Kein Copyright auf die Natur!

Biotech Mit juristischen Tricks wollen sich Unternehmen Patentrechte auf Tomaten und Brokkoli sichern. Sie ignorieren dabei den Willen der Politik

Patente sind eine nützliche Angelegenheit: auf Erfindungen! Lebewesen und pflanzliche Organismen sind jedoch keine Erfindungen des Menschen, sondern Hervorbringungen der Natur. Und gewerbliche Schutzrechte auf die Natur anzumelden, somit die ausschließliche Nutzung von Tieren und Pflanzen wie, sagen wir Tomaten, für sich zu reklamieren: Das ist, gelinde gesagt, etwas vermessen.

Glücklicherweise herrscht in dieser Frage weitgehend Übereinstimmung. Patente auf Tier- und Pflanzenarten und ebenso auf biologische Verfahren zur Erzeugung von Tieren und Pflanzen soll es nicht geben. Darauf hat sich die Europäische Patentkonvention geeinigt – ein demokratisches Gremium, welches die Vorgaben setzt, nach denen die Behörden Patentanträge prüfen. Das Europäische Parlament hat diese Linie in einem Entschließungsantrag im Mai noch einmal bekräftigt: „Keine Patentierung von konventionell gezüchteten landwirtschaftlichen Nutztieren und -pflanzen“, lautet der Titel. Ähnlich der deutsche Bundestag. Und auch Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner hat sich gegen Biopatente auf Nutztiere und Nutzpflanzen ausgesprochen.

Großdemo in München

In den kommenden Wochen wird sich zeigen, ob diese wohlfeilen Erklärungen das Papier wert sind, auf dem sie geschrieben stehen. Trotz der politischen Vorgaben befindet sich nämlich ein Antrag auf ein Patent auf eine Tomate im behördlichen Anerkennungsverfahren. Die gesetzlichen Vorgaben, die ein solches Patent eigentlich verbieten, werden dabei mit viel juristischem Geschick umgangen (siehe Kasten). Der Fall ist eine Grundsatzentscheidung. Sollte das Patent erteilt werden, ist die Tür auch für viele andere Patente auf ganz normale Tiere und Pflanzen geöffnet.

Bis zum 30. November ist noch Zeit, beim Europäischen Patentamt (EPA) in München Beschwerde gegen das beantragte Patent einzulegen. Aus diesem Anlass wollen die Gegner von Biopatenten auf einer Großdemonstration in München mit Traktoren und Blasmusik ihre Bedenken auf die Straßen tragen. Misereor, Der Bund Ökologische Landwirtschaft, die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, der BUND, das Umweltinstitut München – sie alle und 30 weitere NGOs sind dabei. Denn Schutzrechte auf Nahrungsmittel haben nach Ansicht der Kritiker eine verheerende Folgeerscheinung. „Die internationalen Konzerne übernehmen so die Kontrolle über die Grundlagen der Landwirtschaft und Lebensmittelherstellung“, befürchtet der Chef der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft Georg Janßen. Diese Befürchtung ist weit verbreitet. Aber welche Rolle spielen dabei Patente?

Die bekanntesten Beispiele für Biopatente stammen aus der Gentechnologie. Mittels Genmanipulation sollen Pflanzen beispielsweise gegen bestimmte Schädlinge immunisiert werden oder Hitze oder Dürre besser ertragen. Verständlich, dass eine Firma sich so etwas schützen lassen will.

Ein anderes Beispiel: 1992 erteilte das EPA das Patent auf die sogenannte Krebsmaus. Die Genveränderung bewirkte eine Erkrankung der Tiere, die so zu Forschungszwecken verwendet werden sollten. Ein weiterer bekannter Fall: In diesem Jahr erhielt die US-Firma Altor BioScience ein Patent auf Schimpansen, deren Immunsystem dem des Menschen ähnlich ist und die deshalb ebenfalls in der Therapieforschung eingesetzt werden sollen. Insgesamt hat das EPA mittlerweile über 1.000 Tiere und 2.000 Pflanzen patentiert. Allein im vergangenen Jahr wurden 114 Patente für Pflanzen und 30 für Tiere erteilt.

Die "Schrumpeltomate"

Am 30. November geht es aber um noch etwas anderes als um Gentechnologie: Um ein Patent auf ganz normales, konventionell gezüchtetes Gemüse. Das israelische Landwirtschaftsministerium will sich die Rechte auf die sogenannte „Schrumpeltomate“ sichern – so der Spitzname des Patentrechtsfalls. Die „Schrumpeltomate“, eine Kreuzung aus Wild- und Kulturtomaten, ist in der Lage, noch während sie am Tomatenstrauch hängt, einzutrocknen, ohne zu verschimmeln. Dabei zerknittert ihre Haut. Das Erzeugnis ist besonders geeignet, um daraus Ketchup, Tomatensoße und andere Produkte herzustellen.

