Mit Jahresende hat die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS), die Anfang 1995 der Treuhand gefolgt war, ihre Tätigkeit eingestellt. Daran hatte es stets heftige Kritik gegeben. Doch die Mängel ergeben sich zwangsläufig aus den Geburtsfehlern der Treuhand, schreibt Wolfgang Ullmann - Anfang 1990 Minister ohne Geschäftsbereich im Kabinett Modrow - in diesem Beitrag. Er hält die alternativen Pläne von damals noch immer für zukunftsträchtig.
Drei Zukunftsinitiativen waren es, die den Kern des politischen Programms der Bürgerbewegungen der Friedlichen Revolution des Herbstes 1989 bildeten: Die deutsche Vereinigung als einen gemeinsamen Akt der Verfassungsgebung durch alle deutschen Länder zu gestalten; zweitens die voll
s die vollständige Enteignung des durch das MfS gesammelten Herrschaftswissens der SED als Vorstoß in eine neue Dimension demokratischer Transparenz; drittens die Ingebrauchnahme eines neuen Eigentumsrechtes auf der Basis der Partizipation in Gestalt einer das gesamte Volkseigentum treuhänderisch verwaltenden Körperschaft öffentlichen Rechtes.Das erste Projekt scheiterte am Konsens der Parteien im Osten wie im Westen, die Verlauf und Gestaltung des Vereinigungsprozesses ihren taktischen Gesichtspunkten für die Volkskammer- und Bundestagswahl unterordneten. Das zweite Vorhaben konnte durch das Engagement der Bürgerkomitees einschließlich einer Hungerstreikaktion in der MfS-Zentrale in Berlin-Lichtenberg zum Erfolg geführt werden.Das merkwürdigste Schicksal aber widerfuhr dem im Februar 1990 am Zentralen Runden Tisch von der Bürgerbewegung "Demokratie Jetzt" eingebrachten Plan zur Errichtung einer das Volkseigentum treuhänderisch verwaltenden Institution, die als Körperschaft Öffentlichen Rechts die nötige Unabhängigkeit besitzen sollte, eine Privatisierung des Volkseigentums zu gewährleisten, die den durch vierzigjährige Arbeit unter erheblichen Benachteiligungen wie Niedriglohn, Unfreiheit und Ausschluss vom westdeutschen Durchschnittsstandard erworbenen Ausgleichsansprüchen genügen würde. Das musste darum auch Unabhängigkeit von beiden deutschen Regierungen bedeuten, dergestalt, dass die vorgesehene Privatisierung als eine DDR-interne Angelegenheit zu behandeln und ihr Ergebnis als ein nicht mehr verhandelbarer Bestandteil in den Einigungsprozess einzubringen war.Was nach dem Februar geschah, könnte man als eine Erfolgsgeschichte ganz besonderer Art betrachten, wenn diese Geschichte nicht an ihrem Ende, dem Volkskammergesetz vom 17. 6. 1990, der Treuhandanstalt eine Form gegeben hätte, die so ziemlich auf das Gegenteil von dem hinauslief, was der Vorschlag am Runden Tisch bezweckte.Das Chaos der PlanwirtschaftDass "Demokratie Jetzt" mit einem solchen Programm an die Öffentlichkeit treten konnte, hat mit den Eigentümlichkeiten gerade dieser Gruppe zu tun. Wie in parallelen Gruppierungen hatte auch "Demokratie Jetzt" es für unerlässlich gehalten, angesichts des offenkundigen Scheiterns der SED-Herrschaft klarzustellen, was das für die Stellung zum Sozialismus bedeute. In den bei ihrer Gründung verabschiedeten "Thesen für eine demokratische Umgestaltung der DDR" hieß es: "Soziale Errungenschaften, die sich als solche bewährt haben, dürfen durch ein Reformprogramm nicht aufs Spiel gesetzt werden." Und hier wirkte sich eine weitere Besonderheit von "Demokratie Jetzt" aus. Die Sprecher der Gründungsinitiative standen mit einer Gruppe junger Wissenschaftler - Physiker, Kulturwissenschaftler, Sprachwissenschaftler - in engem Kontakt und gaben ihnen noch im September 1989 den Auftrag, in einem wissenschaftlichen Gutachten zur Lage der DDR Stellung zu nehmen. Die Studie lag bereits im Oktober vor.Der Text, überschrieben "Zukunft durch Selbstorganisation" lässt alle unter den Schlagworten Kapitalismus und Sozialismus subsumierten Klischees hinter sich und wendet die Konzepte der Physik des Komplexen, der Kybernetik und Organisationstheorie auf die Lage der Gesamtgesellschaft - nicht nur, wie allgemein