Immer dasselbe, Anfang Januar: Jene Zeitschriften und Magazine, die entweder ober- oder unterhalb meines Blickfelds in den Kioskregalen lauern, versuchen, mit exklusiven Jahreshoroskopen ihre Verkaufszahlen aus dem Keller zu treiben.Sogenannte Frauenzeitschriften – shoppingfördernde Publikationen wie Petra, Jolie oder Elle – werben mit Sonderseiten oder Extrabooklets: „Wie Sie im neuen Jahr Ihr Glück finden.“Und dann gibt es da noch wundersame Spezialmagazine für Engelgläubige und Tarotjunkies. Sie heißen Astro- oder Zukunftsblick – ähnlicher Titel, gleiche Aufmachung. So gruslig, dass ich direkt mal zugreife.
Von Seite 1 des Astroblicks starrt mir die Hellseherin Fabienne durch ihre dicken Brillengläser direkt in die Seele. S
enne durch ihre dicken Brillengläser direkt in die Seele. Sie will mich durch die dort verschütteten Areale begleiten. Sollte mir das nicht reichen, wirbt der Zukunftsblick mit kosmischer Blockadenlösung, unterstützt von einer solariumgebräunten Snezana Jordan. Klingt irgendwie nach Angela Merkels Neujahrsansprache, in der gerade einmal wieder die europäische Friedensordnung infrage gestellt wurde. Vielleicht ist das ja das größte Kompliment, das man unserem Land machen kann: dass die Kinder Verfolgter hier ohne Furcht in die Sterne schauen können.So, soIch bin im Sternzeichen des Löwen geboren. Bezüglich meiner persönlichen Aussichten für das Jahr 2015 herrscht unter den Illustriertenastrologen Uneinigkeit: Die einen raten mir zu Rückbesinnung und Konstanz, die anderen warnen vor Schüchternheit und Zurückhaltung. Mal wieder ein Abenteuer wagen? Etwa einen Existenzgründerzuschuss beantragen? Oder einfach zurücklehnen und den Kosmos, das große Ganze für mich arbeiten lassen? In den parfümierten Fummelblättern Vogue und Glamour werden die Hilfestellungen schon konkreter: Ich solle den Menschen vergeben, die mir 2014 wehtaten. Das sei auch nötig, um mich endlich voll und ganz auf die Karriere zu konzentrieren. Denn dort warteten große Dinge auf mich. Ich müsse eben nur endlich erkennen, dass ich besser sei als mein Umfeld. Nach zehn Jahren Hartz IV ist also auch die Astrobranche der Agendarhetorik erlegen? So, so.Ich erfahre, dass ich „eine Sache gar nicht oder mit ganzer Kraft“ anpacke. Meine Arbeitsmoral sei geradezu vorbildlich. Besonders in der ersten Jahreshälfte würde ich mich durch meinen Ehrgeiz von den Kollegen abheben und die Konkurrenz problemlos ausstechen können. Kurz wird mir schummrig bei dem Gedanken, dass anderen Löwenlesern just in diesem Moment womöglich ebenfalls die Brust anschwillt und wir uns morgen früh gegenseitig den Kampf ansagen werden.Ich erkenne eindeutig die Arbeitsmoral im Sinne Gerhard Schröders wieder: Erzähl den Menschen, sie seien erfolgreich, wenn sie es nur wirklich wollen, dann strengen sich auch alle mehr an. Zack! Plötzlich läuft der Laden. Die immer aufs Neue ausgerufenen, hysterischen und sich stets verlässlich widersprechenden Wirtschaftsprognosen fallen mir ein: Aufschwung ja oder nein oder wie oder was? Vielleicht sind die Wirtschaftsweisen noch viel paranoider als meine kosmischen Berater.Aber wer wird denn gleich übermütig werden? Ich „konzentriere mich besser wieder auf das Hier und Jetzt“, wie es das Jahreshoroskop der Glamour rät. Es stammt von dem „kosmischen Beraterteam“ und „berühmten Astrologen-Paar“ Stella Starsky und Quinn Cox. Geht es nach ihnen, wird 2015 gnädig mit mir sein, ich werde „veraltete Prinzipien und Lebensweisen verabschieden“ und endlich der Mensch sein, der ich schon immer sein wollte. Hätte ich mir den ganzen Erich-Fromm-Yoga-Sauna-Bio-Zirkus womöglich sparen können? Ich müsse einfach nur mehr „ich selbst sein“ und mich nicht länger verstellen. Sofern ich nichts „auf die lange Bank schiebe“, werde alles „in Butter sein“.Liebe Stella Starskys und Quinn Coxs dieser komischen Welt: Wie stellt ihr euch das eigentlich genau vor? Ihr gebt mir im Januar Ratschläge für den Weg durch die kommenden zwölf Monate. Aber die soll ich dann wieder ausblenden, um „weniger in Eventualitäten zu schwelgen“? Wie soll das denn gehen, wenn ich seit heute ja schon weiß, dass es vor dem 18. Januar holprig für mich wird, die Dinge sich aber ab 23. Januar wieder zum Guten wenden werden, bis schließlich im Herbst meine Beziehung zerbricht und ich mir am besten jetzt schon mal überlege, was ich im Jahr 2016 mit der vielen Zeit für mich allein anfange?Ja, jaIch seh schon: Auf die Ratschläge aus dem Kosmos ist auch kein Verlass mehr. „Folgen Sie denen nicht!“, hallt es aus Merkels Rede noch in meinen Ohren nach. Und ich finde tatsächlich: Stella und Quinn, ihr seid verdammte Astronazis! „Löwen sind überheblich, Stiere stumm und stur, Skorpione hinterhältig, Wagen verzärtelt, Widder brutal und Fische verlogen“: Klingt alles nach voll heidnischen Gefahrenlagen für das christliche Abendland. Man könnte auch sagen: Es gibt durchaus einen gewissen Sternzeichen-Rassismus. Moment mal: Hatte Adolf Hitler nicht auch einen Hausastrologen? Ja. Und plötzlich ergibt alles wieder einen Sinn!Vielleicht ist die Astrolobby viel mächtiger als allgemein angenommen. Immerhin verteilte die Bundesagentur für Arbeit schon Bildungsgutscheine für Astrologen. Ja, wenn’s in der beruflichen Laufbahn zu schlimmen Verwerfungen kommt, kann man sich, mit Steuergeldern bezahlt, zum Sternegucker umschulen lassen. „Der Kosmos spiegelt mit Exaktheit wider, was der Mensch braucht, um sich optimal zu entwickeln“, heißt es vonseiten der staatlich geförderten Astroausbilder.Den Menschen schmierig wohlklingende Lebensberatung aufzuschwatzen, um die „kosmischen Blockaden“ auf dem Arbeitsmarkt aufzulösen: Ist doch ekelhaft. Das lass ich mir nicht mehr gefallen, ich bin ja ein stolzer Löwe.