In diesem Buch wird die These ausgeführt, es werde den "Abschiedsgesellschaften" USA und der EU schlecht ergehen, weil die asiatischen "Angreiferstaaten" sich unseres Wohlstandes bemächtigen wollen - ein Weltkrieg sei nicht auszuschließen -, weshalb wiederum EU und USA sich in einer Freihandelszone zusammenschließen und wehren müssten. Deshalb muss man sich mit diesem Buch nicht beschäftigen. Man kann sich mit ihm beschäftigen, weil es zwei erwähnenswerte Entwicklungen in der Herstellung politischer Bücher illustriert: zum einen den anhaltenden Trend zum Krawall-Journalismus und zum anderen die inzwischen routinierte industrielle Fertigung von Buch-Inhalten. Beides zahlt sich aus; denn das Werk des 1962 geborenen Gabor Steingart, Leiter des Haup
auptstadtbüros des Spiegel, liegt bereits in der dritten Auflage vor.Politischen Journalisten wird gemeinhin die Aufgabe der Kritik und Aufklärung zugeschrieben, sie sollen die Kunst der Unterscheidung pflegen, sich bemühen, Interessen und Motive offen zu legen. Wer mit diesen Kriterien an dieses Buch herangeht, der liegt falsch. Das gilt auch für die Bücher von weiteren angesehenen Journalisten wie Frank Schirrmacher (FAZ), Matthias Matussek (Spiegel) oder die wöchentlichen Texte von Hans-Ulrich Jörges (Stern). Sie alle greifen zwar gesellschaftspolitische Themen auf, behandeln diese jedoch nicht als Gegenstände der Politik. Ihr Ziel ist es vielmehr, aus diesem politischen Rohstoff gute Unterhaltung herzustellen. Das gelang Schirrmacher mit den Themen Genom und demographische Entwicklung und das versucht Steingart mit seinen Büchern auch. Im Großen und Ganzen ist das alles nicht verwerflich. Das Problem ist nur: Wenn nun auf Dauer auch angesehene politische Journalisten und Publizisten sich dem Unterhaltungs-Geschäft verschreiben, wer widmet sich dann noch der Kunst des Unterscheidens und Differenzierens?Aber wie ist der Versuch von Steingart denn nun im Detail ausgefallen? Was findet der Leser vor? Ein Buch von fast 400 Seiten, voll gepackt mit spannenden Informationen, Zahlen, Einschätzungen. Und: Der Leser erlebt einen Gabor Steingart - gemeinhin als hochdekorierter Verfechter neoliberalen Gedankengutes ("Wirtschaftsjournalist des Jahres 2004") bekannt - in verwirrender Vielschichtigkeit: Steingart als Wirtschaftsexperte der Gewerkschaften: Der Boom in den USA gründe weitgehend auf Pump. Steingart als Systemkritiker: "Womöglich aber passen der Kapitalismus und ein autoritärer Staat sogar besser zusammen, als dem Westen lieb sein kann." Steingart als Imperialismus-Kritiker: Die Briten hielten Indien "fast 200 Jahre in einem künstlichen Koma, politisch, militärisch und wirtschaftlich". Steingart als verrätselter Klassenkämpfer: "Der heutige Prolet ist ärmer dran als sein Vorgänger zu Beginn des Industriezeitalters, obwohl es ihm besser geht." Steingart als Lafontaine-Anhänger: Der Wettbewerb der Finanzpolitiker um die geringste Unternehmenssteuer trage "mittlerweile alle Züge einer Selbstzerstörung". Und schließlich Steingart als Staats-Interventionist: "Wer die Globalisierung nicht erdulden, sondern gestalten will, muss den Glauben an die Freihandelsideologie in sich zerstören." Nach diesen Zitaen fragt man sich: Hat der Autor sein Buch vor Druck tatsächlich noch einmal gelesen? Muss die Biographie des neoliberalen Steingart in Teilen neu geschrieben werden? Oder ist ihm das Werk entglitten und die Rolle der drei Herren von der Dokumentation - Rainer Lübbert, Bernd Musa und Holger Wilkop - doch viel prominenter als ihre eher beiläufige Erwähnung vermuten lässt?Es entsteht im Kopf des Lesers nach und nach ein Bild, wie dieses Buch entstanden sein könnte: Das Spiegel-Archiv lässt seine Fakten zu den vom Autor vorgegebenen Stichworten - Deutschland plus EU plus USA plus Indien plus China (dabei jeweils Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft) plus Keynes, Mao, Ricardo, Deng Xiaoping, erschöpfte Kontinente, vibrierendes Asien etc. etc. - in ein Buchlayout einfließen. Der Autor kommt. Und dann passiert etwas Unerwartetes. Er ordnet dieses Stichwort-Wissen gar nicht zu Gedanken, nein, er setzt sich einfach an die Spitze dieser Fließtexte und schreibt obendrauf: "Die Imperialisten kommen. Und: "Staat im Säurebad. Eine Weltmacht entsteht." Und: "Die Zeit westlicher Dominanz geht damit zu Ende." Und: "Der nächste Einstein wird Inder sein." Und: "Die einst Unterentwickelten richten sich vor unser aller Augen auf." Dann Steingarts Weltkrieg als Krankengymnastik: "Millionen von gestern noch Bedürftigen strecken die Muskeln durch." Und: "Das Vorgehen der asiatischen Führer ist brutal und schlau zugleich." Und: "Denkbar ist aber auch, dass das neue Sarajevo aussieht wie Taipeh, die Hauptstadt der Taiwanesen." Wetten, dass?Auf den wenigen Seiten, die ihm die Dokumentare noch gelassen haben, entwickelt Steingart gegen Ende noch in aller Eile die rettende Idee einer Freihandelszone der USA und der EU: "Die im Kalten Krieg bewährte Waffenbrüderschaft könnte im Weltwirtschaftskrieg fortgesetzt werden ... ." Die Idee ist von Steingart, aber alleine ist er nicht: "Der Gedanke eines selbstbewussten und daher wehrhaften Westens bewegt auch die Frau im deutschen Kanzleramt."Steingarts Thesen dienen allein der unterhaltenden Dramatisierung. So wird das, was an Fakten im Detail vermutlich alles stimmt, im Ganzen falsch. Aber in eben diesem falschen Ganzen liegt die Unterhaltung. So passt in diesem Buch richtigerweise nichts zusammen. Es wirft lediglich Fragen auf, die ohne Belang sind, wie die, warum das Spiegel-Archiv ausgerechnet unter diesem Pseudonym publiziert. Aber irgendwie ist auch das egal. Entscheidend ist, was bleibt, jenseits der bevorstehenden vierten Auflage? Es bleibt die Erinnerung. Wenn die Freihandelszone von USA und EU feierlich beschlossen wird, dann steht in der Hausmitteilung des Spiegel: Die Idee hatte unser Steingart. Und der letzte Kritiker wird erbleichen.Gabor Steingart: Weltkrieg um Wohlstand, Piper, München, 2006, 400 S., 19,90 EUR