Den Ho-Chi-Minh-Pfad verlassen

Opel Es gibt immer Alternativen, hat der Opel-Betriebsratschef Klaus Franz einmal ­gesagt. Im Poker mit General Motors um den Verkauf der deutschen Tochter gilt das nicht

Vor ein paar Tagen, es hatte gerade wieder eine dieser mehr oder weniger überraschenden Opel-Wendungen gegeben, da wurde Klaus Franz gefragt, ob er sich von General Motors nicht langsam verschaukelt fühle. Das nicht, antwortete der Betriebsratschef, dafür kenne er die Detroiter ja viel zu gut. Dass es wider Erwarten keine Entscheidung über einen Verkauf gegeben habe, sei vielmehr „der beste Beweis dafür, dass es so nicht weitergehen kann“. Einen Tag später sah es so aus, als ob genau das passiert: Die Konzernmutter prüft, hieß es, ob sie Opel nicht doch behalten sollte.

Für jemanden wie Klaus Franz muss das die schlechteste Nachricht seit Jahren gewesen sein. Wochenlang bekommt man das folgende Bild präsentiert: Franz sei es gewesen, der das Schicksal des Autobauers auf die Wahlkampfagenda gesetzt hatte. Als die Insolvenz von GM drohte, habe er die Loslösung von Opel ins Spiel gebracht. Franz habe durchgesetzt, dass erst Fiat und später der Finanzinvestor RHJ von der Bundesregierung nicht als Investoren akzeptiert wurden. Franz sei der Mann, der die Bundesregierung dazu gebracht hatte, sich auf Magna als Übernahmekandidat festzulegen. Der Macher, der Provokateur, Mister Opel. Und dann das.

Zweifellos spielt Klaus Franz eine zentrale Rolle im Opel-Poker. Wenn jetzt von Demonstrationen vor der US-Botschaft die Rede ist, dann geht es bei den angekündigten „spektakulären Aktionen“ nicht allein um zehntausende Jobs und die Zukunft einer Traditionsfirma – sondern auch um die persönliche Zukunft des Betriebsratschefs. Mit dem von Klaus Franz favorisierten Magna-Deal würde ein Aufstieg gekrönt, der in der Opel-Lackiererei begann und bis an die Spitze einer mächtigen Mitarbeiterkapitalbeteiligungsgesellschaft (MKBG) führen könnte.

Geboren in Stuttgart, macht der heute 57-Jährige eine Drogistenlehre, besucht die Fotofachschule. Die siebziger Jahre sind auch für Franz mehr als Ausbildung und Feierabendbier – er findet Anschluss an die Frankfurter Spontiszene, von der aus der Weg zum Revolutionären Kampf nicht weit ist. Die Gruppe ist vor allem deshalb bekannt, weil einige ihrer Mitglieder später eine steile Karriere hinlegen, die – etwa bei Joschka Fischer oder Daniel Cohn-Bendit – in die oberen Etagen des Establishments führt. Auch Klaus Franz ist damals noch der Meinung, es lohne sich der Versuch, „die Arbeiterklasse vom Joch des Kapitals“ zu befreien. Man geht zu Opel, wo Franz 1975 als Lackierer beginnt. Die „revolutionäre Betriebsarbeit“ bleibt allerdings erfolglos. Fischer und Co. lassen die Fließbänder bald links liegen, werden rausgeschmissen oder gehen freiwillig.

Klaus Franz hingegen blieb und trat seinen Marsch durch die Institutionen an – nur eben bei Opel. Im Frühjahr hat er in einem langen Radiointerview über sich gesagt, er schätze die Fähigkeit, „ausgetretene Ho-Chi-Minh-Pfade zu verlassen und andere Wege zu gehen“. Sein eigener führt ihn 1981 in den Betriebsrat, 2000 an die Spitze des Konzernbetriebsrats, 2003 auf den stellvertretenden Aufsichtsratssessel der Adam Opel AG. Die einen sagen über ihn, er habe nie vergessen, woher er kommt. Die anderen sehen in Franz den zum Selbstherrlichen neigenden Arbeiterführer, den Möchtegern-Manager und Opportunisten.

„Meine Devise ist, Kooperation wo immer möglich. Und Konfrontation wo nötig“, sagt Franz. Er bekennt sich „klar zum Co-Management“, einer gewerkschaftlichen Strategie, die vom Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit nicht mehr viel weiß und lieber nach der „guten Konzernführung“ strebt. Franz, der als einer der wenigen deutschen Betriebsratsfürsten parteilos geblieben ist, sagt, er sei „parteiisch für die Arbeitnehmer-Interessen, aber auch für die Interessen des Unternehmens“. Ein Wandler in zwei Welten.

Als Opel 2004 in eine ernste Krise fährt, kann Franz den drastischen Stellenabbau nicht verhindern, 9.000 Jobs gehen verloren, Lohnkürzungen werden durchgesetzt. Was Aktionstage und Verhandlungen mit dem Management bringen, ist heute womöglich nichts mehr wert: ein „Zukunftspakt“, der bis 2010 gelten sollte.

Längst ist davon nicht mehr die Rede. Wieder stehen horrende Kürzungen an, dabei ist es nicht einmal entscheidend, ob nun Magna den Zuschlag erhält oder RHJ. Gekürzt wird so oder so – der Unterschied ist, wie hart es die einzelnen Standorte trifft. Magna würde wohl eher die deutschen Werke verschonen als RHJ. Dass sich Franz so vehement für den österreichisch-kanadischen Zulieferer einsetzt, nehmen ihm die Kollegen im Ausland krumm. Die Solidarität unter den Produktionsstätten ist längst nicht mehr so groß wie damals, als Franz seinen größten Erfolg erzielte: einen europaweiten Streik gegen die Werksschließung im englischen Luton.

Noch Ende Mai warb Franz darum, das RHJ-Konzept ernsthaft zu prüfen; Chef Leonhard Fischer erinnerte sich unlängst daran, der Betriebsratschef habe ihn seinerzeit „mit Engelszungen überredet“, am Bieterprozess teilzunehmen. Dann die Wende: Magna wurde zum Favoriten erklärt, als deren Chef Siegfried Wolf „bei einem Besuch in Rüsselsheim den Vorschlag mit der MKBG übernahm“, wie unlängst die Tageszeitung schrieb. Die MKBG könnte nach den vorliegenden Magna-Plänen zehn Prozent übernehmen – ebenso viel bietet auch RHJ.

Ziel der Konstruktion ist, heißt es in einem Flugblatt des Betriebsrates, den Beschäftigten, die jetzt als erste für die Fehler des Managements büßen müssen und zugleich ihren Arbeitsplatz retten wollen, über Unternehmensanteile eine Möglichkeit zu verschaffen, in Zukunft von eventuellen Dividenden zu profitieren und auf wichtige Entscheidungen, etwa Werksschließungen, Einfluss zu nehmen.

„Es gibt immer Alternativen“, hat Klaus Franz einmal gesagt. Im Opel-Poker gilt diese Losung nicht. Für die Magna-Lösung hatte der Betriebsrat schon den Verzicht auf das Urlaubsgeld erklärt – und ihn in dieser Woche aus Protest gegen die Hinhaltetaktik der Konzernmutter wieder kassiert: „Für ein Zurück zu General Motors gibt es keinen Cent.“ Kurz darauf hieß es aus GM-Kreisen, man halte doch am Plan fest, Opel zu verkaufen. Wieder eine dieser Wendungen. Und diesmal eine gute Nachricht für Klaus Franz.

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