Nordkorea unternimmt regelmäßig Raketentests, zuletzt Anfang des Monats, ohne dass sich ein Ende absehen ließe. Am 4. April wäre es um ein Haar zur Katastrophe gekommen, als ein Radar des japanischen Verteidigungsministeriums die „Spur eines Objekts“ registrierte und es „als nordkoreanische Rakete“ identifizierte. Tage zuvor hatte Pjöngjang den Start einer Langstreckenrakete vom Typ Taepo Dong-2 angekündigt, worauf Tokio im Gegenzug drohte, die Rakete abschießen zu wollen. Also standen die japanischen Militärs unter Handlungsdruck.
Am 4. April stellte sich die zitierte Beobachtung glücklicherweise schnell als Fehlinformation heraus. Der eigentliche Raketenstart erfolgte erst 24 Stunden später und endete wenig später in den Wellen des Pazifik. Aber Nordkorea ist nicht nur mit seinem Testprogramm recht rege, es tritt auch als Exporteur von Raketen und Raketen-Technologie auf, zu dessen Abnehmern bis vor wenigen Jahren Pakistan und Libyen gehörten, während im Augenblick Iran, Ägypten, Syrien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Nigeria und Vietnam als tatsächliche oder potenzielle Kunden gelten.
Die nordkoreanische Führung betrachtet ihr Verhalten als legitim, solange sich die USA in Gestalt der Prompt-Global-Strike-Doktrin die Fähigkeit erhalten, jedes Ziel überall auf dem Globus innerhalb einer Stunde bekämpfen zu können. Ein derartiger Anspruch und die dazu erforderlichen Programme beschleunigen das Raketen-Wettrüsten und erhöhen die Nuklearkriegsgefahr, von der heute kaum noch jemand spricht. Aufklärungssatelliten und Frühwarnsysteme sind zuhauf disloziert, denen es nicht gegeben ist, unterscheiden zu können, ob Raketen zu Testzwecken aufsteigen, welche Zielkoordinaten programmiert sind und welchen Gefechtskopf sie tragen – einen nuklearen oder konventionellen? Ein Raketenstart kann für einen Angriff mit Atomwaffen gehalten und mit einer vermeintlich adäquaten Reaktion bedacht werden.
Angesichts dieser Umstände ist es um so bedauerlicher, dass seit 2000 ein ganzes Jahrzehnt für die Abrüstung verloren gegangen ist. Und zwar mit gefährlichen Folgen: Wie das Beispiel Nordkorea zeigt, erfasst die Aufrüstung mit Raketen zwischenzeitlich mehr Staaten als je zuvor und wird zu einem lebensbedrohlichen globalen Phänomen. Können doch die vorhandenen Trägermittel ihre tödliche Last in jeden Winkel der Welt fliegen. Die damit heraufbeschworenen Risiken übertreffen die anderer Transporter erheblich. Einmal gestartet, sind Raketen – im Unterschied zu Flugzeugen oder U-Booten – nicht mehr zu stoppen, es gibt keinen Rückwärtsgang. Aber in diesem Metier erobern nicht nur Forschung und Produktion, sondern auch Schmuggel und Schwarzmarktgeschäfte den Erdball. Mehr als 30 Staaten (s. Übersicht) und selbst nichtstaatliche Akteure – wie die Hamas gegen Israel – setzen auf Raketen.
Auf dem Moskauer Gipfel Anfang Juli vereinbarten die Präsidenten Russlands und der USA nicht zuletzt auch deshalb eine Risikoanalyse über Raketenarsenale zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Sie planen zudem, ein multilaterales Benachrichtigungssystem über Raketenstarts und wollen zugleich alles dafür tun, dass sich diese Flugkörper nicht weiter ausbreiten. Bisher gibt es freilich keinerlei völkerrechtlich bindendes Verbot, sondern lediglich freiwillige Beschränkungen. Eine solche Übereinkunft ist das 1987 gegründete Missile Technology Control Regime (MTCR), dessen Mitglieder im Herbst 2009 in Brasilien zu ihrem jährlichen Treffen zusammenkommen. 34 Länder, vornehmlich entwickelte Industriestaaten, werden sich dort darüber verständigen, wie die Verbreitung waffenfähiger Trägersysteme durch koordinierte Exportkontrollen zu verhindern ist. Sie werden nach Normen suchen, um die Ausfuhr von dualen Gütern und Technologien zu beschränken, die sowohl für den friedlichen als auch militärischen Raketenbau verwendbar sind. Schließlich wollen die MTCR-Staaten auch gegen geheime Transporte von Raketenkomponenten und Ausrüstungen vorgehen. Auch deshalb werfen ihnen viele Entwicklungsländer vor, ein Exklusivklub der Reichen zu sein.
Wer so empfindet und den Umgang auf gleicher Augenhöhe will, kann dem International Code of Conduct against Ballistic Missile Proliferation (ICOC) näher treten, einem 2002 entstandenen Staatenverbund, dem heute 130 Mitglieder angehören. Ihr Kodex setzt auf Verpflichtungen und vertrauensbildende Maßnahmen, um den Zugriff auf ballistische Raketen zu regeln. Auf keinen Fall wollen die ICOC-Partner mit Staaten zusammenarbeiten, die nach Massenvernichtungswaffen streben. Auch sind sie beim Export von Dual-Use-Gütern wachsam. Auf ihrem jüngsten Treffen im Mai in Costa Rica versprachen sich die Teilnehmer, geplante Testflüge vorher anzukündigen und einander über ihre Raketenbestände und die Militärpolitik zu informieren.
Auch unter UN-Schirm laufen vergleichbare Aktivitäten. Im Auftrag der Vollversammlung studieren Expertengruppen die Möglichkeit, multilaterale Barrieren gegen die Raketenverbreitung zu errichten, doch zu oft verhindern regionale Rivalitäten jeden Konsens. Gerade in letzter Zeit häufen sich Meldungen über Erprobungsflüge von Raketen unterschiedlicher Reichweite in verschiedenen Weltregionen. Offenbar sind viele Staaten sehr darauf aus, selbst nuklear abschrecken zu können.
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