"Es herrscht ja überall im Osten so ein Hunger nach Spiritualität und Gemeinschaft", sagt mein Gewährsmann R. Neulich sei er im Dunkeln am Alex einem Türsteher vom Gemüt eines frisch mit Biogemüsebrei beglückten Babys in die athletischen Arme gelaufen, der ihn sofort in ein Zelt geschupft hätte, in die Arme einer Schwarzwälderin, die er Dunja nennen möchte, wegen ihrer verwirrenden Ähnlichkeit mit der Rajter, jener ins zigeunerisch irrlichternden Schlagersängerin, die ihn quasi am Ärmel vor die Gesetzestafeln des L. Ron Hubbard geführt hätte, mit glühendem Sternenwurf aus Dunjaaugen vom eigenen Glück kündete und dann davon berichtete, wie gerade im Osten Deutschlands Hilfe im Chaos gesucht würde, wie der Hubbardismus die dürstenden Seelen der Heiden zu erquicken, folglich Gemeinde um Gemeinde zu begründen in der Lage sei. Hier, soll Dunja gekollert haben, sind die Leute ja viel offener, neugieriger, als drüben im Westen. Und wie zur Bestätigung, sagt R., hätten sich hereinstürmend drei blutjunge Sächsinnen auf die Hubbardliegen geworfen und sich von kundigen Scientologen-Händen "Nerven-Beistand" leisten lassen, um die "Kommunikation zwischen Thetan und Körper" zu verbessern, beziehungsweise die stehenden Energiewellen zu plätten. Doch das nur am Rande.
R. muss kurz darauf ein Flugblatt zugesteckt worden sein: " Lernen Sie das neue Christus Zentrum Lichtenberg kennen." Christus Zentrum inmitten der Rückzugsgebiete von Stasi- und Nazikultur, das schien ihm nicht ohne Charme. Und als er sich ein Herz fasste, am vergangenen Freitag, um den offenen "Lighthouse Café" - Termin zu vielleicht neuer Gemeinschaft zu nutzen, da stellte er mit nicht geringer Befriedigung fest, dass der Herr sich just da zu etablieren gedachte, wo vor kurzem noch seine Filiale der Scheißbank von der Betrugsgesellschaft, die ihm keinen Kredit mehr eingeräumt hatte, gewesen war. Als er die jetzt pfingstlichen Räume betrat, wo Chuck Kackley, der Priester, schon auf ihn zu warten schien, neben ihm ein alter Seemann, gegenüber eine Frau, reich geschmückt, auf dem Tisch ein amerikanischer Kuchen, in der Maschine ein Kaffee, der sogleich kostenlos vergossen werden sollte, da, so R., habe in seinem Kopf sich der Satz: "Gott gibt immer Kredit" ausformuliert und er habe Mühe gehabt, ihn wieder los zu werden. Zumal Chuck ihm gleich erzählte, wie er mit den schwachen Kräften seiner freien pfingstlichen Gemeinde durch den Osten der Stadt gezogen und von Gott an jene Stelle geführt worden sei. 4.000 Euro wollte die Vermieterin. Aber der Herr hat gehandelt, und jetzt zahlen sie gut die Hälfte. Aus der australischen Botschaft hat ER ihnen für einen Apfel und ein Ei das erstklassige Mobiliar für die Räume geleiert. Unten haben sie ein Zimmer für die Kinder. Nur die Kinder haben sie noch nicht, sagt R. Soll aber schon losgehen. Weil, sagt Chuck, "aufpassen", sagt R., hier ja ein unglaublicher Hunger nach tiefem Sinn und neuer Gemeinschaft herrscht, und, sagt die geschmückte Frau, weil hier alle so offen und neugierig sind, anders als im Westen. Chuck wäre geradezu bestürzt gewesen, als er in den Staaten hören musste, wie hierzulande die Ohren verschlossen wären vorm Wort des Herrn. Aber der selbst hat zu ihm gesprochen, wie einmal schon, als er 20 war und in Night-Clubs nutzlos lose Musik klimperte. Nach 30 Jahren Priestertum hätte also ER in seine amerikanische Bestürzung hinein mit den Worten Jesaias erneut zu ihm gesprochen, dass in diesem Stumpf oder Sumpf der Samen tausendfach schlummere, und er nun hin müsse, um Stumpf oder Sumpf zu begießen, damit er aufginge. Wenn heute auch niemand da wäre, weil es so gegossen hatte, die geschmückte Frau schwört doch, dass da schon 30 und mehr offene Hungrige den sonntäglichen Predigten Chucks gelauscht hätten.
Dann, so R., hätte der alte Seemann erzählt, wie er in Lichtenbergs Kneipen beinahe ersoffen wäre im Bier und im Gejammer der Zechkumpane ums verlorene Paradies und dass er ihr Gegreine um ihre DDR nicht mehr ertragen, sich wohl auch überworfen hätte durch seine rüden Attacken auf ihr kontinuierliches Minderleistertum, ihm darüber Bar- und Biergeld ausgegangen sei, bis er hier endlich einen Hafen gefunden. Und als der Abend ins Land rann, geißelte er nicht minder die Verbrechen der Regierenden, und obgleich ihm Chuck begütigend auf den Rücken klopfte, kündigte er die Teilnahme an einer enthemmten Rentner-Demonstration der "Grauen Wölfe" an, während die geschmückte Frau lebhaft mit ihrer Auswanderung drohte. Da wäre das Lächeln von Chuck kurzzeitig etwas haltlos geworden, meint R., und er soll darob geseufzt haben, wie viel Arbeit es noch gäbe.
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