Was sie von dem Beinamen "heilige Johanna" hält, den ihr Bundesumweltminister Jürgen Trittin im Streit um den "Atomkompromiss" verpasst hat, frage ich Rebecca Harms. Sie lacht. "Nichts, denn Trittin hat es abfällig gemeint." Der Parteifreund bespöttelte die Provinz-Grüne und Blockadekämpferin, die mit den Bürgerinitiativen unter einer Decke stecke und kaum Ahnung habe, wie das Regieren gehe. Doch das wird sie womöglich bald erfahren, denn nach den Wahlen am 2. Februar könnte sie im Landtag in Hannover mit auf der Regierungsbank sitzen.
Wir sitzen im Platenlaaser Café Grenzbereiche mitten im Wendland. Soeben wurden zwei Hamburger Rechtsanwälte für ihre juristischen Verdienste bei der Begleitung des Widerstands gegen die Castortransp
die Castortransporte ausgezeichnet. Unter der Fragestellung Endlagerung der Grundrechte diskutiert Rebecca Harms nach der Laudatio mit den streitbaren Juristen über Versammlungsverbote bei Castortransporten, das Ausspionieren der Atomkraftgegner und die erdrückende Allgegenwart der Staatsmacht. "16.000 bis 20.000 Polizisten und BGS-Beamte - und wo seid ihr? Die Politiker? Willst du in Zukunft die Atommülltransporte verantworten?", ruft ihr eine Frau erregt zu. Rebecca Harms kennt diese Fragen nur zu genau. Souverän und geduldig gibt sie Auskunft. Ja, die Politiker hätten sich der Debatte um den Atomausstieg zu stellen. Gerade habe sie mit Volker Beck, dem Fraktionsvorsitzenden der Grünen, vereinbart, dass er und andere Bundespolitiker beim nächsten Castortransport in der Gefangenensammelstelle die Arbeit der Polizei kontrollieren. Aber man dürfe dann die angereisten Grünen nicht der Polit-Show bezichtigen. Die Frage, was sie beim Castortransport tun wolle, sollte sie in der nächsten Legislaturperiode niedersächsische Umweltministerin werden, bleibt allerdings unbeantwortet.Die grüne Spitzenkandidatin verschlug es 1977 in ihre Wahlheimat, den Landkreis Lüchow-Dannenberg. Der niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) hatte Gorleben als Standort für ein Nukleares Entsorgungszentrum (NEZ) benannt und Rebecca Harms, die gerade nach ihrem Abitur eine Ausbildung zur Baumschul- und Landschaftsgärtnerin in Uelzen machte, wurde von ihrem Chef freigestellt, um den Wendländern bei der Gründung einer eigenen Bürgerinitiative zu helfen. Die damals Zwanzigjährige war mit dem Thema Wiederaufarbeitung bereits vertraut, denn vor der Gorleben-Entscheidung wurden drei andere norddeutsche Orte für das NEZ ins Spiel gebracht, einer davon, Lutterloh, lag in ihrer Nachbarschaft.Dem Thema Atomausstieg blieb sie ebenso eng verbunden wie dem Wendland. "Zu Hause ist es am schönsten", sagt sie auf einer Wahlveranstaltung in Dannenberg vor gut 200 Zuhörerinnen und Zuhörern. Zu den Klängen des Posaunenchores Wittfeitzen-Zebelin betritt Rebecca Harms gemeinsam mit Dietmar Wischmeyer, alias Günther der Treckerfahrer, die Bühne. Comedy und Selbstironie bilden keinen Gegensatz zu den "ernsten" Themen, und die sind schon lange nicht mehr Gorleben allein, Agrarwende, regenerative Energien, Verkehr sind dazu gekommen. Und vor allem Bildung ist ein "Gerechtigkeitsthema" für sie, denn Ziel von Schule müsse es sein, die Schwachen zu stärken.Vier Jahre lang war sie in den Achtzigern Referentin der Regenbogenfraktion (GRAEL) des Europäischen Parlaments. Dann arbeitete sie als Filmemacherin und wurde schließlich gefragt, ob sie sich vorstellen könne, als Parteilose für die Grünen in den niedersächsischen Landtag zu ziehen. Es war ein rasanter Durchmarsch: Zwei Legislaturperioden hat sie hinter sich und eine dritte entgegen den Parteistatuten und mit großer Zustimmung von der niedersächsischen Grünen-Basis vor sich. Dem - politischen - Schwergewicht Sigmar Gabriel will sie grüne Flügel verleihen. "Obwohl es auf der Bundesdelegiertenkonferenz richtiger gewesen wäre, Gabriel und nicht mir die Turnschuhe zu schenken". Bange ist ihr bei den Umfragewerten der SPD. "Hoffentlich schwächelt die FDP und wir legen so zu, dass es für Rot-Grün in Hannover reicht."Keine gestanzte Rede, kein parteiprogrammatischen Floskeln kommen aus ihrem Mund. In den Grünen-Parteirat wurde sie jedes Mal im ersten Wahlgang gewählt, ganz im Unterschied zu manchem prominenten Bundespolitiker. Braucht die lädierte Partei, deren Verbindungen zu den außerparlamentarischen Bewegungen unter Rot-Grün in Berlin arg gelitten hat, doch eine heilige Johanna oder eine Jeanne d´Arc? Rebecca Harms hält dagegen: Die Partei sei im Aufwind, und sie sei es schließlich, die sich in ihrer Partei für die weitere Endlagersuche einsetze. "Schädlich ist es, die jeweilige Lage zu beschönigen, bei Niederlagen von Erfolgen zu reden wie beim Atomausstieg." Die Arbeit in der Bürgerinitiative sieht sie als gute Schule, denn dort habe man trotz aller Rückschläge immer wieder neue Strategien ersonnen, ein Vierteljahrhundert lang. "Aber nenne mich weder heilige Johanna noch Jeanne d´Arc, wenn du über mich schreibst", sagt sie plötzlich. "So wurde ich schon genannt, als 1980 das Hüttendorf, die Freie Republik Wendland, geräumt wurde. Und die Jeanne d´Arc nimmt so ein schreckliches Ende."Wolfgang Ehmke war langjähriger Sprecher der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg. Er kennt Rebecca Harms seit der Standortentscheidung Gorleben 1977.