Sie trafen sich 1973 in Rostock. Der Holzschneider HAP Grieshaber war mit der Lyrikerin Margarete Hannsmann im Juni aus Reutlingen zur Ostseebiennale gekommen. Grieshaber hatte auf dem legendären Buchbasar in der Kröpeliner Straße einen Signiertisch. Gegenüber saß Franz Fühmann. Dessen Prominenz beschränkte sich für die beiden Württemberger nicht auf den Ruf eines "Dissidenten". Sie kannten seine Erzählungen und Gedichte. Dort sitzt dein "Jongleur im Kino", sagte Grieshaber auf den Titel einer Fühmannschen Erzählung anspielend zur Hannsmann, geh hin, hol' dir ein Autogramm. Grieshaber war ein häufiger Besucher der DDR. Er übte sich in einer stillen Kulturdiplomatie, die erfolgreich Barrieren überwand. Bei seinen vie
Mach deine Sachen, zum Teufel
ER IST UNTER TAGE Der Briefwechsel zwischen Franz Fühmann, Margarete Hannsmann und HAP Grieshaber
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vielen DDR-Fahrten chauffierte ihn seine Lebensgefährtin Margarete Hannsmann. Aus der Episode auf der Kröpeliner Straße wurde eine Freundschaft zwischen Fühmann, Margarete Hannsmann und Grieshaber. Ein aufschlussreicher Briefwechsel gehört dazu, der nun nachlesbar ist. Fühmann hatte seine persönlichen Dokumente eigentlich länger sekretiert sehen wollen. "Schreib das auf, wie das mit meinem Vater war", berichtet Margarete Hannsmann von Tochter Barbara Richter-Fühmann, "dann darfst du seine Briefe dazwischen streun."Das Konvolut der beinahe zweihundert gegenseitigen Mitteilungen beginnt im Sommer 1977 mit einem Fühmannbrief und endet am 2. Juli 1984 mit einer Postkarte Fühmanns an Margarete Hannsmann: "- zum 5. Mal unters Messer, jetzt rasieren sie mir den Bauch. Pfüat enk! Franz". Einige Tage später stirbt Fühmann in der Berliner Charité an seiner langen Krankheit. Margarete Hannsmann, die Überlebende des Bundes, - Grieshaber starb 1981 -, hat mehr getan, als den Briefwechsel nur herauszugeben. Sie erinnert zwischen den Dokumenten ein Stück Biographie. Die Hannsmann, von Temperament und Texten zuerst Lyrikerin, also geprobt, oder verurteilt, sich zu bekennen, hat dem Ganzen die Überschrift Protokolle aus der Dämmerung gegeben. Ein Ort wird bezeichnet, Jahrzehnte sind vergangen, mit ihnen Personen und gründlich auch die Verhältnisse, in denen sie lebten und wirkten. "Es handelt sich um unsere jüngste Geschichte, die eben zu Ende gegangen ist..." Ihr Bericht schließt auf, was sonst kaum zu erfahren wäre, manchem vielleicht zu sehr eine eigene Geschichte, doch das zählt heutzutage gering oder eigentlich überhaupt nicht. Viel zu oft fällt Literatur in der Rückschau aus dem lebendigen Zusammenhang und wird zu einer Sache nach Aktenlage, als wären nicht die Erfahrungen der Beteiligten für das reale Bild unverzichtbar. Diese Malaise der Literaturgeschichtsschreibung kumuliert im Fall der in der DDR geschriebenen Literatur. Der Zusammenbruch des Staates und das Verschwinden der dahinter stehenden Machtkonstellation ließ die Politik reagieren, wie Politik reagiert: Haltungen erwiesen sich als eine nach Maßgabe der Verhältnisse definierte Sache; dass allerdings ein Teil der westdeutschen Betrachtung ostdeutscher Literatur ähnlich handelte, war eindrucksvoll. Nicht der unwesentlichste Schub der neuen Interpretationsmodelle war administrativ. Ein großflächiger Personalaustausch an ostdeutschen Universitäten, Akademien oder Dramaturgien sicherte ihn, als sei das hinzugekommene Land ein intellektuelles Entwicklungsland. Der Verlust an gegenständlicher Erfahrung war ein brauchbarer Nebeneffekt.Man spürt dem Begleittext von Margarete Hannsmann die Beunruhigung an, was aus dem diffizilen deutsch-deutschen Literaturkapitel werden könnte. Der zunehmende Geschichtsverlust marginalisiert auch die eigene Biographie. "Die DDR war damals noch kein Ort für den Mythos", sagt sie und fürchtet, "in der Wüste des nächsten Jahrtausends sind unsere Ereignisse zu Sandkörnchen geschliffen, doch ich muss meines zu Ende leben nach dem Gesetz, nach dem ich angetreten, das uns Zugemessene, von uns nicht Ausgewählte sortieren, zusammenscharren..." Am Anfang räumt Margarete Hannsmann mit einem eigenen Mythos