Vergeblicher Streit

Nachhilfe bei Rumsfeld Das alte Europa hat noch nicht begriffen, dass Moral ist, wenn man es trotzdem macht

Es spricht viel für Interessenpolitik. Wenn Autos nur mit Benzin fahren, wenn das Öl dafür am leichtesten rund um den Persischen Golf zu fördern ist, dann ist die autofahrende, heizende und klimavergiftende Welt darauf angewiesen, dass wenigstens an diesem Golf überschaubare Verhältnisse herrschen. Deshalb wurde erst der legendäre "letzte deutsche Kaiser", der Schah von Persien, zum demokratischen Bollwerk ernannt und anschließend der Massenmörder Saddam Hussein. Der gegenwärtige amerikanische Verteidigungsminister Donald Rumsfeld kennt ihn gut; er hat den großen Freund Amerikas noch 1988 besucht, nachdem Saddam in Halabja 5.000 Kurden vergiftet hatte.

Interessenpolitik hat den Vorteil, dass ihre Nutznießer sich nicht lang verstecken müssen. Im Irak lagern die zweitgrößten Ölvorräte dieser Erde, in den USA wird der Benzinverbrauch in den nächsten 20 Jahren noch um ein Drittel steigen, aber beim kommenden Krieg darf es um keinen Preis der Welt um Öl gehen. "Unsinnig" sei diese Vermutung, erklärte der Verteidigungsminister, "kompletter Unsinn". Statt um Öl geht es im Nahen Osten um die Moral, und die muss gestärkt werden. Eine hoffnungslos verschuldete Volkswirtschaft, ein Volk von Anlegern, das von betrügerischen Konzernen um seine Altersversorgung gebracht wird, hat zwischendurch eine gute Nachricht verdient, und sei es die, dass Saddam Hussein ein Massenmörder ist, der sein eigenes Volk vergiften lässt. Statt von Interessen muss deshalb von Idealen die Rede sein, von Menschenrechten und - wenn gar nichts mehr hilft - von Gut und Böse.

Die USA führen derzeit einen Kreuzzug gegen das Böse, das eben die Maske gewechselt hat und nicht mehr Osama bin Laden heißt, sondern Saddam Hussein. Der "Krieg gegen den Terror" ist nämlich kläglich gescheitert; jetzt lässt man Saddam entgelten, was man an Osama bin Laden (noch so ein alter amerikanischer Freund) versäumt hat.

Auch in Europa gibt es einen Kreuzzug gegen das Böse, und das kommt diesmal aus dem Westen. Unser moralischer Kreuzzug wird angeführt von einem Kanzler, den man inzwischen schon einen alten Haudegen nennen darf. Gerhard Schröder hat mit dem Krieg gegen das Böse bereits eine Wahl gewonnen und will die Landtagswahlen am Sonntag wenigstens mit militärischen Ehren verlieren.

Verständlich, dass Donald Rumsfeld bei soviel Strebertum der Kragen platzte, zu dreist war die Parodie, die die peace-niks vor allem in der deutschen Regierung aufführen wollten. Rumsfeld lobte deshalb das "neue Europa", die Beitrittsstaaten der NATO, und beförderte das "alte Europa" zum Abraum der Geschichte. Die Aufregung war groß, doch fällt es schwer, in der Bestürzung im guten alten Europa nicht die beleidigte Ehefrau zu sehen, die plötzlich gegen eine jüngere, eine schlankere, eine blondere Version eingetauscht wird, und natürlich kommt sie auch noch von daher, wo sie besonders billig zu haben sind, aus Osteuropa.

Merkwürdigerweise ist niemand auf das kleine Gelegenheitsgedicht gekommen, das der schon recht alte Goethe in seinem schönsten Südhessisch den Vereinigten Staaten widmete: "Amerika, du hast es besser / Als unser Kontinent, das alte, / Hast keine verfallene Schlösser / Und keine Basalte. / Dich stört nicht im Innern, / Zu lebendiger Zeit, / Unnützes Erinnern /Und vergeblicher Streit."

Vielleicht kennt Donald Rumsfeld das Gedicht sogar, denn sein Geschwätz von gestern kümmert ihn nicht, und das Erinnern an Bundesgenossen von früher findet er erst recht unnütz. Wenn es den eigenen Interessen dient, werden Bulgarien, Polen und die Türkei in die EU hinein subventioniert, wird das mafiotische Italien zum demokratischen Muster erhoben. Das ist das neue Europa und die neue Weltordnung. Diese neue Ordnung ist zwar vertraut, weil auch diesmal der Stärkere Recht hat, aber Politik ist da nicht anders als der Kapitalismus sonst auch und verkauft Altes für neu. Das heißt dann nicht Interessenpolitik, sondern ist der Kreuzzug des Guten gegen das Böse, nicht für das Öl, sondern gegen den gerade aktuellen Diktator.

Nur das alte Europa hat noch nicht begriffen, dass Moral ist, wenn man es trotzdem macht. Die USA mobilisieren ihre Truppen, weil es nicht um Öl geht, die Europäer ihre Friedensdemonstranten, weil sie allen Ernstes an den Frieden glauben. Sie haben den Krieg moralisch bereits gewonnen, bevor er überhaupt begonnen hat, und brauchten außer Konstantin Wecker keinen einzigen Infanteristen nach Bagdad zu schicken. Es ist zu schön, um auch noch wahr zu sein: Kein märkischer Grenadier muss sterben, aber wenn der Krieg vorbei ist, werden die deutschen Firmen bei den ersten sein, die den neuen Irak so schön ausrüsten wie den alten. Der pazifistische Bundesbruder in Paris wartet derweil auf den rechten Zeitpunkt, um auf der Erfüllung des Ausbeutungsvertrags für TotalFinaElf zu bestehen. Dass sich der islamistische Fundamentalterrorismus als Kriegsfolge noch 30 Jahre fortzeugen wird, kann allerdings auch der moralische Feldzug aus Deutschland nicht verhindern.

Amerika hat es besser, allerdings auch Besseres verdient als Bush und Rumsfeld und Cheney. Die Amerikaner, muss man leider sagen, können es besser als das basaltene Europa. Sie folgen allein ihrem Interesse und dienen nebenbei dem unsern. Denn nach einer kurzen Krise werden die Ölpreise wieder fallen. Um Öl geht es trotzdem nicht in diesem Krieg, sondern um unbeschränktes Autofahren, um leistungsstarke Klimaanlagen und eine barbarische Klimaveränderung, also um nichts Geringeres als die freie Welt. Das nennt man Politik und hat mit Moral nichts zu tun.

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