Lasst Christmas!

Musik-Kolumne Weil George Michaels Hymne niemand mehr ertragen und es an Weihnachten auch mal richtig rocken kann, gibt es hier ein Christmas-Alternativ-Repertoire unserer Kolumnistin

Der perfekte Abend für Weihnachtslieder ist der 24. Dezember. Keinen Tag früher. Trotzdem hauen uns die Lautsprecherboxen auf Weihnachtsmärkten, in Kaufhäusern und bei den Adventkaffees mit unseren Freunden die Jingle Bells um die genervten Ohren. Der einzige Ausweg: Coole Christmas Songs spielen. Und davon gibt es mehr als genug. Nicht nur haben Madonna und Lady Gaga ihre besinnlichen Seiten auf Tannenbaum-Evergreens ausgelebt, auch von Amy Winehouse, Cyndi Lauper und sogar Musikbranchen-Ächterin Fiona Apple gibt es Weihnachtslieder. Da dürfen die Rentiere sogar mit Countryflair gesattelt werden.

Bei mir kam in diesem Jahr das erste Mal musikalische Weihnachtsstimmung auf, als ich vor zwei Wochen beim Cityslang-Weihnachtsball im Berliner Lido war. Die Plattenfirma, die Künstler wie Caribou, Arcade Fire oder Get Well Soon unter Vertrag hat, stellte Musiker wie Nada-Surf Sänger Matthew Caws oder den kanadischen Folkpop-Künstler Dan Mangan auf die Bühne – nicht nur, um Weihnachtslieder zu singen. Denn Nada Surf veröffentlichen Ende Januar ihr neues Album, da kann man sich schon mal ein bisschen ins Gespräch bringen. Ebenso wie Lampchop, dessen Mastermind Kurt Wagner als Überraschungsgast auftrat, um mit Dear Reader ein kitschfreies „Last Christmas“ anzustimmen. Gegen Wagner, dessen brummiges Timbre wie selbstverständlich das Weihnachtsmann-Gen zu besitzen scheint, klingen Wham! wie mickrige Wichtel auf einer Sommeralm.

Eine andere Band, deren Weihnachtssong-Interpretationen sich schon im November im Glanz der Christbaumkugeln sonnten, sind das Duo She Him.

Die Schauspielerin Zooey Deschanel und der Produzent M. Ward haben sich – laut Info ihrer Plattenfirma – von „wegweisenden Weihnachtskollektionen wie denen der Carpenters, Beach Boys oder von Elvis Presley“ inspirieren lassen. Aufgenommen haben sie bekannte Klassiker wie „The Christmas Song“ und „I’ll Be Home Für Christmas“ genauso, wie die etwas weniger gebräuchlichen „Christmas Wish“ oder „Little Saint Nick“. Und das ohne das übliche Glöckchengeläut und Engelschor im Hintergrund. Schlicht reduzierte Songs mit Schlagzeug, Gitarre und Klavier wandern zwar festlich geschmückt durchs Winterwonderland, aber Lametta und Rauschgold-Deko halten sich dezent zurück.

Das gefiel auch Christoph Dallach, der auf Spiegel Online aktuell auf den Markt geworfene Weihnachtslieder empfahl.

Über She Him schreibt er: „Zu Wards beschwingt echoenden Gitarrenklängen gurrt die Hollywood-Elfe Deschanel charmant frostige Klassiker wie "Have Yourself A Merry Little Christmas" oder Brian Wilsons "Little Saint Nick", und dass sie nicht wirklich singen kann, bemäkeln nur Menschen mit gefrorenen Herzen.“ Etwas überraschend die Einschätzung, Deschanel könne nicht singen – von der Bezeichnung „Elfe“ mal abgesehen – aber die musikalische Bewertung teile ich gerne.

Ebenfalls positiv ins Augen fielen ihm Editors-Sänger Tom Smith und Ex-Razorlight-Schlagzeuger Andy Burrows, die sich als Duo „Smith Burrows“ mit angeklebten Engelsflügeln auf dem Plattencover ins Weihnachtsgeschäft verirrt zu haben scheinen. Für „The Christmas Song“ haben sie sich Verstärkung von der großartigen Agnes Obel geholt. Was dieser Auftritt in Antwerpen außerdem zeigt: Man darf Weihnachtslieder auch ohne gebotenen heiligen Ernst singen und stattdessen lachen und schnoddrig in den Songs einsteigen.

Mit Humor trat auch Eartha Kitt zeit ihres Lebens auf. Hier eine fauchende Geste mit Augenzwinkern, dort ein bissiger Kommentar, dessen Krallen zwar scharf waren, aber doch bloß immer spielen wollten. So wie bei der Ansage zu „Santa Baby“. „I used to have a lot of fun with this song. Then Madonna sang it!“

Tatsächlich nahm die „Queen of Pop“ den 50-Jahre-Weihnachtsklassiker 1987 für ein Charity-Album auf. Besser macht es aber Kitt, die sich als „Königin des Nachtclubs“ gar nicht erst um den Heiligenschein zu bemühen gedenkt.

Etwas ernsthafter ist der Auftritt, den Ingrid Michaelson und Sara Bareilles im vergangenen Jahr beim traditionellen National Christmas Tree Lighting in Washington zeigten. Vor den Augen von Präsident Barack Obama und seiner Familie sangen die beiden Songwriterinnen ihr Duett „Winter Song“, das zu dem Zeitpunkt allerdings nicht mehr ganz neu war. Bereits 2008 erschien „Winter Song“ auf der Compilation „The Hotel Café presents: Winter Songs“. Dort zu finden ist auch das bereits genannte „Frosty The Snowman“ von Fiona Apple, sowie Weihnachtslieder-Interpretationen von KT Tunstall und Katy Perry drauf.

Egal, wo man etwas über Weihnachten liest, immer heißt es, es sei das Fest der Liebe, das wir mit den Menschen verbringen, die eben dieses Gefühl in uns auslösen. Die Schweizer von Monotales haben just einen Song veröffentlicht, in dem es um das Gegenteil geht, das Alleinsein an Heiligabend. „All I Ever Get For Christmas Is Blue“ ist die traurige Schilderung ungewollter Einsamkeit zum Fest der Liebe. Mit Gastsängerin Heidi Happy, die auch die zweite Single der Band „If Your Love Had Made Me Strong“ zur „ergreifendsten Country-Ballade der Schweiz“ machte, wie die Luzerner Zeitung schrieb. Aber wer sich mit Künstlernamen Heidi Happy nennt und ein D.I.Y.-Video mit Spaßfaktor auf die Beine stellt, der gehört unbedingt ins musikalische Heiligabend-Repertoire, wenn er nicht sogar die Spielerlaubnis für die verbleibenden Tage vor Weihnachten hat.



Verena Reygers schreibt in dieser Kolumne über Genderthemen in der Musikbranche. Sie kolumniert immer montags im Wechsel mit Katrin Rönicke, die sich mit Gender- und Bildungsthemen befasst.

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Geschrieben von

Verena Reygers

Musikfetischistin, Feministin, Blames it on the Boogie

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