Die PDS will sich ein neues Programm geben. Warum nicht? Dieses Programm soll zeitgemäß sein. Was sonst? Die Debatte wird im Freitag mit einem Beitrag von André Brie und Dieter Klein eröffnet. Gut so - hätte dieser nicht die drei Mankos: Er verkauft Aussagen als »neue«, die bereits im PDS-Programm stehen. Er nagelt vage Aussagen in Nebelbänke, hinter denen sich dann leicht nach rechts abdriften läßt. Und er spekuliert darauf, daß die Leserschaft das PDS-Programm nicht kennt.
Brie/Klein argumentieren, »die neue programmatische Debatte« sei unter anderem erforderlich, weil es »tiefe Umbrüche in den Beschäftigungsverhältnissen, in der Beziehung zwischen Mensch und Natur« gebe, weil die »globalen Fina
»globalen Finanzmärkte die politischen Handlungsbedingungen ... verändern«. All das wird im PDS-Programm beschrieben.Was, so fragt der des Programms kundige Partei-Arbeiter, ist in diesem Programm »nicht in aktueller, moderner und politikfähiger Weise bestimmt« (Brie/Klein)? Ist etwa der Satz »Die transnationalen Konzerne werden immer mächtiger« nicht politikfähig? Ist die 93er Feststellung »Die ökologische Krise ... entspringt dem ... ausbeuterischen Charakter des kapitalistischen Produktions- und Konsummodells« nicht ausreichend »modern« formuliert?Tatsächlich gibt es - von Brie/Klein unerwähnte - neue Entwicklungen, derer sich das neue Programm annehmen muß. Die Weltmacht deutscher Konzerne (Daimler mit Chrysler) und deutscher Banken (Deutsche Bank mit Morgan Grenfell und Bankers Trust) hat sprunghaft zugenommen. Die Krisenhaftigkeit des Spätkapitalismus (Asien-, Rußland-, Japan-Krise) und dessen Unfähigkeit, Erwerbslosigkeit und Hunger abzubauen, sind deutlicher denn je. Die Kontinuität einer »rot-grünen« Bundesregierung mit der vorausgegangenen ist größer als erwartet.Neu könnte auch sein, eine tiefere Analyse von SED und DDR zu liefern, warum bei diesen »alles, nur nicht der Sozialismus, real war« (Rudi Dutschke), und weshalb die 1998er Feststellung »Der Antifaschist Walter Ulbricht war einer der wenigen Staatsmänner von Format, die die DDR hervorgebracht hat« (Bisky), unhaltbar ist. Neu könnte sein, eine umfassende Antwort auf den verschärften Rassismus und das gestärkte Patriarchat zu geben. Diese Themen tauchen im Programm von 1993 nur unzureichend auf und müssen Bestandteil eines neuen Programms sein. Sie werden jedoch bei Brie/Klein nicht einmal angesprochen.Brie/Klein formulieren mehrmals »zentrale Fragen«, doch sie belassen es beim skizzierten Pfad ins Ungefähre. Als im »Zentrum der PDS-Programmdebatte« stehend wird die Frage benannt: »Ob es einen anderen als diesen sozialdemokratischen Entwicklungspfad gibt.« Da gibt es »die Kernfrage für die Linke«: »Welche anderen Zugänge zur Lösung der gesellschaftlichen Großprobleme als der Versuch, ihnen durch weltmarkt- und konsumorientiertes Wachstum beizukommen, könnte entwickelt werden?« Natürlich sind Fragen ohne Antworten legitim. Allerdings gibt das geltende PDS-Programm gerade bei den genannten Fragen Antworten - zum Beispiel die, daß »die Herrschaft des Kapitals überwunden werden muß«. Sind sie heute falsch, weil nicht modern? In diesem Zusammenhang formulieren Brie/Klein auch: »Die Linke hat einen Entwicklungspfad herauszufinden, der in den Realitäten der Gegenwart verläuft und doch für soziale und ökologische Nachhaltigkeit zu öffnen ist.« Das deutet auf ein Abdriften nach rechts. Das gilt gerade für die Konkretisierung, bei welcher Brie/Klein einen »ökologischen Umbau« fordern, der »bestehende Stärken der Industrie und moderne Technologien miteinander ... mit starker Ausprägung regionalwirtschaftlicher Kreisläufe (verbindet)«.»Die Industrie« ist heute mehr denn je unökologisch, zerstörerisch, alle regionalen Strukturen niederreißend. 60 Prozent des Umsatzes der 100 größten Konzerne jedes einzelnen G-7-Staates entfallen heute auf Öl, Auto, Rüstung, Reifen, Luftfahrt. Die Struktur dieser Industrie ist bereits auf der Gebrauchswertseite auf Zerstörung ausgerichtet. Siehe deren Wirken in unseren Städten, in der »Dritten Welt«, in Osteuropa, in China. Ein in den »Realitäten der Gegenwart« verlaufender »Entwicklungspfad« heißt, diese Zerstörung hinzunehmen. Zu behaupten, diese Industrie ließe sich für »Nachhaltigkeit öffnen« - gewissermaßen als Resultat der Fürsprache eines PDS-Programms - ist lächerlich. Gerade hier muß der Charakter eines Programms als gegen die große kapitalistische Industrie gerichtet - und damit Chancen für eine selbstverwaltete Produktion, aber auch für andere Eigentumsformen gewährend - präzisiert werden.Das 93er Programm weist viele - wichtige - Facetten auf; wie jedes brauchbare Programm. Drei, die Brie/Klein geflissentlich übersehen, erscheinen mir im Zusammenhang mit der aktuellen Debatte noch besonders wichtig:Das 93er Programm fordert umfassende Abrüstung und die »Auflösung von NATO und WEU«. Brie/Klein verlieren kein Wort über dieses Thema. Dabei prägt es bisher Praxis und Programm der PDS positiv. Und fürwahr neu gegenüber 1993 ist, daß die Bundeswehr auf dem Balkan kurz vor dem Eintritt in den Bodenkrieg steht, was 1993 noch für alle (!) Parteien undenkbar schien. Wer ein neues PDS-Programm will, muß dazu etwas sagen. Dieter Klein hat als Teil eines PDS-Europawahlprogrammes eine europäische Friedensstreitmacht, die kaum vom WEU-Projekt unterscheidbar ist, gefordert.Das bisher gültige PDS-Programm forderte, die »Dominanz des privatkapitalistischen Eigentums« zu »überwinden«. Brie/Klein schreiben lediglich von einer »Überwindung der Profitdominanz«. Ich meine: Die Eigentumsform bei den großen Konzernen und Banken und deren reale Vergesellschaftung sind entscheidend. Auf andere Weise läßt sich die »Profitdominanz« - und damit der zerstörerische Gang der kapitalistischen Dinge - nicht »überwinden«.Schließlich findet sich im vorhandenen PDS-Programm der Satz: Wir lassen »uns davon leiten, daß Veränderungen in der Gesellschaft nur bewirkt werden können, wenn Betroffene ihre Angelegenheiten selbst in die Hände nehmen«. Dazu kein Wort bei Brie/Klein. Ich meine: Ein neues PDS-Programm muß gerade vor dem Hintergrund der rot-grünen Regierung in Bonn und der PDS-Tolerierungs- und Koalitionsmodelle den Aspekt des Primats der außerparlamentarischen Aktion betonen und noch deutlicher herausarbeiten.