Mist, wir machen weiter

Volksvermögen zum Niedrigstpreis Trotz der Finanzkrise hält Bahnchef Mehdorn am Zeitplan für den Börsengang fest

Die internationale Finanzkrise belastet den Börsengang der Mobility-Sparte der Deutschen Bahn. Dennoch zeigte sich der Konzern zuletzt weiter optimistisch, die "heiße Phase" der Teilprivatisierung über die Bühne zu bringen. Trotz der Turbulenzen an den Märkten soll am Montag die Zeichnungsfrist beginnen, Starttermin an der Börse wäre der 27. Oktober.

Nun hat der Bundesfinanzminister eine Verschiebung ins Spiel gebracht. Es könne einen Zeitpunkt geben, sagte Peer Steinbrück Anfang der Woche, "wo man entscheiden muss, ob man das Verfahren zu Ende bringt oder Plan B zieht". Offenbar wird man auch in der Bundesregierung langsam nervös: Ursprünglich hatte Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee von einem Erlös von bis zu acht Milliarden Euro für die 24,9 Prozent der Transportsparte gesprochen. Dann wurden immer neue Zahlen gestreut, offenbar mit dem Ziel, die Erwartungen herunterzuschrauben. Derzeit gehen Experten nur noch von 4,5 Milliarden Euro aus, manche rechnen sogar nur mit zwei Milliarden Euro. Führende Banker aus dem Emissionskonsortium werden mit den Worten zitiert: "Natürlich ist das Mist" - aber "wir machen weiter".

Die Kreditinstitute, allen voran die vier "globalen Koordinatoren", haben zudem ihre eigenen Sorgen. Morgan Stanley und Goldman Sachs haben gerade als einzige das Sterben der US-Investmentbanken überlebt; die Aktienkurse der Deutschen Bank und der Schweizer UBS stehen seit Wochen unter Druck.

Wie schwierig das Umfeld für einen Börsengang geworden ist, zeigen auch die Zahlen von Wirtschaftsprüfern: Im dritten Quartal dieses Jahres gingen wegen der Krise weltweit nur noch 159 Firmen an die Börse und sammelten dabei 13,1 Milliarden US-Dollar ein. Im vergleichbaren dritten Quartal 2007 waren es noch 440 Unternehmen, die insgesamt knapp 60 Milliarden US-Dollar einnahmen. Im Prime-Standard-Segment der Frankfurter Börse empfing man in diesem Jahr bisher gerade einmal zwei Neulinge, 2007 waren es noch 21 Unternehmen.

Konzernchef Hartmut Mehdorn ficht das nicht an. Er will weiter auf Werbetournee gehen, um Großinvestoren für den Börsengang der Bahn zu interessieren. Nach Steinbrücks Überlegungen für einen "Plan B" hieß es aus der Berliner Konzernzentrale, man sehe "auf dem Markt bisher keine negativen Zeichen". Hinter vorgehaltener Hand wird von einer roten Linie gesprochen, die nicht überschritten werden soll. Wenn bei den Einnahmen aus dem Börsengang eine Drei vor dem Komma stehe, wird ein Bahnmanager zitiert, "müssen wir neu denken".

Das hat der Konzern natürlich schon längst getan. Ende Mai etwa hatte Mehrdorn für den Fall erklärt, dass "Wolken" über den Finanzmärkten hängen, die Bahn könne auch ein halbes Jahr später an die Börse gehen. Ein zweiter Verkaufskorridor im April und Mai kommenden Jahres wäre also keine neue Erfindung. Unbeliebt beim privatisierungsverliebten Bahnchef wäre eine Verschiebung aber dennoch: Sollte der Börsengang tatsächlich in das nächste Jahr verschoben werden, würde die umstrittene Teilprivatisierung des letzten großen Staatskonzerns in den Bundestagswahlkampf geraten. Eine nahe liegende Variante ist nun, dass Steinbrück seine Entscheidung davon abhängig macht, wie der Verkauf der Bahn-Papiere während der Zeichnungsfrist läuft. Für ein Haltesignal der Bundesregierung wäre dann noch bis kurz vor dem 17. Oktober Zeit. Experten warnen allerdings, es sei keineswegs sicher, dass sich die Finanzmärkte bis zum kommenden Jahr wieder beruhigt haben.

Die Grünen wollen deshalb den Börsengang gleich "auf unbestimmte Zeit" verschieben. In einem in den Bundestag eingebrachten Antrag wird der derzeit noch gültige Plan als "unverantwortbar" bezeichnet. Ein Verkauf inmitten der Turbulenzen an den Finanzmärkten komme "einer Wertvernichtung gleich". Die Linkspartei sprach von "purem Verramschen von Volksvermögen". Auch mehrere Landes-Verkehrsminister warben für eine Verschiebung. Sogar bei der FDP meldeten sich kritische Stimmen. Deren Verkehrsexperte Horst Friedrich gab zu bedenken, dass Investoren die derzeitige Lage ausnutzen würden. "Sie werden Aktien nur unter der Bedingung kaufen, dass sie zum Niedrigstpreis zu haben sind."

Carl Waßmuth vom privatisierungskritischen Bündnis "Bahn für alle" sieht die jüngsten Entwicklungen mit zunehmendem Sarkasmus. Offenbar komme es beim Verkauf der Bahn auf die Einnahmen gar nicht an, stichelt der Attac-Aktivist angesichts der Halbierung der erwarteten Erlöse innerhalb eines Jahres. "Man könnte auch sagen: Das ist die BörsianerBahnCard50 - ermöglicht durch die Politik."

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