Leere Hüllen

REIZTHEMA Leni Riefenstahls Olympia-Fotos in Berlin

Derzeit werden Riefenstahls Fotos von den Olympischen Spielen 1936 in der Galerie "Camera Work" gezeigt. Es ist die erste Riefenstahl-Ausstellung in Berlin nach 1945. Im Grunde ist schon alles über diese Bilder und über die Fotografin gesagt worden. Auf drei Arten wird den Arbeiten und der nunmehr fast Hundertjährigen, die noch immer von allem nicht viel gewusst haben will, begegnet. Von den Ewiggestrigen werden Riefenstahl und in Folge auch ihre Bilder verehrt. Andere versuchen, das Werk von der Person und den Umständen, unter denen es entstanden ist, zu trennen. Die Fotos sind ihnen Kunst, die Frau interessiert sie nicht. Die Dritten aber finden die Fotos schlecht, weil sie möglicherweise tatsächlich schlecht sind oder weil sie den Opportunismus der Fotografin und deshalb auch ihr Werk nicht ertragen.

Von diesen drei Haltungen teile ich letztere. Was also kann ich - angesichts meiner Überzeugung - noch über Riefenstahls Fotos schreiben?

Wenig überraschend finde ich die ästhetisierten Leiber, die alle Kraft und Konzentration in einem Augenblick - dem des Siegenwollens - festhalten, unerträglich. Sie langweilen mich. Jede menschliche Zwiespältigkeit ist ihnen genommen. Jede Spannung, die in der Unsicherheit und im Zweifel liegt, ist ihnen fern. Die Athleten und Athletinnen werfen ihre Speere, ohne zu schwanken. Exakt nach Vorschrift winden sie sich um Diskusscheiben. Ihre Turmsprünge vollführen sie in der richtigen Achse zum Horizont, und energievoll tauchen sie ins Wasser ein. Keiner von ihnen wird je die Kontrolle verlieren. Kein Zufall, keine Schwerfälligkeit, kein störendes Beiwerk lenken von ihrer überhöhten Körperlichkeit ab. Hier ist nicht Alltag, hier herrscht der Ausnahmezustand des Banalen. Denn ein Körper ohne Menschsein ist banal. Oder gefährlich. Diese Bilder funktionieren bestenfalls wie Modefotografie: Form ist Inhalt. Dass sich dahinter Ideologie verbirgt, will immer geleugnet sein. Damals ging es um den Körper als Gott. Da störte es nicht, dass Jesse Owens schwarz war. Heute ist Gott auf andere Weise ein Gleichmacher: Er heißt "Konsum".

Das Besondere nun der Ausstellung in der Berliner Galerie: Sie bringt alles zusammen: Riefenstahl, Körperkult, die Trennung von Kunst und Geschichte und Kommerz. Denn um nichts anderes geht es: Für Riefenstahls Bilder gibt es Käufer. Ihre Bilder bringen Geld. Ungefähr 2.500 Mark für einen neuen Abzug. Da hört die Moral auf.

Die Ausstellung - und sei der Impetus des Ganzen noch so sehr der des Geldes - ist eine verpasste Chance. Riefenstahls Bilder hätten einer Reihe von Fotos gleichaltrigen Fotografinnen gegenüber gestellt werden können. Nicht im selben Raum, denn vermutlich hätten die meisten mit Riefenstahl nicht an einem Tisch essen wollen. Aber spätestens heute - mehr als ein halbes Jahrhundert später - müssten sie da sein dürfen: Ilse Bing, Lotte Jacoby, ringl pit, Lisette Model, Marianne Breslauer, Gisèle Freund, und wie sie alle heißen. Die Großen jener Zeit, die fast alle emigrieren mussten. Weil viele von ihnen Jüdinnen waren. Und weil sie den Menschen abbildeten, nicht die ihm nachgebildete Form. Im Kontrast mit diesen könnten alle es sehen: Riefenstahls Bilder zeigen Hüllen, wo Menschen gemeint sind. Und mit etwas Glück, würde sich die Frage stellen: Was macht ein Bild wertvoll?

"Ich verehre Leni noch heute", sagt ein alter Galeriebesucher voll angespannter Erregung zu mir. "Wozu", frage ich und lasse ihn stehen.

Galerie "Camera Work", Kantstr. 149, bis 24 Juni. Katalog im Privatdruck 98,- DM

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