Das Netto-Privatvermögen der Deutschen beträgt etwa 12,6 Billionen DM - so die Schätzung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) für das Jahr 1998. In dieser Berechnung ist der größte Anteil des Privatvermögens, nämlich Immobilien, stark unterbewertet, das betriebliche Vermögen fehlt ganz, Vermögen im Ausland ist nur unvollständig berücksichtigt. Bei vollständiger Erfassung, marktgerechter Bewertung und einer Besteuerung des Privatvermögens mit einem Prozent und des betrieblichen Vermögens mit 0,5 Prozent - dies sind die Sätze, die bis 1996 galten - könnte eine Vermögensteuer in erheblichem Umfang zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben beitragen. Selbst bei einem Freibetrag von einer Million DM würden sich jährliche Einnahmen ergeben, die zwischen 40 und 100 Milliarden DM liegen dürften.
Die Regierung Kohl hatte 1996 zur Abschaffung der Vermögensteuer die Standardfloskel bemüht, es sollten "Wettbewerbsverzerrungen beseitigt werden". Ein internationaler Vergleich ergibt jedoch, dass Deutschland schon damals die niedrigste Vermögensbesteuerung unter den G7-Staaten hatte. Dabei ist zu beachten, dass Vermögensteuer im engeren Sinne mit den anderen Substanzsteuern wie Grund- und Erbschaftsteuer zusammengefasst wird. Die OECD verwendet dafür den Oberbegriff "property taxes". Sie betrugen 1993 in Deutschland 30 Milliarden DM. Davon entfielen 6,8 Milliarden auf die Vermögensteuer im engeren Sinne, je zur Hälfte auf Private und Unternehmen.
Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) fasste im Gutachten für den Bundestag 1996 zusammen: "Deutschland unterscheidet sich gravierend von den Vergleichsländern, in denen diese Steuern eine wesentlich größere Rolle spielen und in den letzten Jahren noch an Bedeutung gewonnen haben. Insbesondere in Japan, den USA, in Großbritannien oder Kanada weisen sie etwa viermal so hohe Anteile am Sozialprodukt auf. In der EU liegt die Bundesrepublik unter 60 Prozent des Durchschnitts. Eine Erhöhung auf das Niveau der USA würde schätzungsweise 50 Milliarden DM erbringen."
Das zweite Argument der Kohl-Regierung war "Förderung der volkswirtschaftlichen Kapitalbildung". Seit den siebziger Jahren wurde eine beispiellose Expansion des privaten und unternehmerischen Vermögens organisiert. Deutschland wurde Weltmeister bei steuerlichen Abschreibungen für Private wie Unternehmen. Steuer- und Kapitalflucht taten ein übriges. Auch die Abschaffung der Vermögensteuer hat nicht dazu beigetragen, dass das dadurch gebildete Kapital volkswirtschaftlich sinnvoll eingesetzt wird, im Gegenteil.
Das dritte Argument der Kohl-Regierung war "Verwaltungsvereinfachung". Die Kosten beim Eintreiben der Vermögensteuer sind hoch. Das RWI hat einen Anteil von 20 Prozent am Steuerertrag ermittelt. Steuer deals der betuchten Klientel, unter Einschaltung von gut bezahlten Steueranwälten, können sehr aufwendig sein und sich über Jahre hinziehen. "Verwaltungsvereinfachung" auch für Unternehmens- und Gewinnsteuern würde dazu führen, dass sie, im Verhältnis zu den automatisch eingezogenen Lohn- und Mehrwertsteuern, überhaupt nicht mehr erhoben werden - ein Zustand, von dem wir ja nicht mehr so weit entfernt sind. Im internationalen Steuerdumping unter Einschluß der expandierenden Steueroasen wie Schweiz, Niederlande oder britische Kanal-Inseln ist nach dieser Logik ohnehin nur noch die Null-Steuer konkurrenzfähig.
Die früheren Regierungsparteien und die Vermögenslobby halten an ihren Argumenten fest. Die Vermögensteuer bringe höchstens sechs Milliarden und würde den Aufwand nicht lohnen, so das Standardargument. Ein weiterer, häufig genannter Abwehrgrund ist der "Halbteilungsgrundsatz" des Verfassungsgerichts. Er besagt, dass dem Steuerpflichtigen mindestens die Hälfte seines Einkommens bleiben müsse. Wenn man die Steuersätze zusammenrechne - 53 Prozent Spitzensteuersatz, Solidaritätszuschlag, Vermögensteuer -, dann wäre das weit mehr als die Hälfte. Deshalb sei die Vermögensteuer nicht zulässig. Mit gleichem Recht hätte allerdings auch der Solidaritätszuschlag als unzulässig erklärt werden müssen. Man muß sich zudem fragen, in welcher Welt unsere höchsten Richter leben. Denn in der Wirklichkeit zählen nicht die Nominalsätze, sondern das, was nach Abzug sämtlicher Freibeträge und Vergünstigungen wirklich zu zahlen ist. Und das ist in Deutschland mittlerweile sehr wenig. Die durchschnittliche Realbesteuerung von Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen ist auf etwa zwölf Prozent gesunken.
