt es nicht manchmal auch, wenn man so eng aufeinander hängt?
Manchmal schon. Zumindest mein Vater nervt manchmal. Nicht mal aus einem besonderen Grund, bloß, weil er einfach mein Vater ist. Aber das ist wohl normal. Jeder ist mal von seinen Eltern genervt, und deshalb finden wir beide es nicht schlimm, dann deswegen frustriert zu sein. Aber das ist die Ausnahme, meistens läuft es einfach richtig gut.
Wie ist es mit Romantik? Gibt es so etwas zwischen Ihnen und Ihrem Mann auf Tour überhaupt?
Ich bin schon glücklich, dass er hier ist. Wenn er es nicht wäre, würde ich ihn sehr vermissen. Und jemanden zu vermissen, ist nicht romantisch – auch wenn das viele glauben. Tatsächlich ist es ein ziemlich mieses Gefühl. Früher, wenn ich ohne ihn auf Tour war, war es wirklich hart. Deshalb nutzen wir die Zeit unterwegs durchaus für schöne Dinge, indem wir mal essen gehen oder so. Aber eigentlich haben wir dafür Zeit, wenn wir zu Hause sind. Auf Tour sein, heißt halt Arbeit und keine Romantik.
In der Band-Konstellation entsprechen Sie klassischen Folk-Gruppen wie der Carter Family. Auch aktuelle Bands wie Mumford Sons oder The Avett Brothers verweisen gern auf Familienbande. Was steckt dahinter?
Vielleicht liegt es wirklich daran, dass Musik früher oft ein üblicher Bestandteil des Alltags war. Ein Alltag, in dem man zusammensaß und Musik machte. Bei uns war es auch völlig normal, mit Musik aufzuwachsen. Meine Eltern sind Musiker. Sie haben zusammen gesungen, und es gab irgendwie immer Musik im Haus. Deshalb war es für mich nicht ungewöhnlich, Musik mit meiner Familie in Verbindung zu bringen, und eher gewöhnungsbedürftig, mit anderen zu spielen.
Trotzdem sind Sie nicht gleich in die Fußstapfen Ihrer Eltern gestiegen. Sie haben erst mit etwas Abstand die Musik für sich entdeckt.
Es war mir immer etwas suspekt, was meine Eltern machten. Ich
war mehr mit Kunst und Malerei beschäftigt und habe erst mit 19 angefangen, Songs zu schreiben. Allerdings ist meine Mutter auch noch Malerin. Aber als ich mit der Musik anfing, war ziemlich schnell klar, dass es mir liegt. Also bin ich dabeigeblieben und der Erfolg hat sich dann auch rasch eingestellt.
Stört es Sie eigentlich, dass Sie als Musikerin so hartnäckig mit dem Neofolk-Label etikettiert werden?
Ich bin zwar auch mit den Avett Brothers auf Tour gewesen, aber trotzdem ist dieser Folk-Trend nichts, was ich mir groß auf die Stirn schreiben würde. Ich kann mich dort nicht so richtig einordnen – auch weil ich diese Musik selber gar nicht höre. Ich höre vor allem Musik aus den 70ern und bin kaum vertraut mit den aktuellen Folk-Musikern. Mumford Sons, die Sie eben auch erwähnten, habe ich noch nie bewusst gehört. Ich weiß nicht wirklich viel über die britische Folk-Szene, bis auf klassische Bands wie Fairport Convention. Die haben sicherlich auch die gegenwärtige Szene beeinflusst. Aber mir gefällt diese Musik, weil sie – ebenso wie bei mir – das widerspiegelt, wo die Menschen herkommen, was sie und ihr Land geprägt hat.
Aber dass es einen Folk-Boom gibt, sehen Sie auch?
Ja, aber wie bei allen Moden kommt so etwas doch in Wellen. Vielleicht dann, wenn Menschen zurück zu den Wurzeln wollen oder die Dinge etwas ruhiger angehen. Dann wird auf akustische Instrumente zurückgegriffen.
Was Sie ja auch tun.
Ja, aber gerade meine jüngste Platte halte ich gar nicht für so folklastig. Sicherlich gibt es noch Folk-Elemente, aber ‚Alternative Country‘ würde es eher treffen. Wobei auch das nur eine weitere ungenaue Bezeichnung ist. Ich würde sagen, wir machen sehr amerikanische Musik. Es ist Musik, die wir machen, weil es das ist, was wir sind und wo wir herkommen. Ich schreibe Songs und singe über das, was ich weiß und erlebt habe. Und auch wenn es nach typischen Bestandteilen des Folk klingt und ich mit meiner Familie auf der Bühne stehe, mache ich das ja nicht, weil es gerade irgendwie angesagt scheint: So habe ich nun mal die meiste Zeit meines Lebens verbracht.
