Ein Aufbruch, der mit Ismen gezähmt wird, ist derzeit in der Ausstellung Amazonen der Avantgarde im Guggenheim Berlin zu sehen: Neoprimitivismus, Kubismus, Futurismus, Rayonismus, Kubo-Futurismus, Suprematismus, Konstruktivismus, Simultanismus und dazu noch ein paar andere Kategorien, die im Aufzählungszwang zu Schubladen werden. Hineingepreßt werden die bemalten Leinwände, Kostüme, Bühnenbildentwürfe, Fotos von bemalten Körpern, Papierfetzen oder Objekte von sechs russischen Künstlerinnen, die in der Zeit des Aufbruchs am Anfang des Jahrhunderts gleichberechtigt neben Künstlern wie Malewitsch, Kandinsky oder El Lissitzky standen. Ihre Einordnung in die verschiedenen Stilrichtungen kommt einem hektischen Aufräumen gleich, aber da die B
e Bilder für ihre Zeit zu außergewöhnlich und mutig waren, sperren sie sich gegen zuviel Ordnung. Hie und da lugte über die Jahre hinweg immer ein Leinwandzipfel oder Rockfetzen aus der Schublade hervor.Vielleicht ist es der Hektik und Unübersichtlichkeit, mit der sich die russische Kunst in der zweiten Dekade dieses Jahrhunderts entwickelte, zu verdanken, dass die Namen der sechs Künstlerinnen - Alexandra Exter, Natalja Gontscharowa, Ljubow Popowa, Olga Rosanowa, Warwara Stepanowa und Nadeschda Udalzowa - nicht vollständig verlorengingen. Immerhin waren Arbeiten von fünf von ihnen bereits 1922 bei der »Ersten Russischen Kunstausstellung« in Berlin zu sehen. Aber sicher ist ihre Wiederentdeckung zum einen dem Umstand geschuldet, dass sie sich an den europäischen Kunstbewegungen ihrer Zeit außerhalb Russlands orientierten, diese auch weiterentwickelten, und teilweise in westeuropäischen Ländern studierten oder lebten. Zum anderen aber hat auch die Frauenbewegung seit den 70er Jahren zur Sichtbarmachung beigetragen, indem sie auf allen gesellschaftlichen und künstlerischen Gebieten einforderte, dass die Leistungen von Frauen nicht länger übergangen werden. Vor zehn Jahren noch gingen die Guerrilla Girls, die als Gorillas verkleideten Aktivistinnen, die sich »Gewissen der Kunstwelt« nennen, mit einem Plakat an die Öffentlichkeit, auf dem die großen New Yorker Museen standen und die Zahl der Einzelausstellungen von Frauen, die dort stattgefunden hatten. Hinter dem Guggenheim prangte die verräterische Null.In den letzten Jahren ist im öffentlichen Kunstbetrieb sensibler mit dem Thema Frauen umgegangen worden. Auch die jetzt im Guggenheim Berlin zu sehende Ausstellung Amazonen der Avantgarde, die außer in Berlin auch noch in London, Venedig und New York gezeigt wird, ist diesem Umstand geschuldet. Selbst wenn sich hinter der Zusammenstellung der Bilder aus 30 öffentlichen und privaten Sammlungen, 16 davon aus russischen Regionalmuseen, ausgezeichnete Arbeit verbirgt, bleibt ein Unbehagen angesichts der auf engstem Raum zusammenge pferchten mehr als 70 Werke von sechs Künstlerinnen nicht aus. Werden doch von allen fast ausschließlich Bilder gezeigt, die in der Zeit zwischen 1910 und 1920 entstanden sind. Herausgerissen aus ihrem Entwicklungs- und Lebenskontext darf ein Blick auf ihre sicher intensive, aber auch kopierende und explorierende Suche nach einem eigenen Stil in diesen Jahren, in denen sie zwischen 20 und 35 Jahre alt waren, geworfen werden. Was sie später daraus gemacht haben, wie sich die äußeren Umstände ausgewirkt haben, wird nur in dürren Worten im Katalog erwähnt.Natalja Gontscharowa wird als erste vorgestellt. Ihr eigen sind die verspielte Loslösung und das gleichzeitige Festhalten an Themen, die mit der russischen Kultur, Tradition und Religion verbunden sind. In Proportionen und Farbgebung vereinfacht, wirken die Bilder, die Titel tragen wie »Apokalypse, Sabbat oder Salzsäule, Mäher oder Bauern ernten Trauben«. Letzteres überzeichnet die kubistische Technik: Die Figuren und die Trauben wirken wie Rohlinge