Blogger hinter der großen Mauer

China Die Provinz Xinjiang im Nordwesten muss seit den Unruhen vom Juli ohne Internet-Zugang auskommen

Wie heißt auf Uigurisch Guten Tag? Akpers Antwort ist schwer zu verstehen. „Xeylik“, murmelt er. „Sagt man denn nicht Salam aleikum?“ – frage ich ihn. Auf einmal kommt ein Leuchten in die Augen des uigurischen Studenten: „Doch! Das ist besser, viel besser! Was ich eben gesagt habe war nur das, was die im Fernsehen immer sagen.“ Hinten auf dem Rücksitz neben dem jungen Uiguren Akper sitzt Guo Liang. Der nach chinesischem Recht illegal als Freelancer für einen ausländischen Fernsehkanal arbeitende Journalist erzählt während der langen Autofahrt nach Fengtai, einem südlichen Distrikt von Peking, eine fast genauso lange Geschichte. Sie handelt davon, dass seine Blogs immer geschlossen werden. „Zuerst der bei sina.com, dann der bei blogspot, dann konnten auch meine Blogs auf ausländischen Providern nicht mehr geöffnet werden. Bei meinem letzten Blog habe ich nur angekündigt: Jetzt werde ich unbedingt weiter schreiben – nur den einen Satz, sonst nichts. Aber am nächsten Morgen war der auch schon zu.“

Angst vor H1N1

Akper und Guo Liang sind unterwegs zu einem Treffen mit der Uiguren-Kolonie in Fengtai, das in einem großen „nordwestchinesischen“ Restaurant stattfindet. Im Kashgar-Separee warten schon 15 Uiguren. Guo Liang eröffnet, indem er einen grauhaarigen alten Herren, der auf dem Ehrenplatz neben ihm sitzt, wegschickt, weil der ein paar Mal gehustet hat. Jetzt käme der Winter, da müssten sich alle vor Grippe in Acht nehmen, erklärt Guo Liang und lächelt entschuldigend. Man kann investigativer Journalist und couragierter Blogger sein, aber zugleich große Angst vor H1N1 haben.

Aber die Schweinegrippe lässt die Fengtai-Uiguren völlig kalt, denn sie kämpfen um Wohnungen, sind fast obdachlos. Fast jeder Zweite muss sich deswegen einen Platz in einem der Internet-Cafés mieten: Zehn Yuan kostet es, dort von abends um elf bis zum Sonnenaufgang des nächsten Tages in einem der Polstersessel zu sitzen, was keineswegs den chinesischen Wohnungseigentümern zu verdanken ist. Die würden leer stehende Etablissements gern vermieten, glauben die Uiguren. Vielmehr liege es an der Polizei. Aber die streitet vehement ab, eine solche Order erlassen zu haben, um die Uiguren zu diskriminieren. Die folgende – auf Chinesisch geführte – Debatte dreht sich nun darum, ob die wenigen Wohnungseigentümer, die zu überhöhten Preisen an Uiguren vermieten, dies täten, um sich bei der Polizei anzubiedern und potenzielle uigurische Mieter abzuschrecken oder eher aus deren Notlage einen Gewinn herauszuschlagen. Wohnungseigentümern lasse sich Diskriminierung nur schwer nachweisen, wendet Guo Liang ein. Man brauche sorgfältig geführte Journale oder Tonaufzeichnungen von versteckten Mobiltelefonen, um bei Gericht Klage einreichen zu können.

Am Schluss wird mit allgemeinem Kopfnicken beschlossen, einen Rechtsanwalt und zwei ältere Uiguren erst einmal zur lokalen Polizeistation zu schicken, um dort ein Friedensangebot zu unterbreiten. Falls die Polizei das inoffizielle Mietverbot aufhebt, wollten die Uiguren sie im Gegenzug unterstützen und dafür sorgen, dass in ihrer Fengtai-Kolonie „nichts passiert“.

Auf keinen Fall zurück

So etwas lässt sich natürlich nur schwer versprechen – wie schnell ist ein Gesetz übertreten. Der Ständige Ausschuss des Xinjianger Volkskongresses hat schon kurz nach den Juli-Unruhen in Urumqi ein „Informationsförderungsgesetz“ verabschiedet. Danach ist es bereits eine Straftat, sich im Internet in einer „die nationale Einheit gefährdenden Weise“ zu äußern. Falls dieses Gesetz nur in der Unruheprovinz gilt, lässt sich dort nicht im Mindesten dagegen verstoßen. Knapp ein halbes Jahr nach dem antichinesischen Aufruhr ist Xinjiang noch nicht wieder an das Internet angeschlossen.

„Alles ist dort viel weniger frei“, findet Akper. Nach dem Abschluss seines Studiums will er für einen Master-Abschluss ins Ausland gehen. Oder wenigstens in Peking bleiben. Aber auf keinen Fall zurück in seine Heimatstadt Urumqi. „Da kannst du mit niemandem reden. Höchstens mit den Leuten aus deiner Familie.“ Von daher lässt ihn auch völlig kalt, ob Twitter- oder Youtube-Seiten nun geöffnet werden können oder nicht – er käme sowieso nie auf die Idee, dort etwas zu veröffentlichen.

Für den Journalisten und Blogger Guo Liang stellt sich das ganz anders dar, er will auf jeden Fall wieder nach Xinjiang und bereitet sich gerade auf eine Recherche-Reise vor. „Die Regierung behauptet, das mit den Unruhen sei ein Unfall gewesen. Aber ich bin mir sicher, auch wenn ich noch keine Beweise habe, dass die Usbekische Befreiungsbewegung dahinter steckt.“ Aber was er dann noch murmelt, ist nur sehr schwer zu verstehen.

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