auf. Sie war keineswegs, wie auch von ihr dargestellt, die Hauptperson in Grieshabers letzten Lebensjahren. Es gab eine andere Frau, und sein Sterben überließ Grieshaber der Familie. Das schmerzte tief. Die Hannsmann redete mit Fühmann, wie es sich die beiden auf der Kröpeliner Straße nicht hatten vorstellen können und wie es doch zu erwarten war, wenn eine "Beziehung" entsteht. "Sollte ich so spät anfangen zu lernen, was Eifersucht ist", hatte sich Margarete Hannsmann noch 1977 ermutigt. Zwei Jahre später fühlt sie sich verlassen, nutzlos, sieht sich mit der anderen Frau in Auseinandersetzungen verwickelt. Fühmann wird zum "Rettungsanker". Der versucht sie zu halten, nach Art eines klugen Menschen, eines klugen Schriftstellers. Wer sie doch sei, was sie doch noch zu schreiben habe: "Mach Deine Sachen, zum Teufel." Manchmal dauert die Hannsmann Fühmann so, dass er grob wird. Brief vom 22. 6. 1980: "Es ist wirklich nicht erträglich, und ich rede so grob mit Dir (noch nicht grob genug wahrscheinlich), um zu verhüten, dass Du Dich in einen Zustand hineinjammerst, wo kein Mensch Dich mehr brauchen kann, und Du dich am wenigsten selbst." Es ist eine der Situationen, die sich Vernunft und Logik verschließen. Die Hannsmann macht Gedichte, flieht, reist, dann ist Grieshaber tot. Doch nun ist der kluge, rauhe, feine Fühmann unten. Die Leute um ihn, ein paar Kollegen wissen, dass er todkrank ist, nur er scheinbar nicht. Fühmann macht Lesungen, setzt sich für Uwe Kolbe ein, führt seinen Kampf mit dem verkrusteten DDR-System, lebt und arbeitet, als existiere das Unentrinnbare nicht. Ist es notwendige Illusion oder Todesverachtung? Einmal wenigstens erlaubt sich auch Fühmann die Hoffnung auf ein Wunder. Vielleicht könnte Margarete Hannsmanns Schwiegersohn, ein Arzt in München, die Wende noch bringen, die sich in der Berliner Charité nicht einstellen will. Nun ist Margarete Hannsmann außen, geht mit ihm in der Weise eines klugen Menschen, einer klugen Schriftstellerin um, redet grob, redet liebevoll mit ihm. Du wirst in immer kürzeren Abständen krank, sagt sie, "weil Du meistenteils unmenschlich lebst", nichts sei "blöder als an der Dummheit zu sterben". Dann der letzte Brief an Fühmann, 3. Juli 1984: "... was sag ich jetzt so einem Gefährdeten, der alles Menschenmögliche getan hat und tut, nicht das Handtuch zu werfen und zwischen den Zeilen doch brüllend haucht vom Sichdavonmachen?"Die Briefe kommen aus dem Schlusskapitel von Fühmanns Suche nach einem archimedischen Punkt für die Welt. Fühmann ist nach Temperament und Generation solch ein Mann. 1922 im böhmischen Rochlitz geboren, wird er Jesuitenzögling, SA-Mann, Kriegsfreiwilliger, in sowjetischer Kriegsgefangenschaft "Antifa-Schüler", 1950 in der DDR Mitglied einer "Blockpartei", verlässt sie einige Jahre später und rechnet wieder ein paar Jahre später zu den "Dissidenten". Ist diese Biographie nun endlich an der rechten Stelle, als sie sich von der "DDR" und ihrem realen Sozialismus abstößt? Fühmann teilt weder den westlichen Beifall noch lässt er sich von den östlichen Repressionen beeindrucken. Sein Ziel hat keine politische oder ideologische Intention mehr. Für ihn zählt allein das "Werk". Doch was ist das? Fühmann legt sich für die Antwort unerbittliche Askese und Anstrengung auf. Er verlässt die komfortable Berliner Wohnung und geht nach Märkisch Buchholz, wo er in einem elenden Kiefernwald eine elende Hütte besitzt. Das Ding ist kaum zu heizen, die sanitären Verhältnisse sind unbeschreiblich, zum Telefonieren muss er in die Werkstatt eines Nachbarn, und ruhig ist es hier draußen auch nicht. "Schwester, in den Lüften heulen seit 5 Wochen ununterbrochen die Düsenflieger, ringsum heulen die Motorsägen der Holzfäller, mein Nachbar überm Hügel haut Bäume zusammen und baut irgendwas, und die Motorräder heulen vorbei, und gelegentlich mal ein Auto, und im Wald gehn Pilzesucher aus Sachsen mit Heulen um den Hals, draus schreit Heino, das ist der Frieden", schreibt er Margarete Hannsmann im Juli 1978. Aber was treibt ihn in dieses Milieu? Vielleicht ist es etwas Unterschwelliges. Vielleicht ist es seine katholische