Hält die Globalisierung ihre Versprechen - mehr Wohlstand, ein besseres Leben für alle ? Das von zwei US-amerikanischen Wissenschaftlern herausgegebene Schwarzbuch formuliert ein vernichtendes Urteil. Sie versuchen aber gleichzeitig, Alternativen aufzuzeigen.
Auch wenn die Internationalisierung von Produktion, Kredit und Konsum sich heute in erster Linie zwischen den reichen Standorten des Nordens abspielt - besonders dramatisch sind ihre Folgen für die Länder des Südens. Erinnert wird in dem Buch an die Verarmung von unzähligen Menschen zwischen Buenos Aires, Lagos und Manila, die ausufernde Kriminalität in zerfallenden Gesellschaften, die brutale Umweltzerstörung oder die Verdrängung kultureller Vielfalt.
Von entscheidender Bedeutung für di
er Bedeutung für diese Entwicklungen - so hebt der philippinische Soziologe Walden Bello hervor - sei die "Schuldenfalle", in der die meisten Nationen der Dritten Welt stecken. Die Kredite der Großbanken in Frankfurt, London oder New York in den siebziger oder achtziger Jahren lösten allenfalls einen oberflächlichen Modernisierungsschub im Interesse von Großgrundbesitzern, Industriellen und politischer Klasse aus. Unfähig, die Gelder zurückzuzahlen - oder nur die Zinsen aufzubringen -, sind die Staaten des Südens längst einem Diktat der Gläubiger ausgeliefert. Die Lasten der Krise wälzten die Eliten auf die breite Bevölkerung ab, der der "Rausch der Verschuldung" kaum Vorteile gebracht hatte.Verschiedene Beiträge des Bandes gehen davon aus, die beschleunigte Globalisierung sei auch für die Massenarbeitslosigkeit im Norden verantwortlich. Zweifellos hängt der Niedergang von Kohlebergwerken, Textilfabriken oder Werften von Chicago bis Dresden mit der Konkurrenz unterbezahlter und rechtloser Jeans-Näherinnen und Anlagenschlosser in Brasilien oder Taiwan zusammen. Die Autoren übersehen allerdings, dass diese Arbeitsplatzverluste kompensiert - wenn nicht überkompensiert - werden durch die Exporterfolge von Branchen wie Maschinenbau, Flugzeugherstellung oder Softwareentwicklung auf den Märkten des Südens. Die Internationalisierung der Produktion verlief parallel zur Ausbreitung der Arbeitslosigkeit in den klassischen Industrieregionen, aber sie war nicht ihre Ursache.Dennoch hat auch der Norden es mit genug schmutzigen Seiten der Globalisierung zu tun. Der Ökonom David Korten verweist darauf, dass der Weltmarkt für viele Waren, angefangen bei Autos und PCs, von weniger als zehn Unternehmen beherrscht wird - eine Karikatur von Marktwirtschaft. Brian Tokar beschreibt, mit welch aggressiven Strategien der Chemiekonzern Monsanto seine gefährlichen Pflanzenschutzmittel in der westeuropäischen und nordamerikanischen Landwirtschaft unentbehrlich machte. Andere Beiträge zeigen, wie internationale Großbanken und Fonds sich allmählich öffentlicher Kontrolle entziehen und zugleich die Entscheidungsspielräume von Parlamenten und Regierungen einschränken. Der kanadische Publizist Tony Clarke unterstreicht, dass die Global Players durch Werbung und die "Droge Unterhaltung" die Wertvorstellungen zahlloser Menschen prägen. Mehrere Aufsätze beschäftigen sich mit äußerst einflussreichen, aber fast gesichtslosen Institutionen wie dem Internationalen Währungsfonds, der Weltbank und vor allem der Welthandelsorgansation (WTO). Auf immer mehr Gebieten ersetzen sie - mit unzulänglicher demokratischer Legitimation und oft unter Ausschluss der Öffentlichkeit - nationalstaatliche Wirtschafts- und Sozialpolitik. Regulierung ist ihnen als Blockade des freien Waren- und Kapitalverkehrs grundsätzlich verdächtig. Die Aktivitäten der WTO - so weist Lori Wallach am Beispiel genetisch veränderter Lebensmittel nach - zielen auf eine Verschiebung nicht allein sozialer, sondern auch ökologischer Standards nach unten.Geschaffen wurden diese Organisationen auf Initiative der Regierungen der großen Industriestaaten - sie engagierten sich gleichsam für ihre eigene Entmachtung. Nahezu alle Autorinnen und Autoren des Bandes betonen den Zusammenhang mit der marktradikalen Offensive seit Anfang der achtziger Jahre. Sie forderte - ziemlich erfolgreich - eine Unterordnung der gesellschaftlichen Entwicklung unter das Renditedenken und damit unter die Interessen der Vermögenseliten.Gegen einen solchen Kurs stemmt sich von Genua bis Porto Alegre seit einigen Jahren eine bunte Koalition. Als Gegengewicht zur Macht von General Electric, DaimlerChrysler oder Sony schlägt sie eine Globalisierung demokratischer Politik vor. Das Misstrauen dieser Bewegung gegen zentralistische Organisationsformen sieht die amerikanische Globalisierungskritikerin Naomi Klein als Stärke. Unübersehbar sind jedoch massive Zielkonflikte zwischen ihren Strömungen. Und ein entschiedeneres Vorgehen der Gewerkschaften gegen die alltäglich gewordenen Versuche, Standorte gegeneinander auszuspielen, liegt in weiter Ferne.Die Aufsätze von Helena Norberg-Hodge sowie Colin Hines und Tim Lang bringen als Alternative - gerade für den Süden - eine wirtschaftliche "Abkopplung" ins Gespräch. Das solle keine Selbstversorgung um jeden Preis bedeuten. Die Vorstellungen für eine neue "dezentrale" Funktionsweise der Weltwirtschaft bleiben allerdings vage. Außerdem ist fraglich, ob die heute in Nord und Süd vorherrschende neoliberale Politik nicht auch ohne Globalisierung vergleichbare soziale Folgen hätte. Schließlich scheint in manchen Beiträgen ein allzu idealisiertes Bild traditioneller Lebens- und Produktionsformen durch, die längst nicht immer selbstbestimmt und ökologisch rational waren.Das Schwarzbuch ist zwar für ein breites Publikum geschrieben, seine Sprache ist dennoch oft spröde. Schwerer wiegt leider, dass viele Thesen, die sich durchaus beweisen ließen, nur lückenhaft oder gar nicht durch exakte Daten gestützt werden.Jerry Mander / Edward Goldsmith (Hrsg.): Schwarzbuch Globalisierung. Eine fatale Entwicklung mit vielen Verlierern und wenigen Gewinnern. Ins Deutsche übersetzt von Helmut Dierlamm und Ursel Schäfer. Riemann, München 2002, 523 S. 24,90 EUR