China-Bashing ist in: In den USA schon lange, besonders wenn wieder ein Unternehmen aus der Volksrepublik einen US-Konzern übernehmen will. Inzwischen schwebt die gelbe Gefahr auch über Deutschland. Auf dem Titelblatt einer der letzten Spiegel-Ausgaben überschwemmen Terracotta-Krieger die Welt mit Autos, Handys und DVD-Playern. Diese Armee der ökonomischen Überwältigung sei nicht aufzuhalten, lautet die Botschaft, weil sie weder Standards noch Regeln kenne - ob es nun um Kinderarbeit, kasernierte Fabrikarbeiter oder den Schutz geistigen Eigentums gehe. Dahinter kreist die Frage: Was bedeutet der Aufstieg Chinas - aber auch Indiens - für die Ökonomien, vor allem für die Gesellschaften der kapitalistischen Triade Nordamerika, Westeuropa und Japan?. Wird - wie der Spiegel fordert - eine transatlantische Wirtschaftsfront für einen neuen Weltwirtschaftskrieg gebraucht, der aus Fernost heraufzieht?
Speziell aus deutscher Sicht ist die China-Schelte einigermaßen bizarr, um nicht zu sagen absurd: Während in den USA binnen weniger Jahre jeder sechste Arbeitsplatz in der Industrie verloren ging, haben in Deutschland Schlüsselbranchen wie der Maschinen- und Automobilbau bis 2004 netto Arbeitsplätze aufgebaut. Bekanntlich "sind wir" Exportweltmeister - keine andere Volkswirtschaft exportiert mehr. Zehn Prozent aller Ausfuhren weltweit kommen aus Deutschland, Tendenz steigend (aus China acht Prozent, Tendenz gleichfalls steigend/s. Tabelle).
Für 2007 rechnen die Wirtschaftsverbände mit einem weiteren Plus für den Anteil am globalen Handel. Nach allen verfügbaren Erkenntnissen ist derzeit in Deutschland das Arbeitsplatz-Saldo aus der Job-Sicherung durch Ausfuhren gegenüber der Arbeitsplatzverlagerung ins Ausland insgesamt positiv. Eine rabiate Ausdehnung und Flexibilisierung von Arbeitszeiten, verbunden mit deutlich sinkenden Reallöhnen, haben der deutschen Industrie massive Vorteile im internationalen Wettbewerb beschert und die Konkurrenz aus China wie aus anderen Volkswirtschaften massiv getroffen, so dass deren mutmaßlicher Expansionsdrang an Grenzen stößt. Sofern es den überhaupt in dem Maße gibt, wie das die ausschwärmenden Terracotta-Krieger nahe legen.
Selbstredend haben sich die Verhältnisse im globalen Wettbewerb geändert, seit sich die Volksrepublik China (mit inzwischen 1,3 Milliarden Einwohnern) und Indien (mit fast einer Milliarde) auf dem Weltmarkt etabliert haben. Allein das in Betracht kommende Arbeitskräftereservoir ist enorm: Mehrere hunderttausend Ingenieure verlassen jährlich die Hochschulen beider Ländern und suchen nach Anstellungen außerhalb ihrer Heimat. Durch die "größte Umwälzung der Klassenstrukturen in der Neuzeit" (Eric Hobsbawm) sind plötzlich Millionen chinesischer Bauern ihrer Produktionsmittel beraubt und drängen als Wanderarbeiter auf die Baustellen von Peking und Shanghai oder in die Elektronikmontagen von Suzhou und Shenzhen - ein Preissturz für Produkte wie für Arbeitskräfte auf dem Weltmarkt ist die Folge. Noch funktioniert das chinesische Kapitalismusmodell, das die Vorteile eines schier grenzenlosen Nachschubs billigster Arbeitnehmer mit einer High-Tech-Entwicklungsstrategie zu verschmelzen versteht, solange es der Ressourcenverbrauch, das Sozialgefälle und die Umweltbelastung, aber auch die vorherrschende Arbeitsteilung mit ausländischen Partnern erlauben.
Nach Angaben der chinesischen Zollbehörden trugen 2004 60 Prozent aller Exporte aus der Volksrepublik China das Etikett multinationaler Unternehmen aus den USA, aus Japan oder Deutschland - bei den Kategorien Computerfertigung und Konsumelektronik lag der Anteil noch darüber. Diese Ausfuhren waren Teil konzerninterner Produktions- und Lieferketten - das heißt, was anderswo entwickelt und mit einem Design versehen wurde, hatte man in China produziert oder endmontiert. Die reale Wertschöpfung dort blieb ebenso gering wie der Gewinnanteil.
