Umweltkrise als Technikchance?

Immer mehr, immer schneller Die aktuelle Klimadebatte setzt auf technische Innovation. Weitsichtigere Ingenieure mahnen einen Paradigmenwechsel an

Die Klimadebatte hat wieder einmal die Technik und ihre Problemlösungen auf die politische Bühne gehoben. Die Technikagenda reicht von der CO2-Abscheidung über Atom- beziehungsweise Fusions-Reaktoren, Wasserstoff als Treibstoff für Autos und Flugzeuge, Solarenergie aus Wüstenkraftwerken bis hin zur Nano- und Gentechnologie, mit dem Ziel, natürliche Prozesse nachzubilden. Wie realistisch solche Konzepte sind, wird in der Öffentlichkeit allerdings kaum diskutiert. Zu überzeugend schienen die bisherigen Strategien, Wachstum von Wirtschaft und "Wohlstand" mittels immer mehr und effektiverer Technik einzulösen und die Natur und die physikalischen Gesetze zu überlisten. Schließlich hat man in den Industrienationen 150 Jahre lang die Parole "immer mehr, immer schneller" erfolgreich in konkrete Artefakte umgesetzt, zuletzt in beeindruckender Weise in der Informations- und Kommunikations-Technik.

Einfachautos - ein Albtraum

Dass es gerade die in Technik umgesetzten Wachstumsschübe der siebziger Jahre sind, die uns (mit der systembedingten Verzögerung von 30 Jahren) die heutigen Folgen des Klimawandels bescheren, wird trotz der längst verfügbaren und inzwischen unbezweifelten Erkenntnisse der Klimaforscher weiter verdrängt. Die Hälfte der Erdölförderung seit dem Beginn der Industrialisierung wurde in den letzten 22 Jahren verbraucht - die Klimafolgen dieser Ära werden uns sehr bald mit absehbar katastrophalen Auswirkungen einholen.

Dennoch wird dieser Zusammenhang - wie jüngst in Bali - weitgehend verdrängt. Erfolgreiche Politik wird nach wie vor mit konjunkturellem Aufschwung verknüpft und die Maßnahmen zur "Rettung" des Klimas den Wachstumsinteressen und dem Konkurrenz-Mantra der Wirtschaft unterworfen. Wer die Macht der Finanzmärkte und die Ohnmacht oder den Unwillen der Politik zur Lösung der Umweltprobleme akzeptiert, erscheint als "Realist". Damit wird, völlig unrealistisch, unterstellt, man könne mit der Natur um Aufschub verhandeln. Die Parole "Weiter so" setzt sich so immer wieder durch. Indien startet gerade die "Ära der Einfachautos". 2015 sollen zehn Millionen solcher Billigautos verkauft werden. Rajendra Pachauri, Chef-Klimawissenschaftler bei der UN, hält das für einen "Albtraum".

Einer der Gründe für diese Lemming-Mentalität ist der allenthalben ungebrochene Technik-Optimismus. Wer es zum Mond geschafft hat, meint auch die Umweltprobleme in den Griff zu bekommen. Der Zoologe Hubert Markl, zuletzt Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, brachte es in einem Spiegel-Essay 1985 auf die Formel: "Pflicht zur Widernatürlichkeit". Da die Natur die menschlichen Aktivitäten nicht mehr abpuffern kann, müsse der Mensch die Verantwortung und damit auch das Natur-Management übernehmen.

Je größer die Herausforderung durch die Krise, desto größer die Chance also? So jedenfalls proklamiert es der Produktionstechniker Günther Seliger auf der Auftaktveranstaltung Die Technik als Problemlöser? an der TU-Berlin, eine Initiative, die Naturwissenschaftler und Techniker mehr ins Gespräch bringen will. Dass das "immer weiter so" mit der bisherigen Technik Irrsinn ist, belegte Seliger ausführlich anhand von Daten zur Umwelt- und Naturzerstörung: Der "ökologische Fußabdruck" menschlicher Aktivitäten ist schon heute um 25 Prozent größer als die Erde - wenn alle Menschen den Energie- und Ressourcenverbrauch auf den eines heutigen Durchschnitts-Europäers oder -Amerikaners steigern würden, benötigte man fünf bis zehn Planeten. Die Wachstums-Ziele der Ökonomie auf dieser Basis sind also schlicht stofflich unmöglich: Eine Erkenntnis auf "Klippschul-Niveau", meinte Seliger.

