Ein Fall bewusster Plünderung

Die merkwürdige Privatisierung der Energie Baden-Württemberg AG Wie der französische Stromkonzern EDF seine Stimmenmehrheit bekam und sie nun gegen die Beschäftigten durchsetzt

Am 19. Januar 2000 unterschrieb der baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel mit dem Finanzchef der Electricité de France (EDF) den Kaufvertrag über 25,01 Prozent der Anteile an der Energie Baden-Württemberg (EnBW). Der Ministerpräsident und seine CDU ließen sich wegen ihrer Cleverness loben: Sie hatten dem größten Energieversorger im Ländle den lange ersehnten "strategischen Partner" verschafft - EDF ist der größte Stromkonzern der Welt. Eine bessere Sicherheit für das Überleben im deregulierten Energiemarkt konnte es scheinbar kaum geben. Und dafür wurde noch der clever herausgeholte Kaufpreis von 2,4 Milliarden Euro in die Landeskasse gespült.

Mehr als dreieinhalb Jahre später, am 10. Oktober 2003, versammeln sich 2.500 Besucher in der Stuttgarter Liederhalle zur Betriebsversammlung der EnBW. Der aus Paris eingeflogene Arbeitsdirektor Bernhard Beck wiederholt in sanften Worten den entnervten Beschäftigten die knallharte Botschaft, die sie schon seit Wochen auf dem Tisch haben: EnBW habe im ersten Halbjahr 2003 eine Milliarde Verlust gemacht, in den nächsten drei Jahren müsse diese Milliarde eingespart werden. Auf die Beschäftigten sollen davon 350 Millionen Euro entfallen. Das müsse aber nicht automatisch Entlassungen bedeuten, der Vorstand biete vielmehr als Teil eines betrieblichen "Top-Fit-Programms" einen Mix verschiedener Personalmaßnahmen an: Viertagewoche ohne Lohnausgleich, Frühverrentungen, Streichung aller betrieblichen Sozialleistungen, vielleicht auch einige betriebsbedingte Entlassungen und so weiter.

Der verstörte Betriebsrat hat ausgerechnet, dass diese Top-Fit-Kur jeden der 13.000 Beschäftigten im Durchschnitt 27.000 Euro kosten würde. "Mit dem Top-Fit-Programm wird EnBW vielleicht wettbewerbsfähig, aber wir verhungern dabei", so ein Kommentar aus der Belegschaft. Im Offenen Brief des neuen Vorstandschefs Utz Claassen an die Belegschaft heißt es mitfühlend, dass die Beschäftigten ohne Schuld und die "Maßnahmen sicherlich auch ungerecht" seien. Wer aber hat Schuld? Da bleibt es bei diffusen Andeutungen in Richtung des bisherigen Vorstandschefs.

Mit dem bis Mai dieses Jahres amtierenden Chef Gerhard Goll schien der Aufstieg von EnBW mithilfe des "strategischen Partners" EDF eine sichere Sache. Goll, aus Teufels Staatskanzlei kommend, wollte EnBW zur ersten Adresse unter den deutschen Stromkonzernen machen. Der subventionierte Billiganbieter Yello Strom warb bundesweit eine Million neuer Stromkunden. Neckarwerke Stuttgart, Stadtwerke Düsseldorf, Versorgungsunternehmen in Meißen, Budapest, Warschau: europaweit wurden Anteile aufgekauft. Es ging nicht nur um Strom, sondern auch um neue Geschäftsbereiche wie Gas und Wasser, zum Beispiel beim Aufkauf der Energieversorgung Sachsen Ost und beim Einstieg in die Energie- und Wasserwerke Bautzen. Als Goll bei der Aktionärsversammlung im April 2003 im angenehmen Alter von 60 Jahren seinen Posten abgab, durfte er unter dem Beifall des Ministerpräsidenten sein Erfolgsbilanz präsentieren: EnBW sei zum drittgrößten Energieversorger aufgerückt und "gut aufgestellt". Der Umsatz sei im vergangenen Jahr um zehn Prozent, der Gewinn auf 280 Millionen Euro angestiegen.