Trotzdem sind Sie für viele ein Hippie-Mädchen, das durch die amerikanische Landschaft streift und die damit verbundenen Mythen verkörpert.
Was Mythen wie Natur oder auch den Frontier-Gedanken betrifft, bin ich durchaus davon fasziniert. Aber viele meiner frühen Songs thematisieren diese Gedanken, sodass ich es eigentlich nicht länger ansprechen muss. Auch weil es uns so in Fleisch und Blut übergegangen ist, dass man es wie selbstverständlich aus unserer Musik heraushört. Und bloß weil ich Tee trinke und im Bioladen einkaufe, bin ich noch lange kein Hippie-Mädchen. Das ist etwas, das die Presse liebt, auch weil ich aus Kalifornien komme, aber ich will dieses Klischee nicht bedienen.
Haben Sie sich auch deshalb bei Ihrer neuen Platte entschieden, den Namen ihrer Band „Wild Divine“ hinzuzufügen?
Ja, ich bin mit meinen ersten beiden Alben zu stark auf das Image der lieblichen Singer- Songwriterin abonniert gewesen. In diese Schublade wollte ich nicht länger gesteckt werden.
Die Band ist nun auch größer.
Es ging mir darum, mehr Klang auf der Platte zu haben, den die größere Band ermöglicht. Wir hatten ohnehin einen neuen Drummer, da fiel es nicht schwer, die Band noch ein bisschen auszubauen – und: ja, es ging auch darum, mal etwas Neues auszuprobieren. Ich mag den Kontrast zwischen den Wörtern ‚wild‘ und ‚göttlich‘. Und zu meinem Namen passt es außerdem. Auch das war wichtig (
Dabei hat sich Ihr Leben in den letzten Jahren zum Ruhigen gewendet. Sie haben sich mit Ihrem Mann in Portland niedergelassen und ein Haus gekauft.
Wir sind tatsächlich ein bisschen zur Ruhe gekommen. Die Songs für meine ersten beiden Alben waren stark vom Unterwegssein geprägt. Und ich bin schon vor meiner musikalischen Karriere viel durch Europa gereist. Viele spätere Songs sind entstanden, als ich auf Tour war. Ich wollte nicht mehr so viel reisen, da musste eine Veränderung her.
Ist Ihr neues Zuhause so, wie man sich das im Klischee vorstellt: Mit einer Veranda, auf der Sie lauschige Abende verbringen. Mit einer Katze und Blumenmustern auf den Tapeten?
Das trifft es tatsächlich ziemlich gut. Wir haben eine Terrasse nach vorne raus, und auch sonst hat das Haus nostalgischen Charme. Viktorianisch mit alten Möbeln und Antiquitäten. Und eine Katze gibt es auch, die zwischen Haus und Garten hin- und herflitzt.
Haben Sie viel Arbeit reingesteckt?
Es geht so. Sachen wie die Wände streichen und den Teppich rausreißen, um Holzboden zu verlegen, haben wir gemacht. Und für die Einrichtung haben wir in den vergangenen anderthalb Jahren verstärkt nach Möbeln und Einrichtungsgegenständen Ausschau gehalten. Auch weil wir uns bewusst für die Sachen entscheiden wollten und nicht, weil die Räume schnell gefüllt werden sollten.
Durchwandern Sie dann am Wochenende ganz stinknormal Möbelhäuser wie andere Paare auch?
Einige Sachen hat natürlich jeder schon mitgebracht. Aber in Portland gibt es tolle Antiquitäten- Läden, die wir durchstöbert haben. Und auf Flohmärkten haben wir auch die Augen offen gehalten.
Gab es Stress wegen unterschiedlicher Vorstellungen?
Gott sei Dank haben wir ziemlich genau denselben Geschmack, was die Einrichtung betrifft. Deshalb wussten wir immer ziemlich genau, was wir mit nach Hause nehmen und was wir lieber im Laden lassen wollten.
Noch andere besondere Merkmale, die Ihr neues Zuhause hat?
Das Wohnzimmer haben wir g rün gestrichen und auch in den anderen Räumen mit Farben experimentiert. Mein Ankleidezimmer zum Beispiel ist pink.
Sie haben ein eigenes Ankleidezimmer? Das ist ja eher „Sex and the City“ als „Unsere kleine Farm“.
