Maggi, Magie der Marke

Alltag Suppenwürfel und Braunflasche erobern die Welt

Friedrich Hölderlin kannte ihn noch nicht, als er dichtete "Schon wars Suppenzeit - ich eilte nicht!" Vom Himmel ist er auch nicht gefallen, wie der Meteorit, der wohl in seinem Geburtsjahr am 30. Juni mit der Gewalt von 1000 Hiroshima-Bomben im sibirischen Tunguska einschlug und den Taiga-Boden in eine brodelnde Magmasuppe verwandelte. Stanislaw Lem jedenfalls berichtet nichts darüber in seinen Astronauten (1951). Er wurde einfach erfunden, 1907 in einem Labor der Firma Maggi im schweizerischen Kempttal. Im Folgejahr 1908 wurde er auf den europäischen Markt gebracht, der Suppenwürfel, die Quadratur der würzigen Brühe. Er wurde schnell populär, bald nach seiner Erfindung definierte das Grimm´sche Wörterbuch: Ein "kleiner Würfel aus Gewürzmasse zur Suppenbereitung, heutzutage geläufig".

Die Geschichte der modernen Fertigsuppe begann nimmt im 19. Jahrhundert ihren Anfang und ist mit den Namen Liebig, Knorr und Maggi verknüpft. Im Herbst 1884 brachte Julius Maggi in der Schweiz die ersten Fertigsuppen auf den Markt, der wirtschaftliche und gesellschaftliche Aufstieg von Maggi begann. Die industrielle Revolution war im Gange, die Menschen waren arm, arbeiten hart und tranken viel, keine Suppen, sondern billige Industriespirituosen. Von gesunder Ernährung konnte nicht die Rede sein. Maggi experimentierte derweilen mit eiweißreichen Hülsenfrüchten, so genannten "Leguminosen", und stellte aus Leguminosenmehl die erste kochfertige Suppe her. Sie ist preiswert und schnell zu zu bereiten. Sie wird zum Erfolg. Bereits in der Schweiz produziert Maggi für den internationalen Markt, im Deutschen Singen und in Frankreich gründen sich um die Jahrhundertwende Maggitöchter, und nach der Fusion mit Nestlé beginnt 1947 die Globalisierung der Fertigsuppen. Die Suppen eroben die Welt.

Der Philanthrop Julius Maggi verkörpert in seiner Zeit einen paternalistischen Kapitalismus mit menschlichem Antlitz. Geschickt verbindet er Profitinteresse mit sozialem Engagement, erobert nicht nur den Markt für Fertigessen und Krankennahrung, sondern errichtet auch Werkskantinen, baut Arbeitersiedlungen, gründet Betriebsschulen und führt sogar eine Kranken- und Sozialversicherung ein. Seine Arbeiter sollen gut essen, um in der voll elektrifizierten Firma gut arbeiten zu können. Sie sollen sich in erster Linie als Maggianer und in zweiter erst als Arbeiter fühlen. Zur modern anmutenden Corporate Identity gesellt sich ein Corporate Design. Das Herz sind die braune Maggiflasche mit gelbem Label und rotem Hütchen - die bis heute fast unverändert ist - und der Brühewürfel, dieser handliche Kubus von gepresstem Granulat, die Hochzeit der jungen Fertigsuppe mit dem frühen Kubismus eines Georges Braques.

