Das Vermögen, Nein zu sagen

Grundeinkommen Kann Arbeit (ab)wählbar sein?

"Ich will nicht kämpfen!" Das Vermögen, Nein zu sagen, war schon einmal ein Schlüssel zur Entwicklung von Zivilgesellschaft. Bezogen auf die Arbeit, könnte es noch "Reserven" bergen, die zu erschließen, den Arbeitenden wie den Nichtarbeitenden zugute kämen. Wie die Option, zu wählen, aussehen könnte, wer von ihr profitierte und welche kulturelle Dimension die Freiheit haben könnte, verhandelt Wolfgang Engler in seinem neuen Buch Unerhörte Freiheit, Arbeit und Bildung in Zukunft, das Ende September im Aufbau-Verlag erscheinen wird. Die Kapitel 40 und 43 dokumentieren wir, leicht gekürzt, im Vorabdruck. (Weitere Beiträge zur Debatte um ein Grundeinkommen im Freitag Ausgaben 38, 44, 46, 48, 52/2006 und 1,3,5/2007.)

Ein verworfener Titel dieser Betrachtung lautete: Versuch, die Grenzen der Freiheit zu bestimmen; zu allgemein zugleich und zu vermessen. Das Freiheitsthema auszuschöpfen, auch nur in Bezug auf die ökonomische Sphäre, die hier den Fokus bildete, das hätte Erwartungen nur geweckt, um sie pünktlich zu enttäuschen. Die im vorgegebenen Rahmen erörterbare Frage war gewichtig genug: Wie kräftig darf die ökonomische Willensfreiheit sprießen, ohne die Springquellen des gesellschaftlichen Reichtums zu überwuchern, zum Nachteil allgemeiner Wohlfahrt, individuellen Wohlergehens? Oder konkreter, mit leicht vulgärem Anklang: "Rechnet" sich die Freiheit, wenn sie hinter Arbeit ein Fragezeichen setzt?

Die Antwort, je und je gegeben, nunmehr zum Resümee geführt, heißt: Ja, die Freiheit "rechnet" sich, und sie trägt Zinsen. Aussteiger, Arbeitsbürger, Unternehmer ziehen, erfüllt man das Versprechen abwählbarer Arbeit überlegt, Gewinn daraus, kulturellen oder materiellen, unmittelbar oder doch in naher Zukunft.

Ein Argument im Für und Wider "durchzubringen" rechtfertigt, selbst wenn der ärgste Kritiker zuletzt ermattet beistimmt, keinen intensiven Schreibprozess. Wozu sich in Klausur begeben, wenn nicht zu dem Zweck, sich geistig zu entsichern, um hernach anders zu denken als zuvor. Routinen, zur Bewältigung des Alltags unentbehrlich - das kann ich ohne große Überlegung, gut so! -, taugen nicht zum inneren Zwiegespräch. - Inwiefern ergab sich Neues?

Im Mainstream der zeitgenössischen linken Kapitalismuskritik gilt der Staat, am Markt gemessen, als das geringere Freiheitsrisiko. Ich bin da nicht mehr sicher - gegen den Markt, gegen Märkte an sich zu wettern, verrät mangelnde Unterscheidungskraft. Der Markt begegnet uns im Plural, als Kapitalmarkt, Gütermarkt, Dienstleistungsmarkt, Kunstmarkt, Bildungsmarkt, als Stellen- oder Arbeitsmarkt. Die summarische Aufzählung gliedert das Marktgeschehen in einzelne Segmente und nivelliert zugleich die Singularität des Arbeitsmarktes. Es bedeutet einen kardinalen Unterschied, ob ich Waren oder Dienstleistungen vermarkte, ob ich mein Geld als Kapital zu Markte trage oder mein Arbeitsvermögen. Was hier stattfindet, ist eine Verkehrung von Substanz und Attribut.

Die Fähigkeit, Arbeit zu leisten, erläutert, als eine unter vielen Eigenschaften, den Menschen, sein unerschöpfliches Wesen. Bin ich, bei Strafe physischer Not, zur Vermarktung dieser Fähigkeit gezwungen, verschlingt ein Grundzug meines Wesens - arbeiten zu können - den ganzen Menschen oder speit ihn, wenn sich kein Käufer findet, halb gelangweilt, halb angewidert aus.