üblich, auf die Sektoren Wirtschaft und Politik - an. Alle für diesen Gesamtzustand maßgeblichen Parameter werden untersucht, und bei jedem stößt man für den Zeitpunkt Herbst 1989 auf Singularitäten beziehungsweise Extremwerte, aus denen folgt, dass eine lineare Weiterentwicklung des Status quo ausgeschlossen ist. Jeder Versuch in dieser Richtung müsste das für die Zustände in der DDR charakteristische chaotische Verhalten verstärken.Dies ergibt sich auch aus einer anderen Grundeinsicht. Dass es gerade eine Planwirtschaft war, die chaotisches Verhalten zum Ergebnis hat, beruht auf ihrer illusionären Voraussetzung, ein System von der Komplexität der modernen Gesellschaft - zu der auch die DDR trotz zahlreicher Rückständigkeiten in einzelnen Bereichen gehörte - könne von einer Zentrale wie dem Politbüro geleitet werden. Eine solche Zentrale ist notwendigerweise eine konservative Struktur, die je länger je mehr die Kompatibilität zu den in der Gesellschaft überwiegenden dissipativen Strukturen verlieren muss, so dass alle denkbaren Eingriffsversuche nur immer neue chaotische Reaktionen zur Folge haben können.Reichlich zehn Jahre nach den damals wie heute ungewöhnlichen Überlegungen lässt sich weltweit beobachten, wie zutreffend und zukunftsweisend diese Analyse geblieben ist. Gerade die unübersehbaren Schwierigkeiten der weltweit als Allheilmittel beschworenen Firmenzusammenschlüsse und Machtkonzentrationen machen - wie jüngst das Beispiel Daimler/Chrysler - schonungslos offenbar, dass es den damaligen Autoren gelungen ist, den Finger in eine Wunde zu legen, die tiefer reicht als die Rückständigkeit der sozialistischen Staaten und die weltfremde Borniertheit ihrer Führungszirkel. Die Wissenschaftler schlugen vor, dem obwaltenden Chaos nicht durch die Errichtung neuer Machtzentralen zu begegnen, sondern vorhandene Selbstorganisationskräfte von den parteibürokratischen Lenkungsversuchen zu befreien.Das alternative TreuhandkonzeptGenau um die gewissermaßen katalytische Freisetzung eines solchen Selbstorganisationsprozesses sollte es sich auch bei dem Treuhandkonzept von "Demokratie Jetzt" handeln. Die Initiative knüpft sich an das in der DDR-Verfassung enthaltene Rechtsinstitut des Volkseigentums, das dort als "gesamtgesellschaftliches Eigentum" definiert und von anderen Eigentumsarten wie Staatseigentum, genossenschaftliches Eigentum oder persönliches Eigentum genau unterschieden wurde.Und im Fall des Volkseigentums wirkte sich die Parteidiktatur so aus, dass das angeblich gesamtgesellschaftliche Eigentum dem Verfügungsrecht der Partei ausgeliefert und damit der Gesellschaft gerade entfremdet wurde. Genau diese Entfremdung wollte das Treuhandkonzept beseitigen, indem es die DDR-Bevölkerung zum wirklichen Eigentümer des volkseigenen Vermögens einsetzte. Im Einzelnen sollte das so aussehen, dass die Treuhandanstalt gleichwertige Anteilscheine im Sinne von Kapital-Teilhaberurkunden an alle DDR-Bürger und -Bürgerinnen ausgab. Vorbild sollte das Modell der Nachlassverwaltung eines Erblassers zugunsten der legitimen Erbberechtigung sein und sich ganz bewusst an den entsprechenden Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches orientieren. Auf diese Weise sollte eine Kompatibilität zum Zivilrecht der Bundesrepublik hergestellt werden, welches das Institut des Volkseigentums nicht kennt.Die Entscheidungsbefugnis über die Verwendung dieses Grundkapitals zum Beispiel hinsichtlich des Eigentums an volkseigenem Grund und Boden oder Verkäuflichkeit der Eigentumsanteile oder über spätere Gewinnausschüttungen sollte nur durch die demokratischen Entscheidungen der DDR-Bevölkerung festgelegt werden können. Darum sollte die Rechtsnachfolge im staatlichen Bereich nicht bei der Bundesrepublik, sondern den wieder zu errichtenden Ländern liegen.Das Vorhaben erschien so neuartig, dass sogar die New York Times meinte, mit einem kurzen Kommentar darauf eingehen zu sollen. Die mit einem Fragezeichen versehene, echt angelsächsisches