Es ist kein Aprilscherz: Am 1. April nimmt die "Kontenevidenzzentrale" (KEZ) im Bonner Bundesamt für Finanzen offiziell ihre Arbeit auf. Nicht nur Finanzämter, auch Sozial-, Wohnungs-, Arbeits-, Bafög- und Rentenämter können auf Knopfdruck erfahren, wo ein Bürger ein Konto, ein Sparbuch und ein Wertpapierdepot unterhält. Ein Tastendruck - und schon sind die Stammdaten auf dem Bildschirm: Name, Geburtsdatum, Adresse, Banken, Kontonummern, Eröffnungs- und gegebenenfalls Schließungsdatum, weitere Kontenbevollmächtigte. Die Banken müssen die Daten rund um die Uhr auf dem letzten Stand automatisch zur online-Abfrage bereithalten. Weder die Bürger noch die Kreditinstitute selbst bekommen etwas von einer Abfrage mit.
Erstmals müssen die Banken ihren Kunden für das Jahr 2004 eine sogenannte "Erträgnisaufstellung" über alle Zinsen, Dividenden und Spekulationsgewinne schicken, "zur Information". So beschönigt der Gesetzgeber den damit faktisch organisierten Bruch des Bankgeheimnisses. Denn wenn den Ämtern die Stammdaten nicht ausreichen, können sie die Erträgnisaufstellung anfordern, von den Steuerpflichtigen und nicht zuletzt von den ALG II-Antragstellern, um ihre Vermögensangaben zu überprüfen. Die Finanzämter können aber noch weitergehen und die Banken zur Offenlegung aller Kontenbewegungen auffordern. Ein konkreter Verdacht ist nicht nötig. Seit Anfang 2005 müssen auch Versicherer, Pensionskassen und Rententräger dem Fiskus über jede Zahlung eine Kontrollmitteilung schicken. Die jährlichen Freistellungsanträge, also die Freistellung vom automatischen Quellensteuerabzug bis zu einem Freibetrag von 1.421 Euro pro Person und Jahr, sind bereits seit 2004 gegenüber dem Bundesamt für Finanzen meldepflichtig.
Die KEZ wurde durch das "Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit" vom Dezember 2003 eingerichtet. Scheinbar ging es damals nur um die "Steueramnestie": Niedrigere Steuersätze als sonst sollten als Anreiz dienen, um die im Ausland gebunkerten Schwarzgelder nach Deutschland zurückzuholen und die Gewinne hier zu versteuern. Mittlerweile ist allerdings deutlich zu erkennen, dass mehrere Gesetze der letzten Jahre - Förderung der Steuerehrlichkeit, Terroristenbekämpfung, Arbeitslosengeld II, Rentenbesteuerung, EU-Zinsbesteuerung - zu einem vorher nie erklärten, zentralen Schnüffelinstrumentarium zusammengeführt werden. Auf Betreiben der US-Regierung gibt es bereits seit 2001 eine automatische Meldung aller deutschen Steuerpflichtigen mit US-Wertpapieren an den Internal Revenue Service (IRS), die oberste US-Steuerbehörde in Washington. Das praktizieren auch die sonst so auf das Bankgeheimnis pochenden Schweizer und Luxemburger Banken.
Angesichts zunehmender Kritik versucht die Bundesregierung nun schnell eine kleine Kurskorrektur. Im "Entwurf zur Änderung des Anwendungserlasses" ist von einer "anlassbezogenen" Kontenabfrage die Rede. Das ist wieder sehr unbestimmt, denn es wird vermieden, einen "begründeten Verdacht" als Voraussetzung für eine Abfrage zu nennen. Als Trostpflaster sollen Bürger im Nachhinein - im Steuerbescheid - über eine Abfrage informiert werden.
Ob mit den neuen gesetzlichen Möglichkeiten tatsächlich Steuerflucht bekämpft wird, bleibt indes fraglich. Die Schweiz und Österreich haben sich erfolgreich gegen das in der EU-Zinsrichtlinie, die ebenfalls ab 2005 gilt, europaweit eingerichtete Meldesystem gewehrt. Schweizer Banken eröffnen bereits neue Filialen in Frankfurt, München und Berlin. Angestellte der Raiffeisenbank Kleinwalsertal sind in süddeutschen Luxushotels auf Tour, um über die Kapitalflucht nach Österreich zu informieren. Die Zeitschrift Focus Money wirbt in ihrer Ausgabe vom 9. März: "Steuerflucht: Die ersten Adressen im Ausland".
Den Schlupflöchern, die ausländische Banken bieten können, hat auch die Bundesregierung zugestimmt. Eichels Finanzministerium gab sogar Anweisung, dass die Zollbeamten Reisende in die Schweiz nicht mehr so scharf wie bisher auf die Mitnahme hoher Geldbeträge kontrollieren dürfen. Dem Magazin Monitor berichteten Beamte, wie die Geldströme unter ihren Augen vorbeifließen und dass ihnen "die Hände gebunden" seien. Offensichtlich soll Geldwäsche verfolgt werden, Steuerhinterziehung hingegen nicht.
In den Niederlanden und in den USA sind weitgehend steuerbefreite Immobilien-Investments möglich. Auch dem hat die Bundesregierung in den Doppelbesteuerungsabkommen mit diesen Staaten zugestimmt. Consulting-Unternehmen wie "Go Ahead" verkaufen seit 2003 die "Ein-Euro-GmbH": Für ein Honorar von 259 Euro werden englische Limiteds mit Sitz in London und Tochtergesellschaft in Deutschland eingerichtet. Es besteht keine Notarpflicht, das Stammkapital kann ein englisches Pfund (1,42 Euro) betragen. Auf Gewinne dieser GmbH-Version entfallen fast keine Steuern.
Die öffentlich verkündete "Förderung der Steuerehrlichkeit" erweist sich letztlich als demagogisches Manöver. Die Steueramnestie brachte nur 900 Millionen statt der angekündigten fünf Milliarden, mit denen das Gesetz begründet wurde. Auf die "Brücke der Steuerehrlichkeit" pfeift das vermögende Publikum, und die Finanzämter bewegen sich in den oberen Regionen wie zahnlose Tiger. Die vorgebliche Gleichbehandlung durch die flächendeckende Kontrolle erweist sich als neue Ungleichbehandlung. Auf Einkommen und Vermögen der staatlichen Leistungsempfänger und "Normalverdiener" greift der Staat verschärft zu, weil er an die Einkommen und Vermögen der besonders Betuchten und der Konzerne immer weniger oder gar nicht mehr herankommt. Kontrolle der Bevölkerung und Freiheit für das große Geld - die rot-grüne Bundesregierung bleibt auf Kurs.
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