Marktprozesse dagegen, die dem Veranstalter des Marktspiels, dem Menschen, Sonderrechte zubilligen, so dass er daran teilnehmen oder ihm fernbleiben und trotzdem menschenwürdig leben kann, geben wenig zu befürchten und einiges zu hoffen. Stimmt die Prämisse - (ab)wählbare Arbeit - stimmt auch das Resultat, der "Preis der Arbeit", weil dem Leben eigener Wert schon immer zugeschrieben ist, und man könnte mit geringer Übertreibung ausrufen: Alle Macht dem Markt - dieser bislang rationellsten und nunmehr auch humanen Wirtschafts- und Primärverteilungsweise!

Ein historischer Vergleich von wirtschaftlicher Rationalität und Humanität, der beider Eigenart und beider Rechte respektiert, ebnete den Weg zur "Auswilderung" der Utopie. Die Gehege zu öffnen, den Feldversuch anzuberaumen vermag nur ein entschiedener gesellschaftlicher Willensakt. Dazu müssen sich die Vielen, die die Gesellschaft bilden, vernehmlich äußern und bereit sein, den konzentrierten Ausdruck ihres Willens, den Staat, für ihre Absichten mobil zu machen. Anschließend können sie ihn in die Ferien schicken oder an den Hindukusch.

Neu, unerwartet, anfänglich unwillkommen war die Einsicht, dass die Freiheit, von der ich spreche, im Wesentlichen negative Freiheit war, die Freiheit, Nein zu sagen, zur Stelle, zum Beruf. (Ab)wählbare Arbeit? Was semantisch auf die Klammer folgt, steht praktisch selbst in Klammern, ist ungewiss, bar jeder Rechtsgrundlage. Ist negative Freiheit deshalb zu verwerfen?

In der Evolution der menschlichen Spezies erwies sich Sprache von vornherein als Schlüsselkompetenz. Individuen, die darüber verfügten, konnten Rangordnungskämpfe vermeiden, indem sie prononciert erklärten: "Ich will nicht kämpfen!" Kein schlechter Auftakt für den Homo sapiens, wert, in unsere Zeiten übersetzt zu werden: "Ich will nicht arbeiten, nicht um jeden Preis und nicht zu diesen Konditionen!"

Das Vermögen, Nein zu sagen, das die soziale Welt erschaffen half, besitzt - im Radfahrerjargon zu sprechen - womöglich noch Reserven. Sie zu erschließen käme, das sei hervorgehoben, auch den Arbeitenden zugute. Der Arbeitsvertrag der Zukunft basiert auf dem Recht beider Partner, einander verlassen zu können.

Mehr zu verlangen, absolute Freiheit, die alle jederzeit mit Ausstiegsrechten und mit Arbeitsgarantie versieht, bedeutet in letzter Konsequenz, im Alten zu verharren, die Freiheit, wie auf dem Appellplatz, an der Arbeit auszurichten. Die Funktionäre der sozialen Ordnung hissen in Gedanken schon die Fahne.

In vielen demokratisch verfassten Gesellschaften wird man heute freiwillig Soldat, Soldatin - warum nicht auch Arbeiter und Angestellte? Freiheit, in der persönlichen Sphäre, fußt auf dem Recht der Individuen, sich aufgrund souveräner Entscheidung zu binden, einander aber auch wieder verlassen zu können, ohne soziale Sanktionen zu gewärtigen.

In der ökonomischen Sphäre ist diese Freiheit unbekannt. Wer einem Dienstherren kündigt, muss sich einen anderen suchen, sonst drohen unliebsame Konsequenzen? Wie lange noch? Das Beschäftigungsverhältnis aus den Fesseln sozialen Zwangs, in denen es seit je gefangen war, zu lösen, das ist der nächste Schritt des zivilisatorischen Prozesses.

Ihn zu vollziehen, unterstellt ein Grundeinkommen, das dem Leben ohne Arbeit eine materielle Basis gibt, auf der es, weil auskömmlich, überhaupt erst wählbar wird.

