Ein Mann des Westens

Yukiya Amano Der Japaner Yukiya Amano soll der Wiener Atomenergieagentur (IAEA) die Kanten abschleifen. Er wird der neue General­direktor

Sein bisheriges Leben scheint auf diesen Weg an die Spitze der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) hinausgelaufen zu sein. Die Wiener Behörde überträgt Yukiya Amano eine Mission, bei der Vermittlung und Geduld, vor allem aber ausgleichende Fähigkeiten gefragt sind. Und der neue Generaldirektor befand sich bisher fast immer in der „Mitte“: Geboren wurde er am 9. Mai 1946 im japanischen Kernland auf der Hauptinsel Honshū im Großraum Tokio. Dort im Küstengebiet herrscht ein gemäßigtes Klima, die Sommer sind nicht ganz so heiß, die Winter nicht ganz so kalt wie anderswo in Japan.

Nach dem Schulbesuch studierte Amano ab 1968 an der Tokio-Universität Völkerrecht und bereitete sich schon in dieser Zeit voller Ehrgeiz auf eine internationale Karriere vor. 1972 trat er ins japanische Außenministerium ein, galt bald als Experte für die Themen Abrüstung und Nichtverbreitung von Kernwaffen und fand sich auf einer ministerialen Laufbahn wieder, die beständig nach oben führte. Bald schickte man ihn an die Botschaften in Vientiane, Washington sowie Brüssel und als Unterhändler in die Genfer Abrüstungskonferenz.

Kein Durchmarsch

Die Organisation mit dem Ähren umkränzten Atommodell als Logo kennt Amano seit langem und seit langem von innen. Für zwei Jahre stand er ab 2005 dem Gouverneursrat der IAEA vor. Ein Jahr später leitete er mit viel Geschick das erste Vorbereitungskomitee für die im Frühjahr 2010 in New York anberaumte Überprüfungskonferenz zum Kernwaffensperrvertrag. Auch außerhalb des diplomatischen Parketts war der heute 63-Jährige gefragt. Nicht ohne Risiko erschien seine Assistenz bei der Entsorgung russischer Atom-U-Boote am Ochotskischen Meer, die Tokio Ende der neunziger Jahre ein Millionen-Dollar-Programm wert war, um ökologische Schäden abzuwenden.

Als vor Monaten in der IAEA die Weichen für die Nachfolge des scheidenden Friedensnobelpreisträgers Mohammed El-Baradei aus Ägypten gestellt wurden, schien Amano von Beginn an siegessicher. Wie auch seine Regierung, die sich nicht scheute, monatelang einen aufwendigen Wahlkampf für ihren Bewerber zu betreiben. Doch der scheiterte mit dem erwarteten großen Durchmarsch beim ersten Wahlgang im März. Amano verfehlte die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit unerwartet klar. Bei einer Probeabstimmung Anfang Juni gab es dann mit 20 zwar die meisten Stimmen, aber immer noch nicht genug. Am 2. Juli erst bescherten ihm am Ende 23 Voten den Triumph über den Dauerrivalen Samad Minty aus Südafrika, hinter dem China, Indien sowie die meisten Vertreter Afrikas und Lateinamerikas im Gouverneursrat stehen. Der Spanier Luis Echavarri war in der vorletzten Runde ausgeschieden, der Slowene Ernest Petrič und Jean-Pol Poncelet aus Belgien hatten ihre Kandidatur zurückgezogen.

Amano wird nun eine Agentur führen, die im zurückliegenden Jahrzehnt von einer einst wenig beachteten Spezialbehörde für Atomkontrollen zu einer hochpolitischen und politisierten Arena wurde. Sie schöpft ihre Autorität vorrangig aus einer Frage, die zuletzt unbeirrbar als Priorität behandelt wurde: Inwieweit unterläuft der Umgang mit Kernenergie die internationale Sicherheit? Wie kaum eine andere Organisation beobachtet die IAEA, ob der Atomwaffensperrvertrag missbraucht wird. Was dann der Fall ist, wenn der vertraglich erlaubte zivile Gebrauch von Kernenergie in ein geheimes Atomwaffenprogramm mündet.

Kritiker werfen dem neuen IAEA-Chef vor, er sei ein farbloser Technokrat, dem es an Charisma fehle. Amano hat darauf unter anderem mit dem Satz reagiert: „Eine Zeitung schrieb, ich sei still, aber resolut. Das mag ich.“ Und zu seinem künftigen Mandat meint er: „Das ist ein sehr wichtiger Auftrag. Tut man etwas Wichtiges, gibt es immer Schwierigkeiten. Genau deshalb aber sollte es getan werden.“

Skepsis der Dritten Welt

Ohne Zweifel war und ist Amano der Favorit der westlichen Industriestaaten, besonders der Vereinigten Staaten, und gilt vielen Entwicklungsländern als Darling der Reichen. Hinter der vom Westen gewünschten und betriebenen „Entpolitisierung“ der IAEA vermuten sie einen Verzicht auf die von Amanos Vorgänger El-Baradei stets energisch erhobene Forderung nach Abrüstung aller Nuklearmächte. Viele befürchten überdies, Yukiya Amano könnte sich viel zu sehr als Gewährsmann der Regierung in Tokio verstehen.

Wie der neue Generaldirektor diese Vorbehalte entkräften will, hat er vor der Wiener Presse angedeutet: „Jüngst sagte ich vor dem Gouverneursrat, dass ich standhaft gegen die Verbreitung von Kernwaffen auftrete, weil ich aus einem Land komme, das Hiroshima und Nagasaki erlebt hat. Das wird meine Führung prägen.“

Er wolle gern zugeben, dass er bei der Abrüstung über eine weitaus größere Erfahrung verfüge als bei der Nichtweiterverbreitung von Nuklearwaffen und -technologie: „Als ich bei der Abrüstungskonferenz in Genf war, schlug Japan 1994 eine Resolution zur Abschaffung aller Atomwaffen vor. Seither traten mein Land und ich massiv für die Reduktion aller Arsenale ein.“ Andererseits sollte man vorsichtig sein, so Amano, es sei ein Irrtum zu glauben, die Wiener Behörde könne die Genfer Abrüstungskonferenz oder andere UN-Gremien ersetzen. Wenn die IAEA wie bisher üblich bei ihren Ad-hoc-Kontrollen von Atomanlagen vor Ort bleibe, dann tue sie auch etwas für die Abrüstung. An Zustimmung gewonnen hat der Japaner mit seinem Versprechen, er werde den Haushaltsentwurf der IAEA bis 2010 nach unten korrigieren, wohingegen der noch amtierende Chef ein Viertel mehr an Mitteln verlangt.

Yukiya Amano wird für die nächsten Jahre den Blick aus dem geschwungenen Hochhaus-Turm in der Wagramer Straße 5 auf die gemächlich dahinfließende Donau genießen können. Ob er Wien für einen besonders „heißen“ Ort halte, wurde er nach seiner Wahl gefragt. „Es ist sicher einer der aufregendsten Orte meiner Karriere“, lautete die diplomatische Antwort.

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