Ein gut bestelltes Haus

Freitag Nach 13 Jahren bekommt der "Freitag" einen neuen Eigentümer

Nach fast 13 Jahren haben wir, die bisherige Eigentümergruppe des Freitag, die Zeitung an Jakob Augstein verkauft. Die Entscheidung ist uns nicht leicht gefallen und doch sind wir froh, mit Jakob Augstein jemanden gefunden haben, der den Freitag mag - so wie er ist.

Nach monatelangen Verhandlungen hatten wir am 1. April 1996 den Freitag von den vorherigen Besitzern, der "Schmidt und Partner Mediengruppe", für eine Mark übernommen. Dabei war die eine Mark natürlich nur eine Formalie. Wichtiger erwiesen sich die rasch steigenden Schulden von damals 1,5 Mio. Mark. Nach rapidem Auflagenschwund, mehreren Spendenkampagnen und erfolglosen Bemühungen, neue Investoren zu finden, galt die Einstellung des Blattes damals als ausgemachte Sache.

In dieser Situation wurde ich vom ehemaligen Redaktionsleiter des Freitag, Michael Jäger, angesprochen, ob es nicht doch möglich sei, Mittel für eine Fortführung aufzubringen.

Ich hatte mich damals mit einigen Freunden im Rahmen des sogenannten "Crossover-Prozesses" bemüht, die soziokulturelle und parteipolitische Spaltung der gesellschaftlichen Reformkräfte in linke Sozialdemokraten, Grüne und PDS-Anhänger zu überwinden. Wir hatten das Ziel, zwischen all diesen Strömungen einen übergreifenden Diskussionsprozess dauerhaft zu institutionalisieren - was schnell auf große Resonanz stieß, sich in einer ganzen Reihe bundesweiter Tagungen und Publikationen niederschlug und schließlich in die Forderung nach einem "Ökologischen New Deal" einmündete.

Da schmerzte es natürlich besonders, mit dem Freitag ein Publikationsorgan zu verlieren, das unserem Projekt von Anfang an positiv gegenüber stand. So gab es zunächst Gespräche, den Freitag als gemeinsame Initiative einiger PDSler, Grüner und Sozialdemokraten weiterzuführen. Am Ende blieben von dieser Gruppe nur noch Frieder Otto Wolf und ich, während gleichzeitig verschiedene Journalisten hinzukamen, die zum Teil schon länger an der Idee einer linken Wochenzeitung gearbeitet hatten (Gitti Hentschel, Werner Balsen, Ursel Sieber, Holger Schmale, Wolfgang Storz). Nach jahrelanger abhängiger Tätigkeit für verschiedene Medien hatte man Lust, endlich mal etwas von Grund auf selbst zu gestalten.

So fühlten wir uns stark genug, die Verantwortung zu übernehmen - nicht ganz ohne die böse Ahnung, vielleicht doch nur zu einer Art Kamikaze-Unternehmen aufgebrochen zu sein, und fast wäre es auch schief gegangen. Schon bald - nach einem knappen Jahr - wurde deutlich, dass einige Berechnungen auf Sand gebaut waren. Verschiedene Expansionsprojekte wie zum Beispiel die zusätzlichen Medien- und Berlinseiten kosteten sehr viel mehr als sie einbrachten.

Glücklicherweise fanden sich Privatpersonen, die noch mal einen Millionenbetrag aufbrachten und bereit waren, die alljährlich auftretenden Liquiditätslücken durch neue Kredite zu überbrücken. Von Seiten der Banken gab es schon längst keinen Pfennig mehr.

So wurden die ersten beiden Jahre für die Eigentümergruppe eher zu einer Zeit der Enttäuschungen. Viele unserer hochfliegenden Ideen mussten wir abschreiben. Der erhoffte große Sprung nach vorn blieb aus. Alle hatten viel Geld, Zeit und Ideen investiert und mussten jetzt mit ansehen, wie sie in den unerbittlichen Mühlen linker Armutsökonomie klein gearbeitet wurden, was - wie man sich leicht vorstellen kann - mit heftigen inneren Konflikten verbunden war. Trotzdem blieb die Gruppe zusammen - wenn auch mit sehr unterschiedlichem Engagement. Dass Gitti Hentschel und Werner Balsen irgendwann ausstiegen, hatte private Gründe.

Glücklicherweise gelang es in den folgenden Jahren, die Auflage zu stabilisieren, trotz fehlender Werbeeinnahmen kostendeckende Erlöse zu erzielen und den Freitag als ein Nischenprodukt zu etablieren, das von vielen Leserinnen und Lesern hoch geschätzt wird - was man auch daran sieht, dass sie sich, wenn es wieder mal kriselte, sofort bereit fanden, durch Spenden und stille Einlagen zum Fortbestehen des Blattes beizutragen.

Für die Mitarbeiter bedeutete all dies, dass sie für ihre relativ freien, wenig bevormundenden Arbeitsbedingungen einen hohen Preis zahlten. Der wöchentliche Stress war enorm, und für eine wirklich leistungsgerechte Entlohnung fehlte das Geld. Auch für unseren Geschäftsführer, Heinrich Eckhoff, war dies sicher kein einfacher Job: Häufig musste er allzu verständliche Forderungen abwehren.

Und doch, oder vielleicht gerade deshalb, wurde der Freitag zu einem der ganz wenigen Medienprodukte, dem es gelang, sich dem üblichen Einheitsbrei zu entziehen, wobei ihm sicher zugute kam, dass sich das Interesse der auflagen- und zielgruppenfixierten Werbewirtschaft in engen Grenzen hielt. Der Freitag profilierte sich als Blatt der Nachdenklicheren, der gebrochenen Perspektiven, "des zweiten Blicks" (Günter Gaus). Viele, manchmal schwer lesbare, durchaus versponnene, aber doch auch umso kompetentere und originellere Autoren kamen und kommen zu Wort.

