Die Karten auf dem Weltenergiemarkt werden neu gemischt - und was sich dabei an Veränderungen heraus kristallisiert, wird nicht nur am Verhandlungstisch entschieden. Jüngste Beispiele sind die Vergabe syrischer Erdöllizenzen an US-Konzerne zum Nachteil französischer Wettbewerber, das Vorgehen Venezuelas in Lateinamerika oder die von China auf den umstrittenen Spratley-Inseln vergebenen Prospektionsrechte für US-Firmen. Auch der US-Feldzug in Afghanistan oder der Krieg gegen den Irak, der Konflikt um die iranische Atompolitik und der gerade mühsam beigelegte Streit zwischen Moskau und Kiew über den Preis russischer Gaslieferungen bezeugen, dass der Verteilungskampf um Energieressourcen variantenreicher, aber auch mit größerer Härte geführt wird, als das bisher der Fall war.
Um so nachdrücklicher stellt sich die Frage, wie sicher, wie krisenresistent ist eigentlich die Energiezufuhr für unser Land? Deutschland blieb bekanntlich von der Rangelei zwischen der Ukraine und Russland schon deshalb nicht unberührt, weil über das fragliche Leitungsnetz auch unsere Versorgung bestritten wird. Welche Konsequenzen die in Moskau unter Federführung von Gasprom gefundene Einigung haben wird, muss daher von deutscher Seite nüchtern analysiert werden - ohne Panik und in dem Bewusstsein, dass es in der Vergangenheit in Energiefragen weder gegenüber Russland noch der Ukraine Grund zur Klage gab. In härtesten Zeiten des "Kalten Krieges" war die Sowjetunion in ökonomischer Hinsicht stets vertragstreu. Sie hat selbst für amerikanische Marschflugkörper treu und brav die Rohmaterialien geliefert.
Niemand kann übersehen, dass sich in den vergangenen Jahren die Konflikte um die Verfügungsgewalt über russische Erdgas- und Erdölvorräte zugespitzt haben. Man denke an die Ambitionen des Yukos-Konzerns und seines Chefs Michail Chodorkowski, amerikanische und britische Wettbewerber mit Anteilen und Konzessionen zu bedienen. Der russische Staat konnte in dieser Lage seine Interessen nur sichern, indem er sich zu einem autoritären Vorgehen entschloss, das in der Welt auf wenig Sympathie stieß.
Als "Häuptling" der G-8 für 2006 hat Putin an diesem "moralischen" Gepäck besonders schwer zu tragen, will er den führenden Industrienationen eine Agenda unterbreiten, die der globalen Energieversorgung gewidmet ist. Andererseits: wenn Russland nach internationaler Aufwertung strebt, laden Energiefragen förmlich dazu ein, in konstruktivem Sinne aktiv zu werden. Wer genau hinschaut, dem kann nicht entgehen, dass es auf unserem Globus nicht sonderlich viele stabile Zonen gibt, in denen Energieressourcen lagern - die russischen gehören weitgehend dazu und sind für Westeuropa unverzichtbar. Es ist im Übrigen kein Zufall, dass die Versorgungsstränge für unseren Energiehaushalt sowohl von langjährigen (USA/Großbritannien) wie auch neuen (Polen) Freunden mit Argusaugen betrachtet werden. Auch die Ukraine hat hier ihren Part, wenn sie der so genannten "Alijew-Trasse" aus Baku über Odessa und Polen nach Deutschland den Vorzug geben will und Russland damit auszumanövrieren sucht.
Nach der Wiedervereinigung Deutschlands war es für Engländer, Norweger, Holländer und andere eine fast "kriegsentscheidende" Frage, ob deutsche Unternehmen an den Konsortien für die Öl- und Gassuche im Kaspischen Meer beteiligt sein sollten. Die Regierung Kohl stieg letztlich auf schwacher Basis in ein neues Konsortium ein - und es war eine der ersten Amtshandlungen des Kabinetts Schröder, diesen Anteil wieder aufzugeben. Auch künftig darf man getrost davon ausgehen, dass weder die Produzenten von Rohstoffen noch die Hersteller von Industriegütern sehenden Auges zulassen, dass die Marktkontrolle durch bestimmte Staaten (s. oben) bis zum Exzess getrieben wird.
Auffallend ist jedenfalls, dass entlang der Trassen aus dem russischen und zentralasiatischen Raum "politische Minenfelder" entstanden sind, die Anlass zu großer Besorgnis geben. Dazu zählen die kurdischen Gebiete in der Türkei ebenso wie Nagorny Karabach, Ossetien und Abchasien im Kaukasus, nicht zuletzt die uigurischen Gebiete im Westen Chinas. Dem Vernehmen nach wird von der Bundesregierung energisch und konzeptionell daran gearbeitet, wie unter diesen Umständen die deutsche Energieversorgung auf absehbare Zeit gesichert werden soll. Ein sinnvolles Unterfangen, ist es von der Einsicht beseelt, unter veränderten globalen Bedingungen die eigenen Möglichkeiten neu zu bewerten. Dazu zählt auch die Kernenergie, und wenn es "nur" für 25 bis 50 Jahre sein sollte. Aber nach schöner deutscher Sitte ist der zukunftsträchtige Kugelhaufenreaktor aus Jülich nicht nur an der Abneigung gegen die Nuklearenergie, sondern auch an den Interessen der Großkonzerne gescheitert.
Willy Wimmer ist Bundestagsabgeordneter der CDU/CSU-Fraktion.
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