Naja, nicht ganz so. Aber es ist ein kleiner Verbindungsgang, der zum Schlafzimmer führt, und ich wusste auf den ersten Blick, dass er sich prima als Ankleideraum eignet. Und dass er pink sein muss. Ich glaube, mein Mann war anfangs nicht so begeistert, aber er hat seinen Schrank ohnehin in einer anderen Ecke.
Noch mal zurück zum Trend der Folk-Musik. Der spricht nicht nur Menschen auf dem Land oder in der Provinz an, sondern füllt gerade in Städten große Hallen und begeistert die Menschen. Welchen Zusammenhang sehen Sie zwischen unserer Gegenwart und dem Bedürfnis nach Vergangenheit?
Das hängt vielleicht mit der Sehnsucht der Menschen nach Einfachheit zusammen. Zurück zu den Zeiten, als es noch kein Internet und kein dauerndes Handyklingeln gab. Es ist aber natürlich ein Irrtum, zu denken, das Leben sei vor 30, 40 Jahren einfacher gewesen.
Dennoch gibt es offenbar ein großes Bedürfnis nach Einfachheit.
Heute bewegt sich alles so schnell, dass die Menschen sich nach etwas Langsamem sehnen, und deshalb ist das, was wir und vermutlich viele andere zeitgenössische Bands machen, etwas, das dieser Sehnsucht entgegenkommt. Die Leute hören das gerne, weil es sie beruhigt.
Bei Ihnen wirkt alles so idyllisch und stressfrei, auch wenn Sie sich Hippie-Etiketten verbitten.
Menschen, die mich nicht kennen, haben oft diesen Eindruck von mir. Aber das ist absolut falsch. Jeder, der mich kennt, weiß das. Ich nutze das Internet genauso als Kommunikations- und Arbeitsmittel wie jeder andere auch.
Was glauben Sie, wie die neuen Medien unseren bisherigen Alltag verändern?
Ich glaube, der Druck, alles schnell geregelt zu bekommen, wächst. Es ist doch so, dass heute von jedem Einzelnen sehr viel erwartet wird. Alles muss schnell, am besten sofort geschehen. Wenn du nicht innerhalb eines Tages auf eine E-Mail antwortest, denkt man, dass du ein Arschloch bist. Was für ein Irrsinn! Früher hat man zwei Wochen und länger auf einen Brief gewartet.
Ganz schön kulturpessimistisch.
Ich glaube nicht, dass es eine positive Entwicklung ist, in jeder freien Minute ans Handy zu gehen. Aber es ist, wie es ist. Man kann nicht so tun, als lebten wir in einer anderen Zeit. Man kann aber einige Dinge tun, um diesem dauernden Druck etwas entgegenzusetzen.
Zum Beispiel?
Wir haben zum Beispiel keinen Fernseher. Aber ich schreibe auch viele E-Mails, da bin ich wie jeder andere. Es ist 2011 und du musst mit den heutigen Gegebenheiten umgehen. Trotzdem finde ich es wichtig, sich zu erinnern, dass früher eben auch nicht alles besser war.
Das Gespräch führte Verena Reygers. Alle zwei Wochen schreibt sie montags auf freitag.de
Mit den akustisch aufs Notwendige reduzierten Songs ihres Debüts The Pirates Gospel stellte sich Alela Diane vor fünf Jahren selbst in die Ecke des Neo-Folk. Familiäres, Natur und die großen amerikanischen Mythen dominierten das Songwriting der 1983 in Kalifornien geborenen Musikerin. Die Themenwahl verstärkte den Genre-Bezug zum Folk genauso wie die Tatsache, dass Diane zunächst mit ihrem Vater Tom Menig und später zusätzlich auch noch mit ihrem Ehemann Tom Bevitori zusammen als Band auftrat. Den seit einiger Zeit anhaltenden, nostalgischen Folk-Trend bedienen neben Diane dabei auch Musiker wie Joanna Newsom, die Fleet Foxes oder Mumford Sons, mit denen Diane zum Teil auch schon auf Tour war. Die Briten von Mumford Sons traten in diesem Jahr sogar mit Urgestein Bob Dylan bei den Grammy Awards auf.
Vielleicht auch, weil der Folk-Boom mittlerweile im Mainstream angekommen ist und die Zahl der Neo-Folk-Bands immer unüberschaubarer wird, hat Diane der zurückhaltenden Akustik auf ihrem vor kurzem erschienenen dritten Album Alela Diane Wild Divine den Rücken gekehrt. Es gibt in ihren Songs nun weniger Banjo und Slide Guitar zu hören, dafür mehr Instrumente. Und es gibt mehr Raum für ausgefeiltere Melodien und Sounds, die aber immer noch ganz stark nach ur-amerikanischem Liedgut klingen. vr
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