Sein Auskommen finden, mittels Arbeit, in gesellschaftlicher Teilhabe, verlangt ein Entgelt, dass das ermöglicht - einen Mindestlohn. Darunter darf kein Grundeinkommen fallen - es wäre nicht mehr auskömmlich. Daher gilt: Grundeinkommen = Mindestlohn. Wer darauf Anspruch hat, verlangt nach Arbeit mit einem höheren Ertrag. Folglich gilt auch: Arbeitseinkommen > Mindestlohn. Diesen Witz hat noch niemand verstanden. Man sollte ihn wie ein Geheimnis hüten! Keine Grundsicherung ohne gesetzlichen Mindestlohn! In dieser Frage steht der fortschrittliche Liberale dem Gewerkschaftler zur Seite. Kein über dem Mindestlohn liegender Arbeitsertrag ohne Grundeinkommen! Wo ist der Gewerkschaftler, mit dem der Liberale sich in diesem Kampf verbünden könnte?

Ohne Deckung durch einen Mindestlohn sinkt das Grundeinkommen unter die Schwelle des Auskommens. Zuarbeit wird unentbehrlich, die aus dem Arbeitsprozess Ausgeschiedenen versammeln sich abermals beim Unternehmer, jederzeit bereit, die Stellen seiner aktuellen Mitarbeiter einzunehmen. Der folgt ihren Begehren, entledigt sich des Personals, so gut er kann, und speist die Neuen, die schon etwas auf dem Rücken haben, mit Almosen ab.

Das "Grundeinkommen", das dem Unternehmer schmeckt, subventioniert die Löhne - aus allgemeinen Steuermitteln. Die einen kaufen sich mit "ihrem" Grundeinkommen (das nun keines mehr ist) erneut in ihre vormaligen Beschäftigungsverhältnisse ein und leben nun so gut, so schlecht als wie zuvor; die anderen befreien sich mit demselben Instrument von ihren unternehmerischen Pflichten: "guter Lohn für gute Arbeit" - Niederkunft der Utopie als Farce.

Um auch nur die ärgsten Folgen eines Grundeinkommens, das keinen Mindestlohn zum Paten hat, zu kontrollieren, müsste man den Grundeinkommensempfängern die Aufnahme zusätzlicher Arbeit untersagen und Wächter aufstellen, die illegale Grenzübertritte unterbinden bzw. ahnden. Zukünftige Arbeitsplätze für engstirnige Gewerkschaftsfunktionäre, die sich nur ihrer Klientel, den je in Arbeit Stehenden, verpflichtet fühlen?

Die Abwärtsspirale aus Arbeitskonkurrenz und Lohnverfall drehte sich langsamer, immerhin, "Grundsicherung" bliebe ein Sammelbegriff für nicht arbeitende Arme, für staatlich verwaltetes Elend - im Arbeitspolizeistaat.


Ein auskömmliches Grundeinkommen könnte in zwei Teile zerfallen, einen ausbezahlten, der das Auskommen in materieller Hinsicht garantiert, und einen kulturellen Fonds für die geistigen Ansprüche und eigens abzurufen, an der Theaterkasse, in Museen, bei Lesungen et cetera. So schlösse man auch im Procedere soziale Rechte und Bildungsanreize zusammen, freilich nur, um den Anspruchsberechtigten den Armutsnachweis abzufordern: kein Eintritt ohne Demutsgeste!

Wäre das, der kulturellen Stimulanz zuliebe, um zu verhindern, dass "geistige Nahrung" handfest umgewidmet wird, doch "zumutbar?" Freiheit kommt nie zu früh!

Niemals?

"Alle Verbesserung des Politischen soll von Veredlung des Charakters ausgehen", dämpfte Friedrich Schiller in seinen Briefen Über die ästhetische Erziehung des Menschen allzu verwegene Freiheitsträume seiner Zeitgenossen. Erst die Kultivierung der "Gesinnungen und Gesittungen" und dann die Erweiterung des allgemeinen Handlungsspielraums. Als ich das, jung an Jahren, erstmals las, runzelte sich die Stirn. Heute stellen sich dort aus demselben Anlass Grübelfalten ein.

Wolfgang Engler, geboren 1952 in Dresden, Soziologe, ist Rektor an der Schauspielschule Ernst Busch in Berlin. Zuletzt erschien Bürger, ohne Arbeit. Aufbau-Verlag, Berlin 2005, 416 Seiten, 19,90 EUR


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