Musik-Kolumne Frauen sind nicht nur präsent auf dem Reeperbahn-Festival, sie spielen auch mit klassischen Genres und rocken die kleinen Clubs. Unsere Autorin war drei Tage lang wach
Ein Festival-Lineup nach weiblichen Musikerinnen zu durchsuchen ist meistens eine Sache von ein paar Millisekunden. Egal, wie sehr weibliche Künstlerinnen immer stärker in der Musik mitmischen, Festivals sind weitestgehend Männersache. Aber auch hier tut sich was, zumindest bei den kleinen Festivals, die ein Herz für Newcomer und tja, auch für Frauen haben. Beim Reeperbahnfestival, das vergangenes Wochenende in Hamburg mit 210 Bands auf 54 Bühnen stattfand, gab es jede Menge Musikerinnen. Am Mikro, an der Gitarre, am Bass und am Schlagzeug. Es gab sie als Frontfrau von Jungsbands, als Teil eines Duos, solo und als reine Girls-Fraktion. Da fiel die quantitative Auswahl nicht leicht, die qualitative schon eher.
Während sich auf dem Spielbudenplatz der Nach
z der Nachwuchs von The Drakes versucht die Schüchternheit vom Leib zu rocken, sorgen The Tellers für knallvollen Andrang in der Prinzenbar. Beim Indierock mit Folkeinschlag trägt der Sänger sein Jeanshemd bis zur Mitte aufgeknöpft und Bandmitglied Aurelie bedient Schlag- und Schüttelinstrumente.Wem das jetzt schon zu viel Tohuwabohu war, der entspannt sich bei der Akustik-Gitarre von Mirel Wagner, die in der Hasenschaukel geklampft wird. Die allerdings ist so verhalten, dass der Blues-Folk-Sound kaum durch die Glasscheibe dringt und zwei Festivalbesucher den Auftritt mit den Worten „Die braucht mal ein bisschen uptempo“ kommentieren. Also weiter über die Reeperbahn, hin zum ersten Highlight des Abends.In der Molotow Bar spielen die Franzosen von The Dodoz. Der lockige Schlagzeuger macht eine charmante Begrüßung, in der er die Heimatstadt Toulouse mit Hamburg gleichsetzt, als die jeweils schönste Stadt des Landes. Danach ist alles auf den Punkt. Fabulös brettern The Dodoz mit ihrem Post-Punk los, die Frontfrau trägt nicht nur ein silbernes Schleifchen im Haar, auch ihr Bass sitzt. Alles rockt und gibt einem das Gefühl, dass das Reeperbahnfestival auch in diesem Jahr groß werden kann.Ähnlich beeindruckend ist Falluah. Die Dänin wird mir nachmittags schon von Facebook-Freundinnen als sehenswert bestätigt. Und in der Tat: Ihr Auftritt in der Prinzenbar zeigt eine souveräne Musikerin, die Pop mit Handclaps und musikalischen Spirenzchen begleitet. Die Songs sind zwar manchmal fast zu glatt, machen aber Spaß und Falluahs Bühnenpräsenz ist beeindruckend.Das ist bei Pintandwefall leider nicht ganz so. Das Mädelsquartett zeigt sich zwar mit lustig bebänderten Augenmasken und sorgt auch für Reihum-Wechsel an den Instrumenten, aber weder Sound noch Songs überzeugen. Obwohl genau das laut Progamm-Macher als ausgemacht gelten sollte. Aber was solls, unbeschwert sind die Finninnen trotzdem und dadurch zumindest ein Augenzwinkern wert.Gänzlich unaufgeregten Charme verbreiten die Heiterkeit. Das spröde Trio steht fast unbweglich an ihren Instrumenten, die Schlagzeugerin holt zu lässig weiten Schlägen aus und Songs wie „Breaking Hearts“ oder „Auf dem Gipfel des Erfolges“ zwängen das Lachen wie einen Kloß die Kehle hinunter. Dennoch ist die Band um Sängerin Stella Sommer ihre Beachtung wert.Beachtenswert ist auch Gabby Young and Other Animals. Wer sich den Bandnamen eingeprägt hat, bevor im Imperial Theater Platz genommen wird, wundert sich nicht über den Kontrabass-Spieler, der einen Morgenmantel mit Wolfsmütze trägt, oder über den gelben Vogel, der Gabbys roten Haaren als Schmuck dient. Hier spielt die Exzentrik mal Gypsy-Chanson, mal Jazz und Folk. Neben Kontrabass gibt es einen Trompeter und einen ungelenk hampelnden Gitarristen, der immer wieder versucht, Gabby die Show zu stehlen. Sehr unterhaltsam.Zu dem Zeitpunkt bin ich aber noch völlig geflasht von Sound of Rum, die zuvor in der Prinzenbar aufgetreten sind. Weil beim Reeperbahnfestival vor allem Indie, Folk und Electro dominieren, ist der HipHop des Londoner Trios eine willkommene Abwechslung. MC Kate Tempest sieht aus, als stände sie kurz vor der mittleren Reife, hat aber einen Flow, den sie vor einen funky Groove knallt. Zwischendrin eine Spoken Word Performance, die nicht weniger atemberaubend ist. Ganz, ganz groß und nicht nur für den ersten Festival-Tag ein absoluter Brenner.Sich am ersten Tag die Ohren mit Eindrücken voll zu stopfen hat sich als gute Idee