Das kreisrunde Logo des Black Mountain College begrüßt die Besucher auf einer orangefarbenen Wand. Unmittelbar darunter erstreckt sich eine Vitrine, deren Inhalt weniger optimistisch stimmt. Zu studieren sind die bedrückenden Dokumente der Schließung des 1919 in Weimar gegründeten Bauhauses aus dem Jahr 1933. Bauhaus-Direktor Mies van der Rohe informiert sein Kollegium über die anstehende Demontage der einzigartigen staatlichen Hochschule. Schwammig umschrieben mit: „Die wirtschaftliche Situation“ mache diese Entscheidung nötig. Tatsächlich hatte die NSDAP als Sieger der Gemeindewahl die Schließung des Dessauer Bauhauses durchgesetzt. Die SPD bewies Geschmeidigkeit und enthielt sich, nur die KPD stimmte dagegen.
Das Bauhaus, das seit 1925 in Dessau seinen Sitz hatte, setzte Interaktionen zwischen zuvor streng getrennten Bereichen wie angewandter, bildender und darstellender Kunst in Gang. In der Vitrine findet sich neben den Briefen des Direktors jedoch auch ein erster Hoffnungsschimmer, zumindest für zwei der nun arbeitslos gewordenen Bauhaus-Lehrer und -Professoren: Anni und Josef Albers erhalten ein Lehrangebot aus den USA.
Besser ohne Druck
1933 war in Florida mit John Andrew Rice ein Universitätsprofessor aufgrund seiner Kritik an den herrschenden Unterrichtsmethoden entlassen worden. In Folge unternahm er den Versuch, seine Utopie eines idealen Colleges in der Praxis zu verwirklichen. Man fühlt sich an Joseph Beuyś Rauswurf aus der Düsseldorfer Kunstakademie erinnert und seine Free International University. Rice gründete das Black Mountain College zunächst mit zwölf Kollegen und 22 Studierenden auf Spendenbasis. Abgelegen in den Bergen nahe Asheville im Bundestaat North Carolina entstand so ein einzigartiges Lehrinstitut: eine freigeistige Hochschule, an der Wissenschaft und Künste gleichgewichtet gelehrt werden sollten. Ein Labor, in dem aus Europa vertriebene Künstler der Avantgarde auf US-amerikanische Kollegen trafen. Dass das Ende des Experiments 1957 in die McCarthy-Ära und den Verdacht „kommunistischer Umtriebe“ fällt, verwundert da kaum.
In einem Raum können die geometrischen Muster und Strukturen der mexikanischen Kunst untersucht werden, die in North Carolina Einfluss auf Anni Alberś Kunst hatten. Die Bauhäuslerin lernte, Ähnlichkeiten und Differenzen gleichzeitig wahrzunehmen. Sorgfältig ausgewählte Objekte, Bilder, Fotografien, Filme und Dokumente nehmen in der ganzen Ausstellung den Anspruch des Colleges auf, die Disziplinen zu vernetzen, und führen einen munteren Dialog miteinander. So gelingt es dieser kulturhistorischen Schau, einen Raum zu öffnen, der gerade in einer Zeit, in der Utopien und Visionen als Fall für den Augenarzt gelten, dringend benötigt wird.
Wie fruchtbar der Austausch zwischen den Künstlern, Malern, Tänzern und Forschern an diesem College war, wird auch an der Bedeutung seiner Studierenden in späteren Jahren klar. Zu ihnen zählen Robert Rauschenberg, Katherine Litz, Merce Cunningham, John Cage, Cy Twombly, Ruth Asawa und Karen Karnes. Dass soziale und kulturelle Interaktionen zwischen Menschen auch das Individuum selbst weit mehr und nachhaltiger bereichern als die gegenwärtig dominierende Ego-Ideologie des „Nimm, so viel du kriegen kannst!“, könnte durch diese Ausstellung nebenbei deutlich werden.
Die Ausstellungsarchitektur nimmt dabei Konzepte des Experiments, die Betonung des Prozesshaften, des Offenen auf. Schön ist es, auf einer breiten Treppe aus duftendem Holz zu ruhen und im Kopfhörer einen spannenden Vortrag zu hören. Nie war Hochschule interessanter, gerade heute, wo Askese, Verzicht, Spardiktat, Umverteilung und der scheußliche Schröder-Slogan vom „Fordern und Fördern“ die Atmosphäre erstickt haben. Einfach durch eine schöne Holzarchitektur zu wandern, dabei eine Radierung von Pop-Artist Robert Rauschenberg aus dem Jahr 1949 zu entdecken, Ruth Asawas zauberhafte Farbtuschen Dogwood Leaves von 1946 und Fotos von Buckminster Fullers Studenten beim fröhlichen Herumtasten in seinen geodätischen Kuppeln. Spannende, vielschichtige Kunst entsteht offenbar besser ohne Druck, kommt dabei ohne Pathos aus, zeigt Bodenhaftung, wirkt als Theorie in der Praxis und als Prozess in sozialer Interaktion.
Bleibt also die Frage, wie aus gegenwärtiger Sicht das Erbe des Black Mountain College verstanden und erneuert werden könnte. Exakt das fragt vor Ort Professor Arnold Dreyblatt von der Kieler Muthesius-Kunsthochschule und setzt auf die wortwörtliche Bedeutung des Museums als Ort für gelehrte Beschäftigung: In einem Studio forschen Studierende unterschiedlicher Universitäten in der Ausstellung nun mit originalem Archivmaterial und präsentieren dazu Vorträge und Performances.
Info
Black Mountain. Ein interdisziplinäres Experiment 1933 – 1957 Hamburger Bahnhof Berlin, bis 27. September
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