Grundierung, die das Purgatorium als Ort der Reinigung und Größe vorhält. Barock ist Fühmann allein von Gestalt und Gesicht. Sonst ist er ein Asket. In der Welt der Sinne war er eine Zeit lang Alkoholiker.Natürlich hat Fühmann mit der DDR und dem faktischen Sozialismus reale politische Konflikte. Zu keinem geringen Teil ist er unnachsichtig aus enttäuschter Zuneigung. Aber wie eine Mutter, die ihr Kind beschützt, schützt er vor allem das eine, das alles ist, das "Werk". Fühmann attackiert tatsächliche und vermeintliche Bedrohungen. Er macht sie im "Osten" und im "Westen" aus. Er ist großartig und kleinlich, diplomatisch und unverbindlich. Er greift Leute an, die es verdienen und gießt über andere seinen biblischen Zorn unverdient aus. Als die Kritikerin Annemarie Auer, die der DDR-Literatur manchen Spielraum öffnete, sich das von Fühmann immer eingeklagte Recht einer abweichenden Meinung nimmt und zu Christa Wolfs Kindheitsmuster eine abweichende, dumme Meinung hat, saust vor den Augen der Hannsmann der Bannstrahl herab: "Ihr habt eure Bildzeitung, wir unsere Auers ..." (10. Oktober 1977). Der Verleger Unseld verlangt von ihm einen Kotau, den er nicht macht. Fühmann hat unzählige Zusammenstöße mit der Kulturbürokratie der DDR. Er boykottiert den Schriftstellerverband. Er kann mit seinem Leipziger Verleger Hans Marquardt, und er kann mit ihm nicht. Fühmanns Begleitessay zur Ausgabe der Trakl-Gedichte, die er im Leipziger Reclam-Verlag mühevoll auf den Weg gebracht hat, wächst sich zu einem existentiellen Exkurs über "Dichtung" und die eigene Position aus. Er wird dreimal so lang, als ursprünglich verabredet. Reclam nimmt den Text so nicht an. Nach 1989 wird ein Fühmann-Verwalter glasklar wissen, es könne sich allein um "Zensur" gehandelt haben. Fühmann sagt der Hannsmann Anfang 1980, zwar sei "das Wesentliche liquidiert, aber dann hab ich gesagt: Was soll ein Alles-oder-Nichts...". Und er sagt ihr, dass "das Trakl-Ding" misslungen ist, keine Autobiographie sei, "die wird das eigentliche Werk meines Lebens, auf die läuft alles hin.""Misslungen" ist der Trakl-Essay nach seiner Meinung, weil nur halb in ihm steht, was er ganz aussprechen will. Es führt eine gerade Linie von der Terminologie der "entarteten Kunst" zur Kulturpolitik der DDR. Es fehlt ein "Ich-Kapitel", das zeigt, wie ihn der Zerfall der Hoffnungen Anfang der 50er Jahre "zum Saufen zurückgebracht hat". Und über Trakl hinausgreifend müsste beschrieben werden, dass die Liquidierung des Prager Reformsozialismus 1968 den eigentlichen "Bruch" darstellt. Aber dann, erfährt Margarete Hannsmann, könne das "Ding" hier nicht erscheinen, er nicht mehr in der DDR bleiben, und nun komme "die eigentliche Scheiße, jetzt kann ich sie Dir mal wunderschön zeigen: das Ding ist nämlich für euch gar nicht interessant..." Fühmann rollt den Stein noch einmal nach oben. Jetzt heißt die zu verrichtende Arbeit Das Bergwerk. Der Entwurf dafür geht Jahre zurück. Das Bergwerk als Synonym für Ordnung und jederzeit möglichen Zusammensturz, von Mühe und Vergeblichkeit, das Bergwerk als Gleichnis unserer Existenz. Es soll das opus magnum werden, das alles zwingt.Fühmann schreibt als einer, der bei seiner Arbeit nicht den lichten, nicht einmal den grauen Himmel über sich hat, er ist "unter Tage". Vielleicht wird es ihm gelingen, sich herauszuarbeiten. Das Werk bleibt Fragment. Ist es nicht die Antwort, die Wahrheit des Versuchs? Wie hoch darf man greifen? Was macht dabei den Menschen und was zerstört ihn? Die ausstehenden Antworten des Projektes könnten die Fragen sein, die Fühmanns Schicksal, seine Lebensführung, die Psychologie des Mannes, seine Philosophien hinterlassen haben. Fühmann, hoch interpretiert, überaus instrumentalisiert, ist wohl erst noch zu entdecken. Hier ist Material dafür. Fühmann provoziert den pragmatischen Zeitgeist.Margarete Hannsmann: Protokolle aus der Dämmerung" 1977 - 1984. Begegnungen und Briefwechsel zwischen Franz Fühmann, Margarete Hannsmann und HAP Grieshaber. Mit Anmerkungen von Brigitte Selbig. Hinstorff Verlag, Rostock 2000, 407 S., 49,90 DM
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