In einem neuen Sonderforschungsbereich "Nachhaltige industrielle Wertschöpfungsnetze" wollen die Berliner Forscher Produktionssysteme entwickeln, die sich auf Ressourcen- statt Arbeitsproduktivität orientieren. Schon in den Jahren vorher hatten sie die Rückgewinnung von Ressourcen in Produkt- und Materialkreisläufen in Demontage-Fabriken erforscht und Konzepte des "Re-Manufacturing" entwickelt: Technische Geräte zur erneuten Nutzung wiederaufarbeiten. Ingenieurarbeit, so Seliger, wird sich in Zukunft weniger auf immer hektischeren Innovations-Wettbewerb beziehen, der in die "Beschleunigungsfalle" tappt. Sie wird den Naturverbrauch vielmehr durch Steigerung des energetischen Wirkungsgrades (Beispiel: Industrielles Pumpensystem, heute bei lächerlichen 9,5 Prozent) reduzieren, durch Verwendung und Verwertung bereits genutzter Ressourcen. Sie verkauft Nutzen, weniger Produkte. Sie wird dafür sorgen, dass in komplexen dynamischen, bislang intransparenten vernetzten Systemen "frei denkende Menschen gemeinsam" das Ziel verfolgen, von der produktivitätsorientierten zu einer ressourcenbewussten Prozessgestaltung nach den Kriterien der Nachhaltigkeit zu gelangen. Ingenieurarbeit, so Seliger mit Bezug auf seinen japanischen Kollegen Shozo Takata, sei in Zukunft überwiegend auf Pflege, Wartung, Erneuerung und Wiederverwendung vorhandener Systeme gerichtet.

All dies zusammengenommen wäre in der Tat ein radikaler Paradigmenwechsel in Technik und Ökonomie: Die Erfüllung eines alten Traums der Techniker, die schon in den zwanziger Jahren die "Unvernunft" der gesellschaftlichen Interessenkämpfe und betriebswirtschaftlichen Profitegoismen durch ingenieurmäßige Rationalität und "technische Gemeinschaftsarbeit" überwinden wollten. Dieser Paradigmenwechsel, so Seliger in der Diskussion, sei "relativ einfach" zu bewerkstelligen: In den internationalen Konzernen gebe es durchaus weitsichtige verantwortungsvolle Manager - mehr noch als in der Politik, die inzwischen weltweit mehr korrupt als vertrauenswürdig sei. Insofern gehe es für ihn als Ingenieur nicht um "Probleme", sondern um Aufgaben, die lösbar seien.

Doch ist das Konzept einer "austauschenden Zusammenarbeit" (Seliger) in einer auf Konkurrenz und Kapitalrendite orientierten Wirtschaft überhaupt realistisch? Viele seiner technisch-inhaltlichen Ansätze vermag der Umweltökonom Niko Paech von der Universität Oldenburg zu teilen. Allerdings hält er die Vorstellung, man könne bei gleichem materiellem Wohlstand in den Industrieländern den nachholenden Bedarf der Menschen in den Schwellen- und Entwicklungsländern durch Effizienz-Revolutionen ökologisch verträglich decken, für ein reines Glaubensbekenntnis. "Nachhaltige Entwicklung", meint er, sei "ein Projekt der Bescheidenheit". Es gehe um Entschleunigung, Entrümpelung, Suffizienz und globales Nullsummen-Spiel beim Wachstum und damit um Umverteilung zwischen den "alten" Industrie-Nationen und dem Rest der Welt. Die "Füllhorn-Logik" unterstelle, was empirisch längst widerlegt sei: Dass es eine Abkopplung des energetischen und stofflichen Aufwandes vom materiellen "Wohlstand" geben könne.

