Wenn der PC in den Kühlschrank wandert

DAS ENDE EINER BEISPIELLOSEN KARRIERE Der Personalcomputer startet seine Abschiedstournee, um versteckt in neuen Geräten überall wieder aufzutauchen

Vor nicht allzu ferner Zeit war der PC-Markt dem Geschäft mit Schoko-Weihnachtsmännern und -osterhasen nicht unähnlich: Alle sechs Monate kam eine neue PC-Generation auf den Markt, mit mehr Leistung und noch größerer Speicherkapazität. Die Kunst eines jeden PC-Herstellers bestand darin, möglichst als erster mit der neuen Technologie am Markt zu sein und nach sechs Monaten - bei der nächsten Runde des PC-Zyklus - keine alten Lagerbestände mehr zu haben. Die waren dann nämlich plötzlich nichts mehr wert, wie eben Schoko-Weihnachtsmänner nach Weihnachten.

Diese goldenen Zeiten der PC-Branche sind vorbei. Der neue Pentium III-Chip von Intel treibt nicht mehr Scharen von techno-gierigen Käufern in die PC-Märkte. Die Billig-PCs von Aldi und Penny reichen auch für den Hausgebrauch. Um auf den Markt zu kommen, mußten PC-Hersteller sich bisher nur dem »Wintel«-Standard (Windows-Software Intel-Chips) anpassen. Die Zukunft der Branche wird anders aussehen. Es kommt künftig weniger auf Megahertz und Gigabytes an, dafür um so mehr auf die Identifizierung der Kundenbedürfnisse und auf Produkte, die Benutzerfreundlichkeit demonstrieren und ihre Komplexität verstecken.

Während heute man/frau fast ausschließlich per PC ins Internet gelangt, wird im Jahr 2002 nur noch 60 Prozent des Zugangs über PCs abgewickelt. Nach seinem 20jährigen steilen Siegeszug landet der PC - eines der Produkte, das sich am schnellsten um die Welt verbreitet hat - auf dem harten Boden technologischer Weiterentwicklung. Auch aus diesem Grunde fallen die PC-Preise, und die Stückzahlen wachsen nur noch um 15 statt um satte 35 Prozent wie Mitte der neunziger Jahre. Die Branchenriesen Compaq und Dell - bislang Darlings der Wallstreet - bekommen das schon zu spüren.

Nichts demonstriert das Zeitalter jenseits des PC besser als die CeBIT 99: Zwar gibt es dort natürlich eine Vielzahl neuer PC-Modelle. Und bei den niedrigen Preisen werden sich noch genügend Käufer finden, um der Branche immer noch zweistellige Wachstumsraten zu bescheren. Apple beispielsweise beendet mit seinen neuen, bunten, leicht zu bedienenden iMac-Modellen das Zeitalter der Tristesse auf dem Schreibtisch. Im Herbst will Apple mit der Auslieferung eines Notebook beginnen, das in Design und Funktion den iMac-Erfolg nachvollzieht - Apple's Auferstehung aus der Krise. Bereits jetzt präsentiert die CeBIT zahlreiche neue Notebooks, die alle mehr Leistung bieten - bei weniger Gewicht und bei einer Akku-Leistung für zwölf Stunden. So innovativ all das klingt - die Zukunft der Informationstechnik liegt woanders.

Alcatel hat nach Kundenumfragen ein Telefon entwickelt, das auf einem Farbbildschirm eingehende Faxe und E-mails anzeigt und dazu Internet-Surfen erlaubt. Nokia wirbt mit einem neuen Handy, das E-mails empfängt und verschickt und ebenfalls für das Internet tauglich ist. Alle PC-Hersteller sind dabei, neue handgroße Computer nach dem Vorbild des Palm III von 3Com zu vermarkten. Diese Winzlinge sind meist mit dem Windows CE-Betriebssystem ausgestattet, haben sowohl einen Farbbildschirm als auch ein eingebautes Modem und können große Datenmengen speichern. Sie werden bedient mit einem kleinen Stift. Die nächste Generation dieser Geräte, die noch 1999 auf den Markt kommt, soll auch per Funk E-mails, Verkehrs- oder Unternehmensdaten, wie zum Beispiel Preise, abrufen können.

Das Zusammenwachsen von Informations- und Kommunikationstechnik ist der eine große Trend, der dem PC zu schaffen macht. Eine zweite Entwicklungslinie ist die Verbindung von Datenverarbeitung mit anderen Technikbereichen. Ein skurriles Beispiel ist das neue Produkt von Electrolux: Ein mit Computer und Barcode-Leser ausgestatteter Kühlschrank, der in der Küche rechtzeitig warnt, wenn bestimmte Vorräte zur Neige gehen und der elektronisch auch gleich den Lieferanten benachrichtigen kann. Weniger verrückt und wohl eher für einen Massenmarkt tauglich sind andere neue Produkte, die den Computer mit dem Fernsehgerät verbünden. Die junge US-Firma TiVo hat für den Fernseher eine Zusatzeinrichtung entwickelt, die auf Festplatte automatisch beliebte Sendungen speichert. Philips hat schon eine Lizenz für das Produkt, das vielleicht einmal den Videorecorder ablöst. Und Microsoft bietet - bislang nur in den USA - für das TV-Gerät eine Box, die mit einfachster Bedienung Internet-Zugang per Kabel erlaubt.

Bill Gates, Microsoft-Gründer und reichster Mann der Welt, wollte noch vor wenigen Jahren mindestens einen PC - natürlich mit Windows - in jeden Haushalt stellen. Jetzt prognostiziert er, daß in wenigen Jahren der Internet-Zugang hauptsächlich über neuartige Kommunikationswerkzeuge erfolgt und nicht mehr mit dem PC. In der Tat: Wir sind wahrscheinlich am Beginn einer neuen Computer-Ära - jenseits des PC. Digitale Intelligenz ist nicht mehr gebunden an Großrechner oder Kleincomputer. Statt dessen erleben wir eine Vielfalt kleiner, intelligenter Geräte, die praktisch in jeden Aspekt des Alltagslebens eindringen. Ganz anders als komplexe Schreibtisch-PCs werden die neuen Kommunikationsgeräte leicht, handlich und bequem zu bedienen sein.

Während also Informationsverarbeitung und Telekommunikation zusammenwachsen und ein Branchenriese wie Siemens diese Konvergenz zur Grundlage seiner Geschäftspolitik erklärt, ist bei den Computern und Kommunikationswerkzeugen Divergenz angesagt. Damit die neuen Geräte dieselbe Verbreitung wie Videorecorder oder Mikrowelle bekommen, müssen sie vor allem viel einfacher und benutzerfreundlicher werden als die heutigen PCs. Nicht mehr »Featuritis« ist angesagt - also das Aufblasen von PC-Hardware und -Software mit immer mehr Funktionen -, sondern für spezielle Zwecke entwickelte Geräte.

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