Eine kleine Brücke

WENDLAND Wenn die Gleisarbeiten für die Castortransporte länger dauern, müssen die Atomkonzerne schon früher abschalten

Schuld ist eigentlich nur eine kleine Eisenbahnbrücke, die das Flüsschen Jeetzel bei Seerau/Hitzacker im Wendland überspannt. Normalerweise rollen hier die Züge mit Atommüll von und nach Gorleben. Doch die Brücke ist in die Jahre gekommen. Für die tonnenschwere Castorlast war sie nie ausgelegt, in den vergangenen Jahren konnten die Züge nur noch im Schritttempo darüber rattern. Seit langem steht die Runderneuerung des denkmalgeschützten Bauwerks an. Und im Moment ragen nackte Brückenpfeiler wie stumpfe Zähne in den Novembernebel, unter massivem Schutz von Polizei und BGS.

An diesem Nadelöhr spitzt sich gerade ein handfester Streit zwischen Frankreich und Deutschland zu. Seit März 1998 stehen in der Wiederaufarbeitungsanlage La Hague sechs Behälter mit verglasten hochradioaktiven Abfällen mit Ziel Gorleben zur Abfahrt bereit. Die wurde erst durch den noch von der früheren Umweltministerin Merkel verhängten Castortransportstopp aufgeschoben, nun ist es die ramponierte Brücke. Aber solange es für den Abtransport keine feste Terminzusage gibt, gebe es kein grünes Licht für Nachlieferungen aus den deutschen Atomkraftwerken, bleibt die Jospin-Regierung hart. Bis Weihnachten will nun Kanzleramtsminister Frank-Walter Steinmeier mit dem französischen Industrieminister Christian Pierret einen Ausweg finden, denn die Atomwirtschaft sitzt der Bundesregierung im Nacken. Hatte doch Rot-Grün im Juni in dem so genannten Atomkonsens versprochen, den reibungslosen Betrieb der Atomkraftwerke und auch die nukleare Entsorgung zu gewährleisten. Doch dieses Entsorgungskonzept scheint kurz davor, zu kollabieren - so wie das einzige deutsche Atommüllendlager in Morsleben derzeit zusammenzubrechen droht: Bis zu 1.000 Tonnen schwere Salzbrocken könnten sich aus der Decke der Einlagerungskammern lösen und auf die mittelradioaktiven Abfälle stürzen.

Acht Castoren sollen mit dem Segen des Bundesamtes in absehbarer Zeit rollen: Biblis, Stade und Philippsburg heißen die Absender-Atommeiler. Aber in Philippsburg gelang es nicht, die Behälterdichtungen zu trocknen. Die Reaktion der Atomkraftgegner/innen: Sie demonstrierten Ende September in Gorleben und blockieren in diesen Tagen die Tore des baden-württembergischen Atomkraftwerks Philippsburg.

Die Querstellerei der Castorfeinde beschränkt sich auch nicht mehr allein auf das Wendland (Gorleben) und das Münsterland (Ahaus), auch an den AKW-Standorten regt sich Widerstand. Wegen der castorfreien Zeit sind die Lager- und Stellplätze im deutschen Kraftwerkspark knapp geworden, Stade zum Beispiel droht die Abschaltung im Frühjahr 2001 nach dem nächsten Brennelementwechsel, weil es keine Lagerkapazitäten gibt.

Und in Frankreich wird derzeit um den seit Jahren und über alle gesetzliche Fristen in La Hague liegenden Atommüll debattiert, Anwohner haben die WAA-Betreiberin Cogema wegen illegaler Lagerung verklagt - sie fürchten, dass in der Normandie ein de-facto-Endlager für deutschen Atommüll entstanden ist. Auch, um den Konflikt mit Frankreich zu entschärfen, hätten die Castoren am liebsten schon vorgestern auf die Schiene müssen.

Doch da ist die Brücke vor. Die Chance, hier das Atomprogramm von Regierung und Betreibern weiter ins Wanken bringt, lässt sich der Widerstand nicht entgehen. Die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg ruft für den 3. Dezember zur Demo und Besichtigung des Nadelöhrs auf.

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