„Der deutsche Rudersport ist kampfbereit!“

Historie Der umjubelte „Deutschlandachter“ verpasste die Goldmedaille in Japan. Nun hätten die Verbände Zeit, endlich auch die trübe NS-Vergangenheit ihres Sports aufzuarbeiten
Hakenkreuze, Fackel – das ist auch Olympia-Geschichte. Nur redet darüber niemand wirklich gerne
Hakenkreuze, Fackel – das ist auch Olympia-Geschichte. Nur redet darüber niemand wirklich gerne

Foto: Getty Images

Am 14. August 1936 hätte es Hitler dämmern müssen: Dass es mit seiner Heldenrasse nicht so weit her war – sein Wahn bereits an der realen Sportwelt scheiterte. Bei den Olympischen Spielen war er Zeuge, wie die Königsklasse auf dem Wasser, der Hakenkreuz-Ruderachter von Außenseitern aus Seattle geschlagen wurde. Selbst daheim wurden die US-Jungs als „Waldschrate“ belächelt. Der Weltbestseller The Boys in the Boat (2014) hält fest, wie Hitler wutschäumend von der Tribüne stürmt.

Dass der afroamerikanische Leichtathlet Jesse Owens vier Goldmedaillen abräumte, war für die Nazi-Propaganda eine Herausforderung. Gleichwohl Selbiger nach dem Krieg als stolzer Beweis galt, dass in Berlin „Rassengleichheit“ herrschte. Nichts wäre Nationalsozialisten anstößiger gewesen!

„Leibesübungen“ waren für Hitler, wie in Mein Kampf angekündigt, wichtigstes Mittel zum Zweck: „Heranzüchten kerngesunder deutscher Körper in meinen Ordensburgen“, „herrlichen Raubtieren“ gleich, „gewalttätig, herrisch, grausam“ – „Gottmenschen“. Im Volkssport verschmolzen die Körper der Volksgenossen zum homogenen Volkskörper, rassisch pur, bis in die letzte Faser wehrtüchtig, treu, nur ihm, dem Führer willig. Für ihn waren die Spiele eine fulminante Heerschau, keine „friedliche Völkerversöhnung“, sondern Mobilmachung für Krieg, arisch-totalitärer Weltherrschaft.

Freiwillige Selbstgleichschaltung

Diese Macht-Demo auf der Sportweltbühne wäre fast gescheitert, als die USA zum Spiele-Boykott trommelte. Das Internationale Olympische Komitee IOC, auf dem rechten Auge blind, wiegelte ab, beklatschte den Diktator und seinen Olympia-Eifer. Selbst noch in den 1950ern feierte es Berlin als „Sieg der Olympischen Idee“ (IOC-Präsident Brundage).

Viele Sportvereine hatten sich bis 1936 freiwillig einer Selbstgleichschaltung unterworfen. Opportunistisch und im vorauseilenden Gehorsam setzten sie 1933 ihre jüdischen Mitglieder vor die Tür und installierten ein Parteimitglied als Vorstand. „Der deutsche Sport selbst war Wegbereiter der Arisierung“, kommentiert Sporthistoriker Lorenz Pfeifer, und zwar bis hoch in die Verbandsspitzen.

Treiber waren der Deutsche Fußballbund, Deutscher Turner-Bund – mit dem Deutschen Ruderverband DRV als Schlagmann. Sein Vorsitzender Heinrich Pauli sorgte für die zentrale Ausrichtung des deutschen Sports. Zwölf Jahre lang war er willigstes Werkzeug völkischer Sportpolitik: Sprachrohr, Transmissionsriemen, Einpeitscher – für Sport als Krieg.

„Platz an der Sonne“

1933 sofort nach der Machtergreifung appellierten er und Mitfunktionäre in „Wassersport“ an „Volksgenossen gleichen Blutes“: „Eure Stunde hat geschlagen … Verschließt Euch nicht der gewaltigen Wucht der historischen Stunden … Wir werden Großes und Bewährtes in diesem Kampf für den deutschen Menschen unternehmen.“

1939 beim Angriff auf Polen ruft der Ober-Ruderer seine Mannen zu den Waffen: „Nun sollen sich alle Tugenden bewähren, die wir im Sport für den friedlichen Wettkampf verlangt haben.“ Es bleibe die Wahl zwischen „einem versklavten Vaterlande“ und „den Platz an der Sonne“: „Der deutsche Rudersport ist kampfbereit und siegessicher. Heil dem Führer! Heil dem Vaterlande!“

1941 verlangt Pauli absolute Opferbereitschaft, fast dschihadistisch, wie die Chronik des DRV 1983 zum 100. Vereinsjubiläum überliefert: „An allen Fronten steht der deutsche Sportsmann als bester Soldat des Führers.“ Verbunden den Idealen, „daß Gehorsam bis zum Todesopfer nicht dem sittlichen Begriff der Freiheit widerspricht, sondern zu ihrer Erringung beiträgt“.

1945, das Land in Ruinen, ließ man Pauli wie andere rhetorischen Täter laufen. Viele NS-Sportfunktionäre setzten ihre Karrieren indes in der Bundesrepublik und im IOC fort, redeten die 36er-Spiele schön. Wie Carl Diem, Inszenator der Spiele, der sie „zur Oase der Freiheit“ erhob, so wie den NS-Vereinssport: eine „Oase im Knechtsdasein“.

Solche Phrasen wertet der Sporthistoriker Dr. Ralf Schäfer, Mitautor von „Sport und Nationalsozialismus“ (2016), als „apologetische Meistererzählung“. Umdeutung der Geschichte, unterstützt von einer restaurativ-rechten Geschichtswissenschaft, die „kritische Sichtweisen des NS-Sports als ideologisch motiviert und ‚links‘“ einstufte. Und das Olympia-1936-Abschlusskonzert, in „Verherrlichung des Opfertods für’s Vaterland“ gipfelnd, zum „Popfestival“ erklärte.

