Die knapp 300.000 wahlberechtigten Bremer und Bremerhavener geben nicht vor, wie sich das Parteiensystem entwickeln wird. Aber Fingerzeige gibt dieses Wahl-Ergebnis schon her. Danach verfestigen sich die Trends: Eine Linke aus Grünen, SPD und Linkspartei hat nicht nur in bundesweiten Umfragen, sondern auch bei Wahlen in Bund und Land eine Mehrheit. Sie könnte also das Land übernehmen, wäre diese Mehrheit eine aus der Welt der Politik und nicht nur eine mathematische Größe. Wäre die deutsche Rechte in dieser Lage, sie hätte es mit ihrem skrupellosen Machtwillen schon lange getan. Weiter: Der Wähler stuft SPD und CDU anhaltend von Volks- zu Groß-Parteien herab. Die kleineren Parteien gedeihen. Und die jüngste unter ihnen kann jetzt sagen, nun sei sie auch im Westen als Sozialstaats-Partei etabliert. Ein Blick zurück: Auch der Siegeszug der Grünen begann einst mit einem Wahlerfolg in Bremen. Ein Blick wenige Monate voraus: Mit dem Rückenwind aus Bremen, sorgfältiger ausgewählten Spitzen-Kandidaten und einem Programm, das sagt, wie sie das Bundesland verändern will, warum soll so die Linkspartei nicht auch in Hessen reüssieren.
Diese Stabilisierung der Linkspartei schadet der SPD. Aber die könnte auch Nutzen daraus ziehen: Denn die Ausdifferenzierung des Parteien-Systems mehrt vor allem die Koalitions-Optionen der SPD. Welche Regierung wo auch immer gebildet wird, die SPD kann immer dabei sein. Eine strategisch komfortable Lage, mit der sich etwas anfangen ließe, würde es der SPD politisch nicht so elend gehen wie heute.
Kurt Beck, der Parteichef, rackert sich ab, seit einem Jahr und mit sichtbarem Misserfolg. In den Umfragen liegt die Union deutlich vor der SPD, Merkel sehr deutlich vor Beck. Deshalb muss er sich viel bieten lassen: Der Spiegel hat ihn schon "Kurt Scharping" getauft. Manche glauben, der freundliche Fachbeamte Frank Steinmeier wäre der bessere Kanzlerkandidat. Und Genosse Vizekanzler Müntefering tritt ihn ständig vor das Schienbein, spielt öffentlich - und in Anwesenheit von Beck - den besseren Vorsitzenden.
Was dieser Beck nicht alles stemmen soll! Er hat doch eine nahezu konkursreife Partei übernehmen müssen, die geprägt ist vom Erbe der Regierungszeit Schröder/Müntefering, das wie eine Betonplatte auf ihr liegt. Wer sprengt die weg? Diese Regierungszeit kann so gelesen werden: Schröder hat alles Grüne verhindert, alles Rote abgekratzt und damit - wie einst Helmut Schmidt zugunsten der Grünen - den Humus aufgehäufelt, auf dem die Linkspartei gut gedeihen wird. Wer ein solches Erbe übernehmen muss, was soll der anderes machen, als sich mit ein bisschen Frieden - siehe Raketen-Debatte - und ein bisschen weniger Weniger-Sozialstaat - siehe Mindestlohn - auf das Kerngeschäft zu begrenzen? Was bleibt dem anderes übrig, als den Helden des Rückzuges zu spielen, dessen Verdienst darin bestehen könnte, seine SPD stabil über 25 Prozent Wähleranteil zu halten?
Die Partei verliert Mitglieder ohne Ende, über Jahre hat sie sich halbiert. In kaum einem Bundesland verfügt sie über einen angesehenen Ministerpräsidenten, die Stellvertreter von Kurt Beck sind so unbekannt wie die von Peter Struck. Wenn die These noch stimmt, dass sich eine Partei nur aus den Ländern erneuern kann, sieht es pechschwarz aus. Damit ist die Oberfläche der Krise beschrieben. Den Kern des Dramas macht jedoch die inhaltliche Leere aus. Und dort, wo keine Leere ist, da passt nichts zusammen. Beispiel: Kurt Beck repräsentiert die SPD der sozialen Tradition und will diese stärken. Diese SPD reicht jedoch nicht einmal bis zur eigenen Regierung. Dort herrscht Franz Müntefering, der unverändert der Meinung ist, dass die Agenda 2010 Glaubwürdigkeit und Modernität einer erfolgreichen SPD ausmacht, weshalb er ihr folgerichtig mit der Unternehmenssteuerreform, der erhöhten Mehrwertsteuer und der Rente mit 67 weitere Mühlsteine um den Hals gehängt hat.
Ist dieses Drama gottgegeben? Natürlich könnte Beck etwas tun, würde er etwa seine peinlichen Bemühungen einstellen, sich als Welt-Außenpolitiker zu profilieren. Dann wäre Zeit gewonnen, die er nutzen könnte, um nicht jeden Tag eine neue Karte auszuspielen (Prekariat, Leistungselite, Raketen, Afghanistan), sondern um alles auf eine Karte zu setzen und - zum Beispiel - die ökologische Agenda 2020 auszurufen. Er fragt die Gewerkschaften, wie grün sie zusammen mit ihm den Kapitalismus machen wollen. Er bittet Steinbrück, eine ökologische Steuerreform vorzulegen. Das Wirtschaftliche, das Soziale und das Ökologische in Balance halten - da hat die SPD noch die höchste Kompetenz.
Aber was machen die SPD und ihre beiden Vorsitzenden Beck und Müntefering? Sie verabreichen sich ein seifenblasenhaltiges Grundsatzprogramm, für das sich nicht einmal zehn Prozent der wenig mehr als 500.000 Mitglieder interessieren. So wird das nichts. Bleibt nur noch das Verursacher-Prinzip: Soll doch Gerhard Schröder den Laden übernehmen. Er hat es sich verdient.
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