Ursprünglich hatte das israelische Landwirtschaftsministerium im Jahr 2000 ein Patent auf das Züchtungsverfahren angemeldet. Dieses wurde aber vom Patentamt 2006 wieder zurückgenommen. Verhandelt wird aktuell nur noch um ein Patent auf die Frucht und die darin enthaltenen Samen.

Verfahrenstechnisch mit der Entscheidung verbunden ist ein weiterer Fall. Die britische Firma Plant Bioscience hat, ebenfalls ohne Gentechnologie und auf Basis konventioneller Kreuzung, eine Brokkoli-Züchtung hervorgebracht, die einen besonders hohen Anteil von krebsvorbeugenden Stoffen produziert. Bei der Auswahl der für den Züchtungsprozess geeigneten Pflanzen kommt ein Gen-Marker zur Auswahl.

Nun können nach geltendem EU-Recht zwar Tier- und Pflanzenarten eigentlich nicht patentiert werden. Aber bei der Schrumpeltomate und dem Anti-Krebs-Brokkoli handelt es sich lediglich um Züchtungsformen, nicht um eigene Arten.

Anti-Krebs Brokkoli

Die Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes hat bereits beim Brokkoli eine Grundsatzentscheidung getroffen. Im Wesentlichen biologische Züchtungsverfahren sind danach nicht patentierbar. Offen ist: Betrifft diese Regelung auch Pflanzen und Früchte? In dieser Frage soll nun eine einheitliche Rechtsprechung geschaffen werden – für Tomate, Brokkoli und auch für zukünftige Fälle. Daher die Brisanz des Urteils. Wenn das Patent erteilt wird, kann dessen Inhaber die „Schrumpeltomate“ exklusiv vermarkten. Niemand anders darf dann diese spezielle Frucht verkaufen. Niemand darf die Samen der Züchtung verwenden, um daraus wiederum andere Tomatenformen heranzuziehen. Selbst auf das Ketchup, das auf Basis der „Schrumpeltomate“ erzeugt wird, kann der Patentinhaber Ansprüche anmelden.

Eine solche Sorge ist alles andere als übertrieben. So reichte der US-Biotechnologiekonzern Monsanto vor einigen Jahren bei der Weltpatentorganistion in Genf eine Anmeldung für Fische aus Aquakulturen ein. Der Konzern reklamierte alle Fischprodukte für sich, die mit Gen-Futterpflanzen von Monsanto hergestellt worden waren! In anderen Fällen erhob Monsanto Ansprüche auf Kekse und Margarine, in denen gentechnisches verändertes Soja der Firma Monsanto verwendet worden war.

Wozu Patente?

Aus Sicht der Industrie ist ein weit reichender Patentschutz nötig, weil kostspielige Investitionen in neue Pflanzen und Tiere sich sonst nicht lohnen würden. „Für die Innovationsbereitschaft ist langfristig ausschlaggebend, dass die Investitionen in der kurzen Laufzeit der Patente refinanziert werden“, erklärt die Deutsche Industrievereinigung Biotechnologie zusammen mit dem Verband der Chemischen Industrie. Außerdem führe die Patentanmeldung (die notwendiger Weise mit einer Offenlegung der verwendeten Verfahren und der Produkteigenschaften einhergeht) zu einer Bereicherung des Standes der Technik und zu einer raschen Ausbreitung von Wissen und Fortschritt.

Kritiker halten dagegen, dass Biopatente zu einer bedenklichen Konzentration von Marktmacht führe (siehe Kasten). Die Industrie bestreitet das. „In der Biotechnologie- und Saatgutbranche kommen viele Patentanmeldungen von kleinen Unternehmen oder Einzelerfindern“, sagt ein Sprecher des Unternehmens BASF Plant Science. Da die Entwicklungskosten hoch seien, würden diese finanzstärkere Kooperationspartner suchen. Eine Monopolisierung sei kein primärer Effekt des Patentrechtes, sondern die Folge eines sich ändernden Marktumfeldes. Auch negative Einflüsse der Gentechnik auf die Artenvielfalt bestreitet der Konzern. „Durch die Steigerung der Erträge auf vorhandenen Ackerflächen tragen gentechnisch veränderte Pflanzen vielmehr zum Erhalt der natürlichen Lebensräume und der globalen Biodiversität bei“, versichert der Sprecher.