Befürworter wie Gegner der Vermögensteuer setzen eine funktionierende Steuererhebung voraus. Die gibt es aber gegenüber dem Vermögen nicht. Dieter Ondracek, Vorsitzender der Deutschen Steuergewerkschaft, ist deshalb skeptisch: "Da macht man einen großen Zirkus wegen vier Milliarden Mark, die eine Vermögensteuer vielleicht einbringt, aber die Großen erwischt man damit ohnehin nicht." Ab einigen Millionen DM sind heutige Vermögen immer häufiger rechtlich im Ausland angesiedelt: Aktienpakete, Büro- und Mietshäuser sind einem Trust oder einer Holding überschrieben. Die werden "ganz legal" durch Treuhänder im Dutzend gegründet, in Jersey oder in der Schweiz, durch Vermittlung deutscher Banken. Als die Boehringer AG Mannheim für 17 Milliarden DM verkauft war und die Besteuerung anstand, entdeckte man, dass das Unternehmen seinen Steuersitz in Hamilton/Bermuda hat. Die Wiedereinführung der Vermögensteuer nach dem bisherigen Muster würde diejenigen nicht erreichen, bei denen am meisten zu holen ist.
Nach Ondracek wäre es effektiver, alle, die heute Einkommensteuer hinterziehen, in den Griff zu bekommen. Die Erfolge der Steuerfahnder, die sich seit vier Jahren auf die Steuerhinterziehung über Luxemburg und die Schweiz konzentrieren und Hunderte Millionen DM eingetrieben haben, bestätigen dies. Freilich blieb dabei die Mehrzahl der heutigen Steueroasen unbeachtet. Es müsste Personal eingestellt werden - das einzige Personal übrigens, das dem Staat wesentlich mehr einbringt, als es kostet. Die Zahl der Steuerfahnder aber ist seit 20 Jahren nicht gestiegen. Wenn die Steuern bei Selbständigen und vor allem bei den Unternehmen gesetzeskonform erhoben würden, käme ein Mehrfaches der früheren Vermögensteuer in die Staatskasse. Das eigentliche Problem bei der Besteuerung von Gewinn und Vermögen sind nicht die Steuersätze, sondern die gesetzeskonforme Erhebungspraxis.
"Vermögensteuer haben zuletzt nur noch die Dummen bezahlt. Wer etwas Verstand besaß, der hat dafür gesorgt, dass er genügend Grundvermögen hatte," so Albert Rädler, Mitglied der Kommission für Unternehmensteuerreform. Das Bundesverfassungsgericht hatte 1995 die Vermögensteuer als verfassungswidrig bezeichnet, weil Geld- und Grundvermögen ungleich besteuert werde: Geldvermögen zum aktuellen Wert, Grundvermögen aber nur zum niedrigen "Einheitswert", der vor allem bei innerstädtischen Grundstücken oft nur einem Zehntel des Marktwertes entsprach. Die Regierung Kohl hat hier den "leichteren" Weg gewählt und die Vermögensteuer abgeschafft. Logisch wäre aber die marktgerechte Bewertung des Grundvermögens gewesen. Ein anderes Schlupfloch sollte ebenfalls geschlossen werden: Die Banken müssen nach dem Tod des Erblassers dem Finanzamt nur das Inlandsvermögen mitteilen - Vermögen, das zumindest juristisch ins Ausland geschafft wurde, ist nicht mitteilungspflichtig.
Auch das DIW hat bei seiner 12,6-Billionen-Berechnung das Auslandsvermögen kaum und das betriebliche gar nicht erfasst. Eine vollständige Erhebung würde folglich eine wesentliche höhere Summe ergeben. Entsprechend wäre das Steueraufkommen höher, als von Befürwortern und Gegnern erwartet. Ein gewichtiges Argument für die Substanzbesteuerung kommt hinzu: Die Expansion des im internationalen Raum spekulativ angelegten und zugleich immer weniger besteuerten Vermögens trägt zur Verarmung des Staates und zur Ausweitung der Armut (aus anhaltender Arbeitslosigkeit) bei.
An all diesen Missständen wollen die rot-günen "Modernisierer" nicht rütteln. Statt die verschiedenen, nationalen wie internationalen Anlageformen des Vermögens zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben heranzuziehen, verteidigen und pflegen sie das finstere Mittelalter, das hierzulande bei der Vermögensbesteuerung herrscht.
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