In einiger Hinsicht war die Marke Maggie Vorreiterin eines modernen Marketing. Mit Emailleschildern, die heute begehrte Sammlerobjekte sind, betrieb sie als eine der ersten massive Staßenwerbung, und früh erkannte Julius Maggi den Wert des Werbetexts. Als ersten Werbetexter gewann er 1886 den introvertierten Literaten und Skandaldramatiker Benjamin Franklin (Frank) Wedekind. Hungrig nach Text und Suppe - der Vater hatte dem widerwilligen Jurastudenten die Apanage gestrichen - verfasste der Jungdichter Prosa- und Versstückchen was die Suppe hergab; in Wedekinds Texten vereinen sich Poesie, und ‚suppversiver´ Witz zu delikaten Botschaften, die den Griff zu Braunflasche und Brühwürfel zwingend nahe legen. Etwa: "Was dem Einen fehlt, das findet in dem Andern sich bereit; wo sich Mann und Weib verbinden, keimen Glück und Seligkeit. Alles Wohl beruht auf Paarung; wie dem Leben Poesie, fehle Maggi´s Suppen-Nahrung Maggi´s Speise-Würze nie!" Oder: "Vater, mein Vater! Ich werde nicht Soldat! Dieweil man bei der Infantrie nicht Maggi-Suppen hat! Söhnchen, mein Söhnchen! Kommst du erst zu den Truppen, so isst man dort auch längst nur Maggi´s Fleischconservensuppen". Ziviler und häuslicher klingt die Maggi-Poesi bei "Das wissen selbst die Kinderlein: Mit Würze wird die Suppe fein. Drum holt das Gretchen munter die Maggi Flasch´ herunter" - Der Würzespritzer aus der Braunglasflasche, herabgeschüttelt aus den Höhen des bürgerlichen Küchenbords in die proletarischen Niederungen des faden Gemüsewurzel- und Hülsenfrüchtesuds sollte einfache Arbeitersuppen zur ‚Hausmannskost´ veredeln.

Einen bitteren Beigeschmack bekommt die Erfolgsgeschichte, als sich die südwestdeutsche Maggi-Tochter, zu 96 Kapitalprozent in schweizerischem Besitz, servil wie kein anderes eidgenössisches Unternehmen, mit Maggiflasche, Tütensuppen und Brühewürfeln in die offenen Arme der Nationalsozialisten warf. SS Offizier und Blutordensträger Rudolf Weiss "arisierte", produzierte für Feldküchen und "Maria Hilf" und brachte es zum zweifelhaften Ehrentitel "Nationalsozialistischer Musterbetrieb". "Der Führer macht Geschichte, wir folgen", verkündete jetzt ein Spruchband über dem Werktor unter den Maggi-Flaggen.

Bis heute werden im Stammhaus in Kempttal bei Zürich jährlich zehn Millionen Liter Maggi-Würze hergestellt, in die klassische Träufelflasche abgefüllt oder zu kleinen Würfeln gepresst und in alle Welt exportiert. 600 Millionen Braunglasflaschen verlassen jährlich deutsche Fließbänder. 3,2 Milliarden Liter Gemüse- und Fleischextraktaufgüsse kochten im Jahr 1989 in deutschen Töpfen, was mehr als fünfzigtausend Tonnen Suppenpulver. Obwohl die Biomärkte boomen, obwohl Fernsehkochsendungen reüssieren, in denen Kochgenies knackig frisches Gemüse hacken, obwohl jedermann kocht und vorgibt, kulinarisch bewusst und kultiviert zu sein , stehen die Zeichen für Brühwürfel und Braunflasche weiter auf Erfolg. Will im wirklichen Leben, dem Naturtrend zum Trotz, vielleicht doch niemand Unmengen von Rinderknochen brühen, Wurzelwerk schälen und garen, Suppenhühner auskochen, Fettaugen abnehmen? Oder was mag sonst das Geheimnis sein?

Der Berliner Designer und Videokünstler Thomas Baryle erklärt es sich so: Die Maggiwürze sei ein "Archetyp in Form und Substanz, Elixier im modernen Industriezeitalter, tropfend und klebrig." Wie Amerika Coca-Cola erfand, hätten "die Deutschen ihr Maggi geschaffen." Dienen Brühwürfel und Maggiflasche als Halt in einer globalisierten Welt voller Wirren und Unübersichtlichkeit? Gustav Höbart, Marketing-Chef von Maggi, hat es auf den Punkt gebracht: "Wir sind der gute Geist in der Küche, Maggi ist Qualität, Zaubermittel, schnelle, preiswerte Küche. Tief in der Marke drin stehen Wärme, Geborgenheit, Sicherheit".

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