Klezmer kennen alle. Alle jedenfalls, die ein Ohr für in der Tradition bestimmter ethnischer Gruppen verwurzelte Musik haben. Volksmusik also, die mit Eine-Welt-Laden-Impetus Weltmusik heißt. Klezmer ist die Musik der osteuropäischen Juden, sie wird dominiert von Klarinette und Geige, ihr bekanntester Protagonist Giora Feidman füllt große und renommierte Häuser. Aber sephardische Musik? Warum welche Weltmusik-Welle wann in den musikalischen Mainstream brandet, hängt von vielen Faktoren ab. In den siebziger Jahren lösten Rucksackreisende den Irland-Boom samt Irish-Folk-Festivals aus, ähnlich ging es dem griechischen Rembetiko. Die "Buena Vista Social Club"-Seuche der letzten Dekade hatte viel mit bonbonfarbenen Straßenkreuzern, dem ebensolchen Wim-Wenders-Film, dicken Zigarren und leckeren Cocktails zu tun. Die Roma-Musik, die letzthin in deutschen Fußgängerzonen gefiedelt wurde, kam aus den Filmen Emir Kusturicas, die ohne balkanische Bürgerkriege vermutlich weniger Aufmerksamkeit gefunden hätten.
Bei der jüdischen Musik liegt der Fall anders. Osteuropäische Schtetls gibt es nicht mehr; der touristische Aspekt entfällt samt Cocktails und Zigarren. Die Musik der osteuropäischen Juden, der Ashkenazim, entwickelte sich trotzdem zu einiger Popularität, weil jüdischstämmige Musiker und an der jüdischen Kultur Interessierte den Klezmer erforschten. In den USA im Rahmen dort üblicher Traditionspflege der Emigranten, in Osteuropa selbst erst nach dem Ende der Sowjetunion: Seit Stalin war eine vermeintliche Hochkultur verordnet und die Musik ethnischer Minderheiten unbeliebt. Das Krakauer Trio Kroke etwa erlernte erst in den neunziger Jahren Klezmer und entdeckte in diesem Zuge: Zwei der drei am Konservatorium ausgebildeten Musiker stammten aus jüdischen Familien; ihre Eltern hatten die Abstammung aus Angst vor dem alltäglichen Antisemitismus in Polen vor ihnen verborgen. Heute ist Kroke eine der interessantesten Klezmer-Bands, operiert erfolgreich in den Randbezirken des Jazz und trägt die Musik so aus der Ethno-Ecke hinaus. Auch Klezmer-Guru Giora Feidman, Sohn einer Familie von Klezmorim immerhin, nahm den Umweg über das klassische Israel Philharmonic Orchestra.
Die Musiktradition der osteuropäischen Sephardim ist im Vergleich zum Klezmer kaum bekannt. Die Juden der iberischen Halbinsel - Sepharad ist der hebräische Name Spaniens - zerstreuten sich früh in eine Diaspora, in der sie in weniger geschlossenen Gemeinschaften zusammenlebten als die Ashkenazim. Seit der Vertreibung aus Spanien und Portugal im 15. Jahrhundert siedelten sie sich vor allem im Osmanischen Reich an, also in der heutigen Türkei, in Griechenland und auf dem Balkan sowie in Nordafrika und der arabischen Welt. Dort hatte ihre meist friedliche Kohabitation mit islamischen Nachbarn ein Ende, als der Staat Israel gegründet wurde. Die in den fünfziger und sechziger Jahren aus islamischen Ländern vertriebenen Sephardim kamen in Israel zu spät: Die gesellschaftliche Elite bildeten idealistische Einwanderer der ersten Stunde aus aller Welt. Zudem besaßen die Sephardim oft eine geringere Bildung. Nach langen Aufenthalten in Flüchtlingslagern wurden viele von ihnen Arbeiter und Bauern, sie bilden bis heute die Unterschicht. Erst langsam finden die Sephardim Zugang zur Nomenklatura: David Levy, mehrfacher Außenminister, wurde in Marokko geboren, der gegenwärtige Präsident Mosche Katzav ist Sepharde aus Iran. Es könnte mit dem Aufstreben einer Unterschicht zu tun haben, dass sich nun israelische Musiker der sephardischen Kultur annehmen, und vielleicht auch mit einem Verblassen des Zionismus als staatsstiftendes Ideal, das Herkunftskulturen in den Blickpunkt rückt.
Veröffentlichungen mit sephardischer Musik sind bei weitem rarer als die im weiten Feld des Klezmer, zumal bei Labels, die außerhalb ethnischer Nischen agieren. Alben von Kantoren, die frommen Hörern die Weisen sephardischer Vorbeter singen, gibt es schon lange; CDs mit säkularer sephardischer Musik von Eva Volitzer, Flora Jagoda oder Judith R. Cohen fanden einen ähnlich begrenzten Hörerkreis. Den bislang wohl einzigen Erfolg im Mainstream hatte das als Mittelalter-Orchester eingeführte Ensemble Sarband beim Bertelsmann-Label Harmonia Mundi vor einigen Jahren mit dem Album Sepharad. Jetzt bringt das findige Label Oriente eine CD mit sephardischen Liedern heraus. Sängerin Ruth Yaakov, in Israel geboren, studierte klassischen Gesang in Tel Aviv und lebt in Jerusalem. Ihr Ensemble spiegelt die Welt der Sephardim wider: Eyal Sela spielt Klarinette und Penny Whistle eine Schnabelflöte. Der in seinem Land recht bekannte Israeli hat sich mit Musikstilen vom Balkan bis Indien befasst. Yaniv Raba bedient die arabische Laute Ud, Naor Carmil das türkische Streichinstrument Yayli Tanbur, die Baglama, eine mit drei Doppelsaiten bespannte türkische Gitarre, sowie den Kontrabass. Noam Chen sitzt an den Percussions.
Auch Hörer, denen Musikethnologie egal ist, lernen auf dem neuen Album Ziara (ein erstes kam 1998 beim Label Piranha heraus) eine grandiose Stimme kennen. Ruth Yaakov ist den Arabesken ihrer Lieder mehr als gewachsen. Deren Themen sind weibliche: Es geht - auf Ladino, der althispanischen Sprache der Sephardim - um eifersüchtige Schwiegermütter, verschmähte Liebhaber, die Ehe und harte Zeiten. Rabbiner verteufelten diese Musik als zu weltlich. In die Melodien und Arrangements fließen Elemente arabischer, griechischer und türkischer Musik ein sowie Spuren aus allen Ländern, in denen Sephardim zu Hause waren. Das nahtlose Zusammenspiel der Instrumentalisten, die Harmonie von Stimme und Ensemble entspricht dem Charakter dieses Stroms, der sich aus vielen Quellen speist und doch ein sinnvolles Ganzes bildet: keine künstliche Neo-Folk-Chimäre aus arabischer und jüdischer Musik, sondern eine historisch fundierte, im Alltag verwurzelte, vielleicht identitätsstiftende Tradition.
Ruth Yaakov Ensemble, Ziara - Sephardic Women´s Songs of the Balkans (Oriente). Von Kroke ist zuletzt das Album Quartet - Live at home erschienen, ebenfalls auf Oriente.
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