einer Skulptur. Beeinflusst vom Futurismus, übernimmt sie kurz danach deren Industriefaible und versucht, es im visuellen Stakkato malerisch umzusetzen. Rayonismus, eine Idee, bei der Licht und Lichtreflexe die Oberflächenverzerrung der Bilder strukturieren, ist ein weiterer Schritt in die Abstraktion.Die Ukrainerin Exter, die wie Gontscharowa später in Paris im Exil lebte, kam sehr früh mit dem Kubismus in Kontakt. Ihre flächig aufgerissenen Stadtlandschaften oder Stilleben trotzen dem kubistischen Mainstream dennoch, indem sie sie sehr spielerisch durch Zeitungsausschnitte oder plakativ und primitiv wirkende Attribute ergänzt. Zu sehen sind Kompositionen, die das Gegenständliche als Suchbild zulassen oder Bewegung von Flächen, die miteinander zu kommunizieren scheinen. Immer steckt etwas Widerständiges in den Bildern, etwas, das die Wiederholung und den Rhythmus im Bild durchbricht. Wie viele ihrer Kolleginnen wendet sie sich in ihrem späteren Leben dem Kostüm- und Bühnenbildentwurf zu. 1924 emigriert sie nach Paris. »Wahrscheinlich habe ich mich von der Gegenwart entfernt«, schreibt sie 1929 »aber meiner Ansicht nach ist das besser, als jeder Mode nachzujagen.«Ljubow Popowa und Nadeschda Udalzowa studierten beide in Paris bei Le Fauconnier. Sie nahmen die kubistische Malerei als Herausforderung an und suchten ihren eigenen Umgang damit. Die nur 35jährig verstorbene Popowa, indem sie die Dreidimensionalität mit der Fläche in Einklang brachte. Bei ihren Raum-Kraft-Komposition verlängert sie das Bild durch aufgeklebte raumgreifende Rundformen. Udalzowa wiederum wurde die kubistische Malerei zum stillen Protest, hielt sie doch daran fest, als sie im Kulturdiktat der Nachrevolution bereits als formalistisch und kosmopolitisch abgestempelt wurde. Wie ihre Arbeiten aus dieser Zeit aussehen, verschweigt die Ausstellung.Warwara Stepanowa, die Jüngste der Gruppe, sie wurde 1894 geboren, wirkt bei ihrem Versuch, universale Sprachrhythmusgefühle zu visualisieren, wegweisend. Die ebenfalls jung verstorbene Olga Rosanowa wiederum verbindet Materialmix, Collage und ornamentale Flächigkeit mit einer Farb-Licht-Form-Suche. Mit ihren Bildern »Grüner Streifen« - ein scheinbar einfacher, hingeworfener Strich, der jedoch in sich gebunden und sich windend wirkt - oder ihren Farb-Flächen-Harmonien Gegenstandlose Komposition zeigt sie bereits auf die Kunstentwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg.Innerhalb weniger Jahre machten die vorgestellten sechs Frauen ihre Parforceritte durch die modernen Kunstrichtungen: weg vom Gegenstand, hin zur Abstraktion, weg von der Dreidimensionalität, hin zur Fläche, weg von der Abbildung, hin zur Konstruktion. Und manchmal auch wieder zurück.In Zeiten gesellschaftlicher Umbruchsituationen sind Frauen oft deutlicher präsent als in Zeiten, in denen sich das soziale Gefüge gefestigt hat. Dies erklärt sicher nur in Ansätzen, warum diese sechs Frauen neben ihren männlichen Kollegen als ebenbürtig stehen konnten und später auch nicht gänzlich unsichtbar gemacht wurden. Mit federleichten Sätzen wird im Katalog behauptet, dass die Frauen der westeuropäischen Modernisierungsbewegungen in der Kunst der Explosivität und Konzentration ihren russischen Geschlechtsgenossinnen nicht standhalten können. So wischt man über die mühsame Rekonstruktion und Forschungsarbeit vieler Wissenschaftlerinnen hinweg. Allein die Antwort auf die Frage, wieviele große Künstlerinnen sich beispielsweise Max Ernst einverleibt hat - sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinne - füllt Doktorarbeit um Doktorarbeit.Unter den Linden 13-16, bis 17. Oktober. 11-20 Uhr, Montag Eintritt frei. Führung täglich 18 Uhr. Katalog 352 S., brosch. 59 DM. Buchausgabe im Hatje Cantz Verlag, 98 DM
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