erweisen, denn tags drauf geht kaum was in den Clubs, zumindest kaum noch was rein. Vorm Molotow wächst die Schlange, drinnen spielen erst die Eastern Conference Champions, dann The Pleasants. Beide Acts kann ich nur von draußen erahnen. Selbst das abseitig gelegene Silver platzt aus allen Clubnähten, als Bleech mit wütendem Grungepunk ihre Gitarren vermöbeln. Das sieht aber auch nur auf den ersten Blick gut aus, denn zu sehr scheinen die MusikerInnen von ihrem individuellen Testosteron gepackt zu sein, um als musikalische Einheit zu funktionieren. Der Drummer allerdings hat es drauf.Bevor ich mich weiter über den Kiez schieben lasse, mache ich mich auf den Weg zu den Fliegenden Bauten, wo Christiane Rösinger spielt. Zugegeben, die Frau ist natürlich keine Newcomerin und auch schon in dieser Kolumne erwähnt worden. Aber Sätze wie „Das Pech in der Liebe klebt an mir wie Dreck“ oder „Pärchen verpisst euch, keiner vermisst euch“ kann man nicht oft genug hören. Frau Rösinger steht deshalb auch samt Weinflasche auf der Bühne, aus der sie sich stetig nachschenkt und singt schnörkellos über die Höhen und Tiefen es Otto-Normal-Verbraucher-Lebens. Nun gut, mehr über die Tiefen. „Ist das noch Bohème oder schon Unterschicht“?!Eine totale Enttäuschung sind Handsome Furs. Da habe ich mir mehr versprochen als herablassendes Elektrogewitter, bei dem es nur dann mal interessant wird, wenn Alexei Perry Abstand vom Drumcomputer nimmt und ein paar Textzeilen ins Mikro singt. Besser machen es Hayley Mary und The Jezabels im Uebel Gefährlich. Dort aber kann ich nicht ganz so lange bleiben, weil sich das benachbarte Knust langsam für EMA füllt. Ihre Platte „Past Life Martyred Saints“ steht unverrückbar in meiner Top-Five-Liste 2011. Eine erste Live-Kostprobe gab die Amerikanerin nachmittags bei Ray Cokes, dessen Reeperbahn Revue bisweilen besser ist als Musikfernsehen je war.Der letzte Festival-Tag macht sich als wachsendes Motivationstief bemerkbar. Das Reeperbahnfestival ist nicht nur wegen der Fülle an zeitgleich spielenden Bands in schier zahllosen Venues purer Stress, auch wird das abendliche Konzertprogramm um Kunst und musikwirtschaftliche Panels am Tage ergänzt. Drei Tage wach, das schlaucht. Hinzu kommen die Touristenhorden, die den Samstag Abend zum Kurz-vor-Amok-Trip machen. Zuflucht bietet die St. Pauli Kirche, in der Susanne Sundfør mit ihrem andächtigen Klavierspiel für tolle Momente jenseits des Kiezstress’ sorgt. Los ging der Abend aber mit dem dänischen Duo Darkness Falls, das im Indra die Spot on Denmark Nacht eröffnet. Zwei Frauen, die eine an Bass und Keyboard, die andere am Mikro, verstärkt von Schlagzeuger und zwei Gitarristen. Das Duo will den Pop aufbrechen, gibt sich betont düster und irgendwo weht noch ein Hauch Americana her. Auf ihrem Ende Oktober erscheinenden Album klingt das ganz gut, live aber fehlt der Mitreiß-Faktor. Sängerin Josephine Philip besitzt zwar eine ausdrucksstarke Stimme, die aber kommt bei den aufgeweckteren Popsongs besser zur Geltung als bei dem Düster-Gefühlsdusel.Nebenan im Grünspann schläfern derweil Dear Reader ihr Publikum ein.Flotter geht es bei den Locas in Love zu. Die aber bespielen ihre Fans auch schon seit zehn Jahren, sind also erfahren genug, um in der kleinen Prinzenbar zu begeistern. Netterweise fordert Sänger Björn Sonnenberg zum Zusammenrücken auf, damit die Leute, die noch im Gang stehen auch Platz finden. Zu eng ist es trotzdem. Aber nichts im Vergleich zur Molotow-Bar, wo später Me and My Drummer spielen. Das Duo aus Keyboard und Schlagzeug klingt vielversprechend, aber nach den ersten zwei Songs droht akute Enge-Gefahr. Also raus und sich etwas suchen, dass a) nicht zu viele Leute begeistern könnte und b) als Location angenehm genug ist, um sich mal hinzusetzen.Fündig werde ich in Angie’s Nightclub, wo tiefe Sofas meinen Hintern verwöhnen und die Barkeeper Servietten unter der Astraflasche platzieren. Hier spielt Audra Mae und der Altersdurchschnitt des Publikums steigt auf 40+. Die Amerikanerin macht so richtig schönen Country-Folk, der mit dem Stetson wedelt und yiehah ruft. Aber irgendwie macht das Laune und eine Künstlerin, die aus dem Stand mit ihrem begeisterten Publikum interagiert als ein abgedroschenes „It’s nice to be here“ hören lässt, tut nach so vielen Bands, Eindrücken sammeln, rum rennen und sich durch Clubs schieben dringend not.
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