"Immer nur lächeln, lächeln trotz Weh und tausend Schmerzen, doch wie´s da drin aussieht, geht niemand was an" - auf diesen Refrain eines Evergreens aus Franz Lehárs Operette Das Land des Lächelns spielt diese Woche die Titelgeschichte des Spiegel an. In ganz Deutschland scheint diese seit langem aus der Mode gekommene Operette plötzlich wieder auf allen Spielplänen zu stehen: Bei Konjunkturforschern, bei Ministern, bei Händlern, bei Konsumenten, bei Managern, bei Börsianern, bei Arbeitsvermittlerinnen, sogar bei Ex-Ministern, Talkmastern oder bei Spaßmachern, so fabuliert der Spiegel in gewohnter Oberflächlichkeit.
Die Operette gilt als eine leicht bekömmliche Musikgattung, die vor allem der Unterhaltung und Ablenkung von den Sorg
tung und Ablenkung von den Sorgen des Alltags dienen soll. Doch "wie´s da drin aussieht", geht eben niemand was an!Es stimmt: Die üblichen Miesmacher halten sich zurück, sie spürten allmählich den "Verdruss am Verdruss", glaubt Regierungssprecher Thomas Steg. Die Wirtschaftslobby braucht die Parteien nicht mehr gegeneinander aufzuhetzen, sie vernetzt sich direkt mit der Regierung oder ihren ehemaligen Repräsentanten. Eine kritische Opposition kommt mangels Masse, und weil die Linkspartei und die Grünen hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt sind, nicht mehr vor. Die große Koalition überzieht ihre knallharten Basta-Entscheidungen - etwa die Rente mit 67 oder die Kürzung des Arbeitslosengeldes für die Jungen - mit der süßen Soße der Harmonie. Die Kanzlerin schweigt beredt, nimmt die leitenden Journalisten zur Hofberichterstattung auf ihre Antrittsbesuche mit, und bekanntermaßen schafft Außenpolitik in Deutschland immer die höchsten Popularitätswerte - die Stimmung ist gut.Wir haben auf den "NachDenkSeiten" (s. www.nachdenkseiten.de) die Miesmache der Meinungsmacher in diesem Lande immer verurteilt: Weil es ohne Optimismus mit der Wirtschaft nicht aufwärts gehen kann, weil die Miesmacher unser Land schlechter geredet haben, als es da steht, weil die Wirtschaft Ängste geschürt hat, um ihre Interessen mittels von ihr als alternativlos erklärten grundlegenden Struktur-"Reformen" durchzusetzen. Zwar hat die Wirtschaft bei der Bundestagswahl überwiegend auf Schwarz-Gelb gesetzt, doch mit der großen Koalition lässt es sich offenbar auch ganz gut leben. Deshalb jetzt die Flucht in die Operette, ins Land des Lächelns, in die Ablenkung der Menschen von einer stur fortgesetzten und sogar noch beschleunigten "Reform"-Politik. Dabei lebt die Union komfortabel damit, dass die Sozialdemokraten ständig versichern, sie würden die Politik der großen Koalition bestimmen, tatsächlich aber mit Müntefering und Steinbrück die Noske´schen "Bluthunde" abgeben.Nur wird eine falsch angelegte und erfolglose Politik durch eine gute Stimmungsmache nicht besser und schon gar nicht erfolgreich. Das würden die Operettendarsteller spätestens merken, wollten sie die Musikpaläste gelegentlich einmal verlassen und sich "den draußen im Lande" stellen. Joachim Jahnke (*), ehemaliger Vizepräsident der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, hat anhand der nüchternen Wirtschaftsdaten des Statistischen Bundesamtes dargestellt, was die "Reform"-Politik der großen Koalition in den ersten 100 Tagen zum angeblich Besseren gewendet hat. Die Wirklichkeit ist desillusionierend: Im letzten Quartal 2005 verzeichnen wir mit 1,8 Millionen die höchste je registrierte Zahl an Langzeitarbeitslosen. Im Januar 2006 mit 1,9 Millionen die größte Zahl an arbeitslosen älteren Menschen über 50 Jahre. Im Verhältnis zum dritten Quartal ist im vierten Quartal 2005 der Staatskonsum um 6,3 Prozent, die Bruttolohn- und Gehaltssumme um 3,5 Prozent gesunken. Im Verhältnis zu 2004 ist zu Ende des Jahres 2005 die Bruttolohn- und Gehaltssumme um 2,6 - der Konsum der privaten Haushalte um 0,7 Prozent gesunken. Dafür - oder gerade deshalb - sind die Unternehmens- und Vermögenseinkommen weiter um 6,5 Prozent gestiegen.Das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts im letzten Quartal 2005 sackte gegen Null ab, der Inlandsumsatz der gewerblichen Wirtschaft liegt gegenüber dem Vorjahr um 1,6 und der Einzelhandelsumsatz im Januar um zwei Prozent niedriger. Die Zahl der Beschäftigten ist weiter im Rücklauf und die Arbeitslosigkeit stieg entgegen aller Schönrednerei erneut über die Fünf-Millionen-Marke.Wie gesagt, wir wollen die Stimmung nicht kaputt reden, wir wollen die Operettenregisseure und das Singspielpublikum aber daran erinnern, dass hinter ihrer guten Stimmung eben noch lange keine bessere Politik steht - im Gegenteil die harte Wirklichkeit sieht leider völlig anders aus: Nach Angaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) fällt Deutschland bei der wirtschaftlichen Entwicklung immer weiter zurück.Wie sehr das "Klima" von der Wirklichkeit abweicht, zeigt ebenfalls Joachim Jahnke in seinen global news 246 vom 24. Februar, in denen er die Entwicklung des ifo-Geschäftsklima-Index mit der Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts vergleicht: Noch nie habe sich das Stimmungsbarometer so weit von den Realitäten gelöst.Bild vermeldete am 24. Februar, wie die Erfolgsautorin Hera Lind und andere Promis ihre Millionen, um sie an der Steuer vorbei zu schleusen, mit steuermindernden Anlagen in Ost-Immobilien verzockten. Im hinteren Teil der selben Ausgabe berichtete das selbe Blatt - gestützt auf eine Verbraucherumfrage unter 31.000 Deutschen über 14 Jahren -, dass 11,2 Millionen oder 17,2 Prozent der Deutschen monatlich keinen einzigen Cent frei verfügbares Einkommen haben; weitere 6,6 Millionen bleiben unter 50 Euro, weitere 10,4 Millionen haben bis zu 100 Euro und 8,6 Millionen gerade einmal bis zu 150 Euro finanziellen Spielraum im Monat.Das heißt, weit mehr als der Hälfte aller erwachsenen Deutschen (über 56 Prozent) bleiben höchstens 150 Euro ihres Nettoeinkommens, die ihnen im Monat über den dringenden Lebensbedarf hinaus für Konsumausgaben zur Verfügung stehen. So sieht das also im Land des Lächelns "drin aus".Gustav Horn, Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), sagt zu diesem "Armuts-Schock" (Bild): "Das sind erschreckende Zahlen, die belegen, unter welchem massiven Druck die Einkommen und Löhne stehen. Wir stecken in der tiefsten Konsumkrise der Nachkriegsgeschichte. Wo soll der Konsum herkommen, wenn die Leute immer weniger im Geldbeutel haben?" Von diesem "Weh und tausend Schmerzen" lenken unsere Operettendarsteller lieber ab - es könnte ihnen ja sonst das Lächeln vergehen.(*) http://www.jjahnke.net/rundbr8.html