Der jüngste Bericht über den Zustand des Atommülllagers Asse II hat zahlreiche Missstände und Verfahrensverstöße aufgezeigt. In dem Salzstock sind rund 126.000 Fässer mit mittel- und schwachradioaktivem Müll eingelagert. Seit 1988 müssen täglich rund 12.000 Liter Sickerwässer aufgefangen und abgepumpt werden. Die Stabilität des Lagers ist bedroht. Bis Ende des Jahres soll nun geklärt werden, welches Schließungskonzept verfolgt wird. Eine Standsicherheit sei nur noch bis zum Jahr 2014 gegeben, attestieren Experten.
Er sehne sich nicht nach der Übernahme der Asse II in sein Ressort. Aber nach der Dokumentation der verheerenden Zustände in dem niedersächsischen Atommülllager nahe Wolfenbüttel handelte Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) rasch. Er einigte sich mit Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) und seinem niedersächsischen Amtskollegen Hans-Heinrich Sander (FDP), die Zuständigkeit für die Asse auf das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) zu übertragen, also dem Bundesumweltministerium zu unterstellen. Die Schachtanlage wird zukünftig nicht mehr nach Bergrecht, sondern als Endlager nach dem strengeren Atomrecht behandelt.
Jahrelang wurden die Warnungen von Bürgerinitiativen und Wissenschaftlern ignoriert, bis kontaminierte Laugenzuflüsse in der Kaligrube Asse II für Schlagzeilen sorgten. Diese wurden ohne jede Genehmigung in die Tiefe gepumpt. 1965 hatte das Helmholtz-Zentrum im Auftrag des Bundes das Kalibergwerk gekauft. Unter dem Deckmantel eines Forschungvorhabens wurde ein Endlager für Atommüll errichtet. Von 1967 bis Ende 1978 lagerten die Betreiber 126.000 Fässer mit schwach- und mittelradioaktiven Abfällen ein, teils gestapelt, teils verstürzt. Inzwischen wird auch zugegeben, dass mindestens 94 Fässer mit kugelförmigen Brennelementen aus einem Versuchsreaktor im Kernforschungszentrum Jülich in die Asse II gebracht wurden. Die Bergung der Fässer war nie vorgesehen. Bereits 1978 legte der Wasserbau-Ingenieur Hans-Helge Jürgens eine Studie vor, die das Desaster voraussah: Massiver Wassereinbruch könne die Grube zum Einsturz bringen. Doch niemand schenkte ihm Glauben. Auch der Geologe Werner Schneider von der TU Braunschweig bestätigt, dass die Probleme bereits in den sechziger Jahren bekannt waren (siehe Freitag 26/2008).
Aller Warnungen zum trotz fanden sich willfährige Geowissenschaftler wie der "Salzpapst" Professor Klaus Kühn, die das Gegenteil bescheinigten. Die Bürgerinitiativen kritisierten von Beginn an, dass unter der atemberaubenden Etikette "versuchsweise nicht-rückholbare Einlagerung" faktisch ein Endlager den Betrieb aufgenommen hat. Auch das war nachlesbar.
Im Umweltprogramm der Regierung Willy Brandt hieß es 1971: "Die BRD hat ... mit dem Salzbergwerk Asse bei Wolfenbüttel ein Endlager geschaffen, das nach vollem Ausbau die bis zum Jahr 2000 anfallenden etwa 250.000 cbm (Kubikmeter, d. Red.) radioaktiver Rückstände sicher aufnehmen kann." Aber die Fakten wurden bestritten. Ein Planfeststellungsverfahren zur Einrichtung einer Atommülldeponie wurde wegen hoher Sicherheitsbedenken 1976 verworfen, die Grube hatte keine Aussicht auf Genehmigung als Atommüllendlager. Sie sollte offiziell ein reines Forschungsbergwerk bleiben, wurde aber de facto doch als atomares Endlager genutzt. Zusätzlich wurde das Kalibergwerk Versuchslabor für Gorleben. Denn auch in Gorleben setzen die Betreiber auf Salzgestein als Endlagermedium. Und es drängen sich weitere Parallelen auf: Das Wissen der Behörden um gravierende Sicherheitsmängel wie den Wasserkontakt, die Abwicklung der sogenannten Erkundung nach Bergrecht, selbst die Gutachter sind dieselben.
Kaum war vergangene Woche der Beschluss gefasst, die Zuständigkeit vom Helmholtz-Zentrum auf das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) zu übertragen, begann die Runde der Schuldzuweisungen. Annette Schavan, die noch im Januar das Know-how der Helmhöltzer lobte, war blamiert und suchte die Schuld bei Jürgen Trittin. Der Grünen-Politiker war schließlich auch einmal Umweltminister. Das niedersächsische Umweltministerium teilte indessen mit, dass die internen Informationspannen ohne disziplinarische Folgen blieben, obwohl der zuständige Mitarbeiter entsprechende Hinweise in einer Dokumentation des Helmholtz-Zentrums übersah. Die Bergbehörden unterstehen ihrerseits der Aufsicht durch das Landesumweltministerium, doch der niedersächsische Umweltminister Hans-Heinrich Sander, ein glühender Gorleben- und Schacht Konrad-Befürworter, scheint mit einem blauen Auge davon zu kommen.
Hochdifferenzierte Arbeitsteilung, so formulierte Ulrich Beck in Risikogesellschaft, kenne eine allgemeine Verantwortungslosigkeit, sie mündet, so muss man ergänzen, in die jeweilige Zuständigkeit. Die Strafanzeigen gegen den bisherigen Betreiber Helmholtz-Zentrum werden mit Sicherheit im Laugensumpf versickern. Die Kosten für die Sanierungsschritte - geschätzt auf 2,5 Milliarden Euro - trägt der Steuerzahler.
Es ist ein kluger Schachzug von Sigmar Gabriel, sich kurzerhand zum obersten Dienstherrn der Asse zu machen. So steht er als konsequenter Aufräumer da, suggeriert Verantwortung statt Zuständigkeit. Das Thema Atomkraft polarisiert die Wählerschaft wie lange nicht. Trotz des anhaltendenTrommelfeuers für Laufzeitverlängerungen der Atomkraftwerke kristallisiert sich heraus, alle Argumente pro Atom - Klimaschutz, Billigstrom - verfangen nicht, sie sind widerlegt. Das Atommülldesaster wird vom SPD-Mann genutzt, um die Anti-Atom-Stimmung in Wählerstimmen umzumünzen. Gabriel prescht vor, um nicht in die Defensive kommen zu müssen - denn er ist selbst in das Asse-Desaster verstrickt. Die Asse liegt in seinen Wahlkreis, er war niedersächsischer Ministerpräsident von 1999 bis 2003. Bundeskanzlerin Angela Merkel, die übrigens jahrelang als Bundesumweltministerin die Standsicherheit Morslebens beteuerte und alle Warnungen kühn ignorierte - bevor sie eines besseren belehrt wurde - müht sich, die ausufernde Debatte einzugrenzen: In Gorleben seien 1,5 Milliarden Euro investiert worden, damit sei klar, dort müsse zu Ende gebaut werden. Billige Argumente können teuer zu stehen kommen.
Ohnehin lässt sich die Debatte nicht mehr eingrenzen auf die Asse und das Thema Laufzeitverlängerung. Die Parallelen zwischen der Asse und Gorleben werden immer offensichtlicher, und damit auch ein Kernproblem der Atomkraftnutzung: Niemand weiß, wohin mit dem Müll, und das ist ein Grund, die sofortige Abschaltung der Atomanlagen einzufordern.
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