Freundschaften, frappante

Berliner Abende Jetzt war ich wieder wo. Tief im Westen. Wo man normal nicht hinkommt, als Mitteboy. In diesem Dingscafé, in der - verdammt - Dingsdastraße. Es ...

Jetzt war ich wieder wo. Tief im Westen. Wo man normal nicht hinkommt, als Mitteboy. In diesem Dingscafé, in der - verdammt - Dingsdastraße. Es begann so: Unser Hausmeister war pünktlich zum Krebskongress gestorben. Ich stand starr in der Küche und erinnerte mich, wie ich im Spätherbst dem Guten zugerufen hatte: "Alle Achtung Herr Nachbar, das wird ein Frühjahr! Beneidenswert schlank!", und er murmelte, dass eine ungeklärte Gewichtsabnahme vorläge, die er mit "fest essen und Radeberger" zu stoppen gedächte. Aber er wurde dünner, sein Staubsauger brummelte seltener vor meiner Tür, dann sah ich ihn gar nicht mehr. Und jetzt Krebskongress.

Das Licht aus dem Kühlschrank ergoss sich mit den Kälteschwaden über meine nackten Füße und ich hatte mir folgende Fragen zu stellen: 1. Was wollte ich in der Küche? 2. Wieso war der Kühlschrank auf? 3. Warum trug ich nicht meine plüschigen Panterpuschen? Ich fand keine Antworten. Eine arterienzerfetzende Wut schickte mich zurück an die Liegestatt, Wut über die virulenten Scheißhausparolen: Arbeitslosigkeit, Scheidung, Krankheit, Tod - alles "als Chance". Für Zyniker, die noch aus jedem Leid ein Buch pressen. Mein Hausmeister hatte keine Chance. Und plötzlich stand ich am Schreibtisch, dachte an den wundervollen Film vom Vortag, diesen ... Menschmenschmensch Januar, Februar, März, April, genau, Pieces of April, die Mutter mit zwei anbetungswürdigen Möpsen und nachher Narben ... Dann hatte ich ihn gefunden, den Veranstaltungshinweis, rechtzeitig zum einschlägigen Kongress in diesen Tagen: "Mein Freund Parkinson". Jetzt also auch noch Freund! Da in dem Dingscafé.

Reizende Menschen. Entschleunigt! Zeitlupenverschiebungen im Raum. Eine Hand bändigt die andere. Trippeln und Schlurfen. Melancholischer Humor zum Tremor. Wunderbare Gestalten, leicht nach vorne gebogen, minimale Mimik, Charakterköpfe. Figuren wie von Meister Mathias Prechtl gestichelt. Und der Autor, der Dr. der Künste da, der Freund vom Parkinson, der Rembremerdeng, was weiß ich, der ... jetzt hab ich, scheiß rein, den Faden verloren, also der hat sein Buch zur Seite gelegt und erzählt: Wie er im Zug wieder gelitten hat, weil das applizierte Madopar ihn so sensibel macht, dass der Elektrosmog in ihn hineinfährt, unter seine Schädeldecke, dass er aus dem Zug springen könnte. Spott auf die Handydeppen im IC, die er mit seinem versulzenden Gehirn linkshändig durchschaut. "Der Strom ist nicht mein Freund". Und wie er mit Freund P. weitere Freunde gefunden hat: Die Zeit und den Schlaf. Er, Workaholic einst, nicht achtend des Biorhythmus´, jetzt aber beides auskostend, wie die Zwiesprache mit Freund P. Er ist da, du wirst ihn nicht los. "Du hast keine Chance, also nutze sie!" Kann man mit seinen zerfallenden Hirnzellen reden? Aber mit einem Freund!

Rembremerdeng zeigt einen Trick, den er von Freund P. hat: In den ersten Ärmel des Wintermantels findet auch der Parkinsonist traumhaft. Aber dann! Man hebe mit dem schon umärmelten Arm, bzw. der unten daran baumelnden Hand den Mantel am gleichseitigen Saum und hebe den hoch. Darauf lupft sich im Rücken in atemloser Langsamkeit das Einfahrtsloch des umkämpften Zweitärmels geradezu mundgerecht in die Höhe des noch nicht verhüllten Zappelglieds. In der Pause signiert Rembr... Lange heißt er, Wigand Lange!, manchmal schnalzt´s halt doch, sein Buch, und weil er neulich einen pfälzischen Bioenergetiker aufgesucht hat, geht´s flott, gar leserlich, statt in krampfend sich verkleinernder, davonstehlender Schrift, und das Papier bleibt unversehrt. So wie ihn ein indonesischer Tiefenmassör das Erlebnis einer wieder frei mitschwingenden Rechten, zuvor erlahmt, seiner Kontrolle entzogen, bereitet hat. Lange in gelungener Demonstration des frühen, frischen Hitlers und des späten, parkinsonesken, unfähig, den Gruß korrekt zu entbieten. Hitler, Stalin, Mao, die großen Parkinsonesen. Dazu der Papst. Gar nur ein Parkinsondarsteller in der Leidensmannrolle? Kecker Gedanke! Dann liest ein Bewunderer ein Gedicht an seinen Parkinson.

Stichwort für den edelsten von allen. Ein Mensch von trotziger Anmut, als hätte Genvermischung von Wowereit und seinem neuen Patenkind, dem alten, ausgestopften Wombat aus dem Naturkundemuseum stattgefunden: Nie würde er Parkinson als seinen Freund anerkennen, Kampf bis aufs Messer!

"If you cannot beat them, join them", lächelt der Freund vom P. Er sitzt schon am nächsten Buch, mit dem Arbeitstitel ähm, hmm: Wie ich meinem Freund Parkinson einmal richtig die Meinung geigte.

Was wollte ich bloß erzählen ...?


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