Er fügte der schon alarmierenden Analyse von Seliger einige Fakten hinzu: Schon heute gibt es eine neue "globale Konsumentenschicht" von circa einer Milliarde Menschen in den Schwellen- und Entwicklungsländern, die als erstes Spritfresser-Autos anschaffe, sich dann am weltweiten Flugtourismus beteilige, ihre Ernährung von vorherrschend pflanzlicher Kost auf Fleischverzehr umstelle und massenhaft IT- und Kommunikationssysteme konsumiere. Der alte Techniker-Traum von Fortschritt durch technische Innovation, so Paech weiter, sei ein "Roulette" mit prinzipiell ungewissem Ausgang. Die kapitalgetriebene Technikentwicklung sei eine "Hydra", weil sie ständig neue Produkte schafft, um im Innovationswettbewerb zu überleben - mit steigendem Tempo (Seligers "Beschleunigungsfalle"). Das erzeugt ständiges Wachstum an Entsorgungsfällen und CO2-Emissionen.

Das Doppelgesicht des Ingenieurs

Die in ihre Produkte verliebten Ingenieure haben allerdings die größten Schwierigkeiten damit, auf technische Innovation im herkömmlichen Sinn zu verzichten, denn davon hängt nicht nur ihr gesellschaftlicher Status ab, sondern auch ihr Selbstwertgefühl.

Andererseits, und hier wäre ein Anknüpfungspunkt, orientieren sich Ingenieure weit hartnäckiger und konsequenter am Gebrauchswert als am Tauschwert, am Nutzen für die Menschen, an den natürlichen Gegebenheiten, und sie kamen deshalb seit ihrem Aufstieg als Berufsgruppe im 19. Jahrundert immer wieder in Konflikt mit den Ökonomen. Die große Mehrheit hat sich jedoch, wenn auch oft mit schlechtem Gewissen, dem "Kostendenken" unterworfen, als "erfinderische Zwerge, die für alles gemietet werden können" (Brecht).

Dagegen zitierte Seliger die VDI-Richtlinie 3780, nach der sich die Arbeit der Techniker nicht nur auf die Artefakte beschränken darf, sondern auch "die Bedingungen ihrer Entstehung sowie Art und Weise und Folgen ihrer Nutzung, auch im Hinblick auf Nachhaltigkeit" einschließt.

Um diese Vorgabe einzulösen, ist noch viel Überzeugungsarbeit und standfeste Politik nötig, wie schon interne Vorgänge zeigen. Der Vertreter des Projektes "ReUse-Computer" an der TU Berlin etwa hatte versucht, im entsprechenden Expertengremium des Ministeriums die Elektronik-Schrott-Verordnung so zu beeinflussen, dass eine Aufarbeitung und Wiederverwendung der schon nach zwei bis drei Jahren "veralteten" Computer ermöglicht wird. Die Vertreter der Hersteller rasteten bei dieser Zumutung aus: Die ReUse-Leute seien "Öko-Stalinisten", und man werde eine solche Geschäftsschädigung nicht dulden. Entsprechend sieht die Verordnung aus: Die Bedingungen, nach denen Altgeräte in großen Containern eingesammelt werden, sind so gestaltet, dass auch von noch verwendbaren Geräten nur Schrott übrigbleibt. Der wird nach Afrika und China exportiert und vergiftet dort ganze Regionen. Der Absatz von neuen Computern boomt weiter: Schon 2004 wurden 160 Millionen PCs neu hergestellt, die Produktion emittiert pro Gerät rund 100 Kilo CO2, die Nutzung jährlich 55.

"It´s the economy, stupid", soll Clinton einst gesagt haben. Hier dürfte das Problem liegen, das gute und engagierte Ingenieure wie Seliger haben: In der stupiden Logik und der Durchsetzungsfähigkeit des kapitalistischen shareholder-value-Prinzips.

Wolfgang Neef ist Ingenieur, Soziologe und Leiter der Zentraleinrichtung Kooperation an der TU Berlin, die sich um eine Brücke zwischen Gesellschaft und (Technik-)Forschung und Ausbildung bemüht, und Vorsitzender der "NaturwissenschaftlerInnen-Initiative Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit" (www.natwiss.de).

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