Drei Monate später sah alles ganz anders aus. Nachfolger Claassen verkündete den Milliardenverlust und die Top-Fit-Hungerkur. In Wirklichkeit wurde aber nicht weniger Strom verkauft, auch den aufgekauften Tochterunternehmen wie den Neckarwerken Stuttgart geht es gut: Sie sind finanziell so gesund wie seit 40 Jahren. Aber auch deren Beschäftigte sollen in die Topfit-Kur hineingezwungen werden.

Eine solche Vorgehensweise ist inzwischen Routine. Beispiel Deutsche Telekom: Der frühere Vorstand expandiert, kauft reihenweise andere Unternehmen auf, man muss ja wettbewerbsfähig werden. Das Bilanzvolumen schwillt an, und noch schneller steigen die Vorstandseinkommen. Dann wird der alte Vorstand entlassen, mit einem goldenen Handschlag, versteht sich, und der neue Vorstand nimmt eine rabiate Wertberichtigung vor. Die liefert der Wirtschaftsprüfer auf Bestellung. Plötzlich ist ein riesiger Verlust da, er gibt bei der Telekom und nun bei EnBW die Begründung her für ein rabiates Sparprogramm, damit das Unternehmen wieder wettbewerbsfähig werde. Beschäftigte werden entlassen, und denen, die bleiben dürfen, wird das Einkommen gekürzt.

Des Rätsels Lösung liegt nicht in den angeblichen Verlusten, sondern in den zu niedrigen Gewinnen und den geplanten weiteren Privatisierungen. Der neue Vorstandschef will EnBW im nächsten Jahr an die Börse bringen. Da sind 1.000 Beschäftigte weniger mindestens zehn Euro mehr beim Ausgabekurs. Aber dieses Ziel ist noch nicht alles. EDF wird von der französischen Regierung ebenfalls für die Privatisierung hergerichtet, der Börsengang ist schon für Ende dieses Jahres geplant. Die Einnahmen des französischen Staates sollen dabei möglichst hoch ausfallen. Mitte Oktober gab EDF bekannt, der Gewinn im ersten Halbjahr betrage lediglich sechs Milliarden Euro. Lediglich. Das sei zwar gut, aber nicht genug. Denn um auf den neuen Märkten wie in Russland und Westeueropa wettbewerbsfähig zu werden, sei noch mehr Gewinn nötig.

Das Diktat über EnBW geht weit über das hinaus, was nach dem Anteil von EDF eigentlich möglich ist. Zwar hat EDF zwischenzeitlich die 25,01 Prozent durch kleinere Zukäufe auf 34,5 Prozent erweitert. Dennoch verfügt der französische Konzern geheimnisvollerweise über eine Stimmenmehrheit von 69 Prozent. Wie sich erst kürzlich herausstellte, wurde der ursprüngliche Kaufvertrag erst wirksam, als die Oberschwäbischen Elektrizitätswerke (OEW) mit ihrem 34,5 Prozent-Anteil an EnBW sich verpflichtet hatten, immer gemeinsam mit EDF abzustimmen. Hier hat offenbar die baden-württembergische Landesregierung unter dem CDU-Ministerpräsidenten eine besonderen Deal ausgehandelt. Um vor drei Jahren den Kaufpreis für den Landesanteil hochzutreiben, wurde EDF auf diese Weise heimlich Kontrolle und Gewinnabschöpfung ermöglicht.

Der "strategische Partner" schöpft das unbarmherzig aus, nicht nur gegenüber den EnBW-Beschäftigten. Bereits jetzt besteht ein Reparaturstau bei den Gas- und Stromleitungen. "Wir sind mit unseren Arbeiten zwei bis drei Monate im Rückstand", sagte ein Techniker bei der Betriebsversammlung in der Liederhalle. Man kann sich vorstellen, wie das bei einer Viertagewoche und bei weniger Beschäftigten weitergehen würde: Die Aktionäre der EDF werden topfit, und die Leitungen im Ländle, in Bautzen und Warschau marode. Und so zeigt die Privatisierung durch eine CDU-Landesregierung, die sich gern als besonders wirtschaftskompetent bezeichnen lässt, ihre Pferdefüße. Betriebsräte und die Gewerkschaft ver.di, die den Versprechungen von Teufel und EDF glaubten, verhandeln mit dem Rücken zur Wand, zumindest betriebsbedingte Kündigungen wollen sie verhindern. Immer noch sprechen sie von "Fehlern und Versäumnissen des Managements", wo die Kritik einer bewussten Plünderungsmethode angezeigt wäre.


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