Meiner Ansicht müssen die Europäer zur Realität in den Bildern zurückfinden. .... Sie sind weit vorgedrungen im Bereich der Science Fiction, der Philosophie, aber nun scheint es mir, dass sie zur Realität zurückkehren möchten. Die Tatsache, dass die afrikanische Kunst momentan solchen Anklang in Europa findet, bestätigt diesen Eindruck." Dies sagt der 1936 geborene Fotograf Malick Sidibé aus Mali. Er spricht damit eine der zentralen Thesen der Ausstellung Portrait Afrika, die zur Zeit im Berliner Haus der Kulturen der Welt zu sehen ist, aus. Gezeigt wird ein Querschnitt durch hundert Jahre Fotografie aus Afrika. Nicht der westeuropäische Blick auf den Kontinent ist gemeint. Der, der durch Kolonisation, Ethnografie, Entwicklungshilfe und Sen
ilfe und Sensationsberichterstattung einen ganzen Teil der Welt gleichermaßen vereinnahmt und ausgesondert hat. Vielmehr zeigt die Ausstellung, wie afrikanische Fotografen und Fotografinnen Afrika sehen. Eine Perspektive die bisher vermutlich noch nicht einmal als fehlend aufgefallen ist. Sidibés Überlegungen aber sind auf zweifache Art eine Zuspitzung: Sie beanspruchen nicht nur die Verfügung über die Bilder, sondern auch die über die Interpretation der Bilder der anderen.Der Zufall will es, dass Sidibés Sicht an einer zweiten Ausstellung überprüft werden kann, die ebenfalls in Berlin derzeit unter dem Titel Das Versprechen der Fotografie zu sehen ist. In der Akademie der Künste werden nahezu 500 Exponate aus der Sammlung der DG Bank - eine der bedeutendsten modernen Fotosammlungen - gezeigt. Unter den 47 Fotografen so bekannte Namen wie Dieter Appelt, William Eggleston, Valie Export, Helen Levitt, Robert Mapplethorpe und Cindy Sherman.Fotografie hat ein künstlerisches, ein dokumentarisches und ein kommerzielles Standbein. In der afrikanischen Geschichte der Fotografie spielt die Möglichkeit, sich mit diesem Metier eine Existenz aufzubauen, die allergrößte Rolle. Portraits ziehen sich deshalb durch die ganze Ausstellung im Haus der Kulturen der Welt. Wenngleich heute nur noch die Namen der Fotografen wie beispielsweise Mama Casset (1908-1992) oder Abdourahmane Sakaly (1926-1988) bekannt sind, fällt doch sofort auf, dass nicht sie, sondern die Portraitierten, den Ton angeben. Ihr Blick in die Kamera ist direkt, sie setzen ihre Schönheit und ihre soziale Bedeutung in Szene. Selbstbewusstsein prägt das Verhältnis zum Bild. Dabei erzählen die Posen, die Wahl der Accessoires und des Blickes die wirklichen Geschichten. Die prächtigen, farben- und musterreichen Gewänder, kontrastieren mit nicht minder musterfreudigen Stoffbahnen, die als Hintergrund aufgespannt sind. Der Mensch taucht ein in einen grafischen Reichtum, symbolisch verbindet es ihn mit seiner Umgebung. Schmuck, mitaufgenommene Familienangehörige und Freunde oder das Portrait vor dem Auto, mit der Nähmschine, einem Reh oder der Sonnenbrille verweisen gleichermaßen auf die Person und ihre gesellschaftliche Einbindung. Dabei wird durchaus mit importierten Bedeutungsmustern gearbeitet. Besonders deutlich wird dies an den Gesten und Körperhaltungen, die immer wieder wie Zitate von Fotos westlicher Schauspieler wirken.Abgrenzung zum europäischen Blick und die gleichzeitige Verwertung der importierten europäischen und anderweltlichen Sehgewohnheiten und Vorlieben ziehen sich als Spannungsbogen durch die gesamte Ausstellung. Ein Foto von Cornélius Yao Azaglo Augustt, das auf 1950 datiert ist, bringt dies auf den Punkt: Das Portrait zeigt drei schwarze Frauen mit nackten Oberkörpern. Mit ihren Armen versperren sie die rückhaltlose Sicht auf ihre Brüste. In ihren Gesichtern spricht Missbilligung. Die Frauen bieten sich nicht an, obwohl sie den voyeuristischen Blick zitieren. Das Foto kritisiert wie Frauen zum Objekt an sich, zum Objekt des Bildes und zum Objekt der Ethnografie gemacht wurden.Der 1962 in Zentralafrika geborene Samuel Fosso zeigt ebenfalls eine Synthese der unterschiedlichen Selbstdarstellungsmöglichkeiten. Wenn er keine Aufträge hatte, machte er Selbstportraits, auf denen er auf westliche Weise und in westlicher Kleidung posierte. Wenig verwunderlich, dass er gerade mit diesen Bildern international bekannt wurde.Mit dem Aufkommen der seriellen Farbfotografie, so wird in der Ausstellung immer wieder betont, wurde den afrikanischen Fotografen die Existenzgrundlage entzogen. Viele haben ihre Studios geschlossen. Der 1958 geborene Philip Kwame Apagya hat eine eigene Lösung des Problems gefunden: Er hat sich von Künstlern farbige, dreidimensionale Hintergründe auf Stoff malen lassen: Wolkenkratzer von New York, ein