Der Gendarmenmarkt ist so leergefegt, dass er tatsächlich einmal als Platz herauskommt. Die hochgetunten Bars ringsum, in denen sich gewöhnlich das Gschwerl der Kriegsgewinnler im Kampf ums "Neue Berlin" an die Tresen klammert, sind so verlassen, dass man durch die Scheiben ins Neonlicht schauen kann, ohne sich zu gruseln.
Am Eck Leipziger - Markgrafen Straße hockt zu ebener Erde in einem Kubus ein "Löwenbräu", das lockt mit dem Charme eines Möbel-Discounters. Da drin ist heute Karnevalssitzung. Die Narren und Musikanten kommen aus Köln und Umgebung. Der Beitrag der Bayern besteht aus dem Ambiente, dem Aufdruck der T-Shirts der Bedienungen: "Fasching in Berlin / Löwenbräu mischt kräftig mit / deshalb sind wir alle fit / Wiewer und Suff / alle sind jut druff", und dem Bier. Das schmeckt so zersetzend, dass man auch als Bayer wünscht, die Rheinländer hätten ihr Kölsch mitgebracht. Die Jecken feiern sich selbst, der Verkaufsleiter Löwenbräu und der Mitinhaber werden wg. Karnevalsförderung mehrfach ausgezeichnet. Berlin, wie im wirklichen Leben, in der Zange zwischen rheinischem Klüngel und bayerischen Emporkömmlingen, beziehungsweise Nothelfern. Und damit es der Berliner nicht so merkt, wird gelegentlich der einheimische Schlachtruf "Karneval an der Spree - olé, olé, olé!" eingestreut. Damit ist dessen Weltläufigkeit verbürgt. Fünf blutjunge Berliner Zwickelweiserinnen dürfen sich vor tiefgelegten Objektiven spreizen. Und das ortsansässige Prinzenpaar nimmt alte Berliner Tradition wieder auf: Es wird von einer Kapelle in Deutsch-Südwestafrika-Uniform hereingeblasen, zu den unsterblichen Melodien River-Kwai-Marsch und Theo, wir fahr´n nach Lodz. Très aktuell.
Immer aktuell sind im Karneval die in unserer Gesellschaft beinhart tabuisierten Themen: Muschi (von hinten und vorn), Puller (hängend, stehend, geblasen), störende Minderheiten (politisch, rassisch, geschlechtlich). Es war an diesem Abend der ersten herausragenden Berliner Karnevalssitzung des Jahres 2002 ethnologisch die spannendste Frage: Was macht das Ärschi? Es will fast nicht mehr zugehen.
Also unser Regierender, hier nur Popowereit oder Powereit, sitzt im Zug, der Schaffner betritt das Abteil, da wird ihm gleich ganz warm und er will das Fenster öffnen. Powereit bittet um Wärmestau, weil ihm sonst die Rußflöckchen das weiße Hemd beschmutzen. Der Schaffner: Rußflöggsche? Mer sitze im IC. Powereit: Dann die Ambärsche! Tusch, Rakete. Oder Guido Cantz, in gewissen Kreisen bekannter ZDF - Moderator: Eigentlich ist in Berlin alles beim alten. Aber Burger King macht jetzt rosa Wochen, da sind die Burger warm. Tusch, Rakete. Die Unterwürfigkeit der Kolonisierten. Da sich der Büttenredner gern am Strand pudelnackt eingräbt, um, den Arsch ins Freie reckend, als Fahrradständer seine Lust zu finden, die gesteigert wird durch schmerzhaftes Eindringen von den gröberen Ständern der Mopeds, erleben wir eine Arschzentrierung, die tief ins Innere der bürgerlichen Gesellschaft blicken lässt. Doch hier, am Rande des Gendarmenmarktes johlend, müssen wir zugeben, dass die Fastnachter nur offener ins Bier sabbern, was die Barhocker der Weltpresse ringsum bewegt. Wie ist denn die rasende Demontage Powereits zum "Partymeister" anders zu verstehen, als aus dem nagenden Neid, dass der Bursch sich nächtens unverbindlich über das Milchzeug der Schönen hängt, woran ihnen zu zutzeln versagt ist, um dann, nach Heimkunft, von einem getreuen Partner auch noch rektal versorgt zu werden. Das halten die von Frau Friede Springer u.a. kujonierten doch niemals aus!
Am Ende spielt die kölsche Band "Rabaue" zum Tanz. Die Lustgreise stolpern mit ihren Ex-Sekretärinnen auf die Tanzfläche, legen sich ins Zeug und lassen es zucken, dass man ins Grübeln kommt, ob die bei dieser Kraft nicht noch ein bisschen zupacken könnten, die Pensionskasse entlastend und den Jungen Raum schaffend für ein langes Studium. Und wie zum Beweis heben sie plötzlich die Hände zum Himmel, Rabaue spielt jetzt den Superhit Die Hände zum Himmel, was aber auch nichts anderes ist, als nur eine ehrlichere und beinreißerische Ode an die Freude, und machen sich auf zu einer nicht enden wollenden Polonaise.
Man kann ja fliehen. Noch. Die Berliner müssen schwer aufpassen.
Draußen ist der Gendarmenmarkt verlassen wie vorher. Unter einer Laterne neben dem Konzerthaus steht einsam ein Geiger und schickt die flehendsten Töne in den von Sturmwolken zerzausten Himmel. Als wolle er da oben ein Herz erweichen, bei all der Mutlosigkeit hier unten.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.