Gefahr der Monopolisierung

Tatsächlich scheint es plausibel, dass die Konzentration des Marktes eher auf die hohen Entwicklungskosten als auf das Patentrecht zurückgeht. Laut BASF dauert die Einführung einer neu erzeugten Pflanzeneigenschaft von der Entwicklung an im Durchschnitt 13 Jahre und kostet rund 135 Millionen US-Dollar. Diesen Aufwand können kleinere Firmen nicht mehr stemmen. Sie werden aufgekauft oder kooperieren mit den großen Konzernen.

Der Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter, der die kleineren Saatgutbetriebe vertritt, hält Biopatente nicht generell für ein Instrument der Monopolbildung in Deutschland. Risiken sieht der Vize-Chef des Verbands, Christoph Herrlinger, trotzdem. „Es besteht die Gefahr, dass wir nur noch ein eingeschränktes Potenzial an Genen verwenden dürfen“, warnt er. Die Probleme ließen sich zumindest national lösen. „Wir brauchen eine Klarstellung, dass auch die Produkte aus Kreuzung und Selektion nicht patentiert werden dürfen“, verlangt Herrlinger. Das ist genau die Frage, die das EPA im Fall der Schrumpeltomate in den nächsten Monaten klären muss.

Erst vor einigen Tagen hat die Münchner Anwaltskanzlei Vossius und Partner, die das israelische Landwirtschaftsministerium in dem Patentfall vertritt, sich eine neue Finte einfallen lassen. Der Konzern Unilever hatte ursprünglich gegen das Patent auf die „Schrumpeltomate“ Einspruch erhoben, aus unbekannten Gründen den Einspruch dann aber wieder zurückgezogen. Die Münchner Anwälte behaupten nun, dass damit auch das laufende Beschwerdeverfahren hinfällig sei und das Patent anerkannt werden müsse. Der Ausgang des Verfahrens ist ungewiss.

Stein des Anstoßes: Das Gutachten der Kirche

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat vor kurzem ein Gutachten zu Biopatenten vorgestellt. Der Titel: „Die Erde des Herrn und was darinnen ist“. Das Gutachten zieht eine Bilanz der seit zehn Jahren in Kraft befindlichen Europäischen Biopatentrichtlinie. „Es werden auch Patente auf Pflanzen und Tiere erteilt, die nicht gentechnisch verändert wurden. Die Vielfalt an Saatgut und Tierrassen nimmt ab. Landwirtschaftliche Zucht und Forschung werden behindert. Traditionelles Wissen wird durch Biopiraterie privatisiert. Die Ernährungssicherheit für Menschen wird nicht gefördert, sondern noch stärker gefährdet und eingeschränkt“ – so die Zusammenfassung.

Die Studie wirft darüber hinaus die Frage auf, wie Biopatente mit dem Schöpfungsauftrag zu vereinen sind. Die Antwort: „Aus christlicher Sicht wäre es angemessener, Innovationen im Bereich der Biologie als Gemeinbesitz freizugeben“ – wie dies zum Beispiel im Falle der Entschlüsslung des Genoms der Kulturpflanze Kakao geschehen ist.

Der Hintergrund: Die größten zehn Saatgutunternehmen kamen 2009 bereits auf einen Weltmarktanteil von 73 Prozent. Die drei größten, Monsanto und DuPont aus den USA sowie Syngenta aus der Schweiz, vereinen 85 Prozent der Patente auf gentechnisch veränderte Saaten auf sich. Nach Ansicht der EKD führt die Konzentration zu einer dramatisch steigenden Abhängigkeit der Landwirtschaft von den Produkten der Konzerne. Auch der Deutsche Bauernverband und viele Nichtregierungsorganisationen befürchten einen Artenschwund durch den Einsatz von Konzernsaaten.

Das Argument, dass Biopatente landwirtschaftliche Innovation (meist auf gentechnischer Basis) ermöglichen und somit helfen, den Hunger in der Welt zu bekämpfen, lassen die Kritiker nicht gelten. Nach Ansicht der Welthungerhilfe liegen die Ursachen einer mangelhaften Versorgung mit Nahrungsmitteln vor allem bei knappen Wasser- und Energieressourcen, fehlenden Arbeitsplätzen, schlechter sozialer Absicherung und der (oft illegalen) Enteignung von bäuerlichen Landeigentümern. „Gentechnik ist keine Hilfe dort, wo gehungert wird“, so Welthungerhilfe-Präsidentin Bärbel Dieckmann.

Ralf Grötker

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