Überlagert von Langerdenken

Der Streit hat forscherische Analyse gelähmt. Überlagert vom Lagerdenken im Kalten Krieg und wer die Deutungshoheit über den Nationalsozialismus hatte. Erst seit der Jahrhundertwende kommt die ganzheitliche Ost-West-Sporthistorie in Fahrt.

Und die Sportvereinsrealität bis dahin? Im Westen weiter so, wie bisher – stumm für das NS-Unrecht, allenfalls mit „blumigen Bildern, in denen Schiffe geschickt ominöse Klippen umfahren“. Dieses Selbstporträt aus der Chronik des Münchner Ruder- und Segelvereins MRSV fängt treffend die Nachkriegssportwelt ein. In der Adenauerzeit kamen etliche NS-Funktionäre wieder zu Amt und Würden, die Untersuchungen abbogen, unterstützt von NS-Kollaborateuren in Vereinen und Gesellschaft. Folgerichtig nannte Hildegard Hamm-Brücher 1949-69 die „Post-Hitler-Zeit“. Seit den Nuller-Jahren bröckelt die Decke kollektiven Verdrängens.

Auf Rudervereins-Webseiten gewinnen weiße Flecken Konturen. Die Frankfurter Rudergesellschaft Germania 1869 strebt mit dem Jüdischen Museum und der Goethe-Universität „schonungslose Offenheit“ seiner NS-Zeit an. Der Frankfurter Ruderverein 1865 rollt den roten Teppich für seine jüdischen Mitbegründer aus, darunter die Familie Frank. Die 13-jährige Anne schrieb im Amsterdamer Versteck vor ihrem KZ-Tod ihr weltberühmtes Tagebuch.

30 Jahre nach seinem Tod hoben Sportjournalisten den Ratzeburger Rudersäulenheiligen Karl Adam vom Sockel. Der Trainer, unter dem der BRD-Deutschlandachter zweimal Gold errang, war NSDAP Mitglied, dazu Lehrer an der Nazi-Kaderschmiede Napola. Unlängst wirbelte der ehemalige Protektor eines Schülerruderclubs Staub auf: Frühes 1932-Mitglied in der NSDAP, dazu in SS, SA und Lebensborn, der sich der Züchtung des NS-Gottesmenschen verschrieben hatte; als Mitläufer entnazifiziert, steht er später der NPD nahe. Schluss mit Heuchelei! Ein nach ihm benanntes Boot tauft der Verein um.

Spielräume

Mit dem kommoden „Wir mussten ja“-Narrativ der NS-Mitläufer*innen und Täter*innen räumt „Welle-Poseidon“/Berlin auf. Nach Erlass der Ariergesetze wechselten Mitglieder zu anderen Vereinen, damit ihre jüdischen Kameraden im Club weiterrudern konnten: Ziviler Ruderungehorsam unterm Hakenkreuz!

Ja, es gab Spielräume, bestätigt der Historiker Dr. Berno Bahro, belegt durch alte Sportvereinsregister. Das sind Datenschätze, die jeder Verein selber heben kann – so er will und Unterlagen nicht vernichtet worden sind.

Diese Handlungsfreiheiten sind auch aus der Wissenschaft bekannt. Die Biologen witterten mit Rassenlehre und Eugenik Morgenröte für ihr Fach und Karrieren. Sie schalteten sich sofort 1933 gleich. Die Physiker zögerten diesen Schritt bis vor den Krieg hinaus, schützten jüdische Leben, begegneten mit Ratio der Pseudo-Arier-Physik der Partei.

Das Schweigen der Verbände

Bei der Webseiten-Recherche fällt die oft kritischere Sicht ostdeutscher Rudervereine auf. Der Frankfurter (Oder) Ruder-Club von 1882, auf der Suche nach seinen braunen Quellen, erkennt: „Die nationalistische Ausrichtung wurde seit der wilhelminischen Ära gepflegt“ (begünstigt durch Kommandostruktur und Verschmelzung der Ruderer zu einem Bootskörper?).

Wie prägten Preußen, Kaiser, Hitler den Sport im DDR-Arbeiterstaat? Was war kommunistische Sportideologie, was sind BRD-Strukturen, was ist die neue Balance? Sporthistoriker stehen vor großen Fragen: Ihre Antworten werden uns als Nation besser begreifen lassen.

Bei so viel Forscherlust fällt das Schweigen der Verbände auf. Beim Fußball haben erst die Fans die Vergangenheitsbewältigung losgetreten. Der Chronik auf der DRV-Webseite, versteckt, fehlt 1933-45 die zeitgeschichtliche Einbettung, der Name seines damaligen Vorsitzenden und Kriegstreibers ist fehlerhaft. Auf Anfrage hin will der DRV nun mit dem niedersächsischen Institut für Sportgeschichte seine NS-Zeit aufarbeiten. 88 Jahre danach. Dafür mit Signalcharakter für den Gesamtsport? Neben Vereinsgedenktafeln für Weltkriege-Gefallene wäre Platz für Stolpersteine.

Wolfgang Chr. Goede ist Ruderer. Für die Journalistenvereinigung TELI hat er die Verflechtungen von Wissenschaft und Wissenschaftsjournalisten im NS-Regime mituntersucht. In München wohnt er im Olympiadorf mit Blick auf das schwebende Zeltdach – Symbol der Heiterkeit und Leichtigkeit der Spiele und ihrer Idee.

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