Wohnzimmer mit Fernseher und Videoanlage sowie übervollem Kühlschrank, ein westliches Eigenheim oder die Kaaba von Mekka. Mit diesen zieht er umher. Die Begeisterung, mit der sich die Leute in diesen fantastischen Umgebungen aufnehmen lassen, zeigt, dass Fotografie mit großer Selbstverständlichkeit als konstruierte Wirklichkeit wahrgenommen wird.Die südafrikanischen Positionen der Fotografie sind - aufgrund der politischen Situation - eher einem dokumentarischen Auftrag verpflichtet, der allerdings seit dem Ende der Apartheid nach neuen künstlerischen Wegen suchen muss. Klassische Fotografie, bei der der Fotograf die Komposition bestimmt, kommt dagegen vor allem von den ostafrikanischen Inseln: Hände die ein Bündel Reis zusammenbinden, ein kippender Horizont, der einer vorgeneigten Frau entgleitet, Perspektiven, die die Verlorenheit des Menschen groß oder den Alltag bedeutungsschwer machen. Ein Karussell in der afrikanischen Steppe. Der Schatten des Holzpferdes wirkt wie die flüchtende Antilope. Konzeptuelle Positionen jüngerer Fotografen benutzten ebenfalls oft das Portrait als zentrales Bildthema. Durchschossene oder überblendete Portraits stellen Fragen nach der Geschichte und Identität.Das Versprechen der Fotografie schreit danach, dass etwas Konkretes eingelöst wird. Dies wird sich als Illusion erweisen, wohl aber wird die Banalität der hochgelobten und hochdotierten Arbeiten durch Fragen, die die Ausstellung "Portrait Afrika" aufwirft, in ein ganz neues Licht gestellt. Während sich Darbhovens Fotos ihrer endlos wiederholten Skriptmetaphern im Sinne Sidibés ganz sicher von der Realität entfernt haben, bieten die beiden weiblich kodierten Geschlechtswesen Eva Adele in ihrer identischen Verkleidung schon mehr Reibungsfläche. Sie stellen sich in ihren Kostümierungen zur Schau. Sie sind das Objekt, das von Unbekannten fotografiert wird. Die Schnappschüsse der Fotos, die ihnen wieder zugeschickt werden, stellen sie aus. Damit aber drehen sie die Hierarchie zwischen Fotograf und Portraitiertem in ähnlicher Weise um, wie dies in der afrikanischen Fotografiegeschichte zu verfolgen ist.Vom belgischen Fotografen Michel Francois werden Bilder gezeigt, die sehr deutlich machen, wie leicht eine Vereinnahmung anderer Kulturen geschieht: Riesig vergrößert wurde der rasierte Hinterkopf eines schwarzen Kindes neben die Aufnahme eines Erdloches im Sand gehängt. Der Kopf wölbt sich geschmeidig nach außen. Das Erdloch nach innen. Ob die ästhetische Überlegung des Künstlers über das Konvexe und Konkave hinausgeht, bleibt unbeantwortet. Genauso unbeantwortet bleibt, warum es der Kopf eines schwarzen Jungen sein muss. "Wem gehört das Bild?" ist eine Frage, die sich hier nicht stellt. Wohl aber bei den großen Portraits herausfordernd dreinblickender Teenager der Video-Künstlerin Marie-Jo Lafontaine. Die Mädchen überzeugen. Die Fotografin aber drückt ihnen ihre künstlerische Signatur auf, indem sie die Iris jedes Mädchens leicht einfärbt.Möglicherweise hat Sidibé recht: Die Europäer wollen zurück zur Realität im Bild. Mehrere Fotografen experimentieren mit dem amateurhaften Blick auf die Dinge und ästhetisieren ihn. Bildergeschichten von Tamara Grcic, Wolfgang Tillmans und Jitka Hanzlova zeigen beiläufig aufgenommene Menschen und Gegenstände. Essen kurz vor dem Verfall, Frauen auf Balkonen oder im Schnee, verschwommene Blicke auf die Stadt.Die größte Übereinstimmung zwischen den beiden Ausstellungen verbinden jedoch den nördlichen Zipfel Europas mit Südafrika. Der Finne Esko Männikkö hat Leute in ihren bescheidenen Wohnungen fotografiert. Trotz aller Armut beanspruchen sie ein Menschsein, dem sie ihre persönliche Würde geben. Bescheidene Farbigkeit wird durch Stoffe an den Wänden, über den Tischen oder Betten erreicht. Das Vorhandene ist das Gegebene. Genau dies zeigt auch Zwelethu Mthethwa, der Menschen in Südafrika in ihren individuell gestalteten Townshiphütten abgelichtet hat. Das Zusammengetragene wird zum Besitz, Werbeplakate werden zu Tapete. Durch die Wiederholung der identischen Plakate an den Wänden entsteht ein grafisches Muster, das jedem Raum sein persönliches Ambiente gibt. Würde wird zum Recht auf Individualität. Weder bei Männikö noch bei Mthethewa verspricht die Fotografie irgend etwas, weil deutlich wird, dass nicht sie, nur das Leben es einlösen kann."Portrait Afrika", bis zum 12.3.2000 im Haus der Kulturen der Welt, Berlin, John-Foster-Dulles-Allee 10 "Das Versprechen der Fotografie" bis zum 5.3.2000 in der Akademie der Künste Berlin, Hanseatenweg 10 1
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