Chinesische Auftragnehmer, die für WalMart oder Metro, Adidas oder Timberland fertigen, klagen dabei nicht selten über den Druck, dem sie seitens ihrer Auftraggeber ausgesetzt sind: Einerseits noch billiger zu werden, andererseits gewisse Sozialstandards zum Wohle des Markenimages ihrer Auftraggeber einzuhalten.
Häufig ist, was unter Made in China firmiert, anderswo vorproduziert worden. Viele Global Player nutzen China als allerletzte Montagestation in ihren Produktionslinien. Das verfälscht nicht nur die Statistik, sondern befördert die chinesische Volkswirtschaft auch zu einer größeren Handelsmacht, als sie tatsächlich ist. Multinationale Konzerne und Einzelhandelsriesen sind und bleiben die eigentlichen Gewinner dieser Art von Globalisierung. "In den neunziger Jahren haben Konzerne mit Basis in Nordamerika, Europa und in Asien ihre Fertigungen nach China verlagert. Aber die Kontrolle darüber und damit die Profite aus diesen Fertigungen bleiben fest in der Hand ausländischer Firmen. China bekommt zwar die Lohnsumme, nicht jedoch die Profite aus dieser Globalisierung", erklärte ein MIT-Experte* in Cambrigde.
Mit anderen Worten: Die Handelsbilanz zwischen China und den USA sagt nicht viel mehr aus als die zwischen Bayern und Berlin. Ein Label Montiert in China würde besser die tatsächlichen Verhältnisse reflektieren als Made in China, wenn von einer Barbie-Puppe, die in den USA 20 Dollar kostet, genau 35 Cent in China bleiben. Das britische Wirtschaftsmagazin Economist zitierte jüngst den Ökonomen Mei Xinyu vom Handelsministerium in Peking: "China hat seit Jahren sicher ein paar nette Zahlen vorzuweisen, aber amerikanische und andere ausländische Firmen die realen Gewinne."
Dass hohes Exportwachstum nicht unbedingt qualitatives Wachstum bedeutet, zeigt im Übrigen auch der Trend bei den Export- und Importpreisen: Seit 1985 sind die Preise für die Ausfuhren gegenüber den Einfuhren ins Reich der Mitte um 30 Prozent gefallen - das Wachstumstempo, mehr noch entstandene Überkapazitäten haben dazu geführt.
Vor zehn Jahren kontrollierte Taiwan den Markt für Computer-Komponenten und produzierte im eigenen Land - 2006 kontrollieren taiwanesische Konzerne weiterhin diesen Markt, produzieren aber auf dem chinesischen Festland, um Lohnkosten zu sparen. Dasselbe gilt für japanische und südkoreanische Unternehmen: Panasonic hat 70.000 Beschäftigte in China, die Hauptfertigung von Toshiba-Computern findet südlich von Shanghai statt, Samsung unterhält 23 Fabriken mit 50.000 Beschäftigten, nachdem der Konzern 2005 seine Notebook-Fertigung in Südkorea geschlossen hat. Diese Firmen verlagern nach China nicht allein wegen der Löhne (75 US-Cent pro Stunden) oder wegen eines Betriebsregimes, bei dem Arbeitskräfte in Schlafsälen auf dem Fabrikgelände kaserniert sind, auch weil sie Steuerbefreiungen und niedrige Ansiedlungskosten sehr zu schätzen wissen.
Mit der China-Wanderung haben diese Marktführer zugleich ihre Position in der globalen Wertschöpfung der Elektronikbranche ausbauen können, indem sie sich auf die Entwicklung und Fertigung von komplexeren Produkten und Komponenten konzentriert haben - Potenziale, die China fehlen und eine Erklärung dafür sind, dass es ein beachtliches Handelsdefizit von 137 Milliarden Dollar gegenüber asiatischen Partner wie Japan, Südkorea und Taiwan gibt.
Insofern unterscheidet sich Chinas Aufstieg zur Welthandelsmacht wesentlich vom vergleichbaren Aufschwung für Japan in den achtziger Jahren. Damals wurden Konzerne wie Toyota, Honda oder Sony zu weltbekannten Marken und zu Branchengrößen. Vergleichbare Unternehmen hat Chinas Kapitalismus bislang nicht hervorgebracht. Es gibt nur wenige Unternehmen in Shenzhen, Tianjin oder Suzhou, die außer Montage und Fertigung im Fremdauftrag eine eigene Forschung und ein eigenes Marketing aufzubauen vermochten.
(wird fortgesetzt)
(*) MIT / Massachusetts Institute of Technology
Der Autor ist Mitglied im Aufsichtsrat der Siemens AG und arbeitet für die IG Metall in Bayern.
Die Ökonomie der Volksrepublik China
(Trend zum Vorjahr in % )
Quelle: WTO / Deutsche Bundesbank
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