Deshalb verfügt der Freitag inzwischen über einen einmaligen, ausgesprochen profilierten und gut informierten Autorenstamm, um den ihn andere Blätter beneiden - dies sicher auch deshalb, weil man im Freitag über Politik aus kultureller und über Kultur aus politischer Perspektive schreiben und auf die ganze, allzu eloquente Netzwerkerei getrost verzichten darf.

Trotz einigen, manchmal ziemlich verletzenden Diskussionen, gelang es zudem immer besser, den verschiedenen, in ihren unterschiedlichen Milieus noch allzu verbunkerten gesellschaftlichen Reformkräften wirklich zuzuhören und sie zu Wort kommen zu lassen - ohne selbst wieder in besserwisserische Welt- und Feinderklärungen zu verfallen.

Dabei war klar, dass die bestehenden Lagergrenzen in Deutschland nur aufgebrochen werden können, wenn es gelingen würde, über die Ost-West-Gegensätze hinweg miteinander ins Gespräch zu kommen. Hier hat das 1991 gebildete Herausgebergremium mit Gerburg Treusch-Dieter, Günter Gaus, Christoph Hein und Wolfgang Ullman Wichtiges geleistet. Ihnen allen kommt das Verdienst zu, unermüdlich um Respekt, Mitgefühl und Sympathie für die Verlierer, die Abgewickelten und Gedemütigten geworben zu haben. So war der im Zeitungskopf geführte Untertitel "Ost-West-Wochenzeitung" durchaus gerechtfertigt und könnte inzwischen wohl auch durch den Zusatz: "einzige" Ost-West-Zeitung ergänzt werden.

Seit knapp zwei Jahren ist der Stab an ein neues Herausgebergremium übergegangen, das schon durch seine Zusammensetzung für die Bewahrung des journalistischen, soziokulturellen und politischen Profils des Freitag steht und durch viele eigene Beiträge und neue Diskussionsinitiativen zu dessen Vertiefung beiträgt.

Deshalb bin ich froh, dass sich der neue Verleger, Jakob Augstein, sehr interessiert gezeigt hat, Daniela Dahn, György Dalos, Frithjof Schmidt und Friedrich Schorlemmer an Bord zu halten. Ebenso wichtig ist, dass allen festen Mitarbeitern und Honorarkräften eine vertragsrechtlich abgesicherte Weiterbeschäftigung angeboten wurde. Für uns - die bisherige Eigentümergruppe - war das eine Bedingung für den Verkauf.

Aber natürlich gibt es nicht nur eitlen Sonnenschein. Ein Blatt, das einem nach so langer Zeit doch ziemlich ans Herz gewachsen ist, abzugeben, ähnelt in vielem der Situation von Eltern, die plötzlich realisieren, dass ihre Kinder eigentlich fast schon erwachsen sind und die sich dann mit der Frage quälen, was sie vielleicht doch falsch, was sie hätten besser machen können, ohne dass sich noch Nennenswertes ändern oder gar wieder gut machen ließe. Nun ist klar, dass die vielen, eigentlich schon immer geplanten, dann aber auf die lange Bank geschobenen Vorhaben, wohl für immer abgeschrieben werden müssen.

So zum Beispiel der vor allem von Wolfgang Storz vorgeschlagene und im vergangenen Herbst begonnene Relaunch. Das veränderte Layout, die im politischen Teil viel konsequenter durchgeführten Schwerpunktsetzungen, die Dokumentations- und Geschichtsseite, die begonnen Kooperationsprojekte, all diese in langen Diskussionen entwickelten und von einzelnen Redakteure mit bewundernswertem Einsatz begonnenen Neuerungen, haben gezeigt, was möglich ist - ohne dass Zeit blieb, sich wirklich bewähren zu können. So habe ich - obwohl Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, da natürlich das letzte Wort zukommt - den Eindruck, dass das Blatt, gerade im vergangenen Jahr, noch mal erheblich an Qualität gewonnen hat. Vielleicht hängen ja die jüngst wieder steigenden Auflagenzahlen damit zusammen.

Und doch müssen wir uns eingestehen, dass all diese Maßnahmen um Jahre zu spät kamen, dass wir schon viel früher wieder zu einer journalistisch aktiveren Rolle hätten zurückfinden müssen - auch wenn das den Autonomiewünschen der Redaktion nicht unbedingt entgegen gekommen wäre.

So gehen wir zwar mit einigem Wehmut, aber doch mit dem tröstlichen Gefühl, ein einigermaßen gut bestelltes Haus zu hinterlassen, das diesen oder jenen Anbau sicher gut vertragen könnte - wo es eigentlich aber nichts mehr gibt, was abgerissen werden müsste. In unseren vielen, durchaus auch kontroversen Diskussionen mit Jakob Augstein haben wir den Eindruck gewonnen, dass er die spezifische Identität des Freitag zu schätzen weiß und das Blatt in diesem Sinne nicht nur weiterführen, sondern auch ausbauen wird. Wir wünschen ihm dabei viel Glück und bitten die Leserinnen und Leser, ihm einen ähnlichen Vertrauensvorsprung zu gewähren, wie sie ihn auch uns entgegen gebracht haben.

Wilhelm Brüggen ist Sprecher der bisherigen Eigentümergruppe

(s. auch Seite 12)

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