Understatement signalisierende Überschrift lautete: "Ein Stück vom Kuchen für jeden Ostdeutschen?" Am Schluss wird auf die schon vollzogene Errichtung der Treuhandanstalt hingewiesen, freilich auch hier mit der nur zu berechtigten Feststellung, dass ihr Schicksal unter dem neuen Parlament eher zweifelhaft sei. Trotz des Lakonismus spürt man, dass der geäußerte Zweifel eigentlich eine Hoffnung ausdrücken soll, nämlich die, dass dieses für den traditionellen Kapitalismus nicht ungefährliche Projekt wohl doch zum Scheitern verdammt sei.Die GeburtsfehlerDass diese Hoffnung sich erfüllte - freilich merkwürdigerweise nicht ganz, denn die Treuhand überlebte bis 1994, in Restbeständen sogar bis Ende des vergangenen Jahres - hatte auch den Grund, dass das Treuhandkonzept ein neues Denken voraussetzte, ohne das die Friedliche Revolution wohl nie zustande gekommen und siegreich geworden wäre. Aber dieses neue Denken wurde schon im Jahre 1990 in Deutschland alsbald wieder durch jene Traditionen verdrängt, in die man sich in vierzig Jahren Teilung eingelebt hatte.Was nach dieser Vorgeschichte dann in der Treuhandanstalt unter ihren Leitern Moreth, Gohlke, Rohwedder und Breuel geschah, das hat Michael Jürgs im Untertitel seines Treuhandbuches Die Treuhändler (1997) gemeint zusammenfassen zu können in die Worte: "Wie Händler und Halunken die DDR verkauften". Es ist das populäre Bild all jener Skandale, mit deren Geschichte man Regale füllen kann und, wie das Buch von Jürgs zeigt, tatsächlich auch gefüllt hat. Dass dabei mit Entrüstung über die reichlich vorhandenen Fälle betrügerischer Konkurse, Bestechungen, Aktionen unlauterer Konkurrenz gegen marktwirksam agierende DDR-Betriebe nicht gespart wird - das alles ist schon vor Jürgs hundertfach beschrieben worden.Hier soll auf etwas anderes aufmerksam gemacht werden. Das Buch von Jürgs ist typisch für eine Haltung, die dort in moralisierendes Pathos verfällt, wo die offenkundigen Schwächen des Agierens der Treuhand zu Tage treten, aber niemals die Frage stellte, ob das Versagen in so zahlreichen Fällen nicht die Folge von Fehlentscheidungen ist, die bei der Errichtung der Treuhand sowohl vom DDR-Ministerrat wie von der Volkskammer begangen worden sind. Ist es nicht ein seltsamer Widerspruch, dass gerade die sich als die kompetentesten Kritiker aufspielen, die das Konzept der Treuhand am allerwenigsten verstanden haben noch überhaupt verstehen wollten?Was also waren die maßgebenden Fehlentscheidungen, die zum Misserfolg der Treuhand führen mussten? Die erste und entscheidende steckt schon im Treuhandgesetz des DDR-Ministerrates vom 1. März 1990. Ich sah das sofort, als Staatssekretär Wolfram Krause kurz nach der Einbringung des Vorschlages am Runden Tisch - übrigens durch Gerd Gebhardt und nicht durch mich, wie Jürgs behauptet! - mir als Minister den von ihm verfassten Entwurf eines Treuhandgesetzes präsentierte. Statt von der Gesamtheit des Volksvermögens ging Krause lediglich von dem der Volkseigenen Betriebe (VEB) aus und sah, gegen den Vorschlag des Runden Tisches, eine zentrale Organisation der Treuhand auf Republik- statt auf Landesebene vor.Beide Regelungen leiteten jene schwerwiegenden rechtlichen Fehlentscheidungen ein, die hinter allen weiteren Fehlentscheidungen der Treuhand stehen: die Gleichsetzung von Volks- und Staatseigentum, die im strikten Gegensatz zur Rechtslage der DDR stand. Aber es waren gerade die Finanz- und Wirtschaftsexperten der SED, die ihre westlichen Gesprächspartner in dieser Rechtsfälschung bestärkten. Warum sie das taten, ist leicht erklärt: Unter dem Titel "Staatseigentum" hatten sie genau jene Zugriffsmöglichkeiten, die ihnen der Entwurf des Runden Tisches aus der Hand nehmen wollte! DDR-Sozialisten! Umgekehrt: Die Beziehung der Kohl-Regierung zur SED-Führung bis zu ihrem Ende in Gestalt von Egon Krenz waren derart eng - viel enger als etwa zu Hans Modrow -, dass man es nur zu gut verstehen kann, dass zur Zeit Himmel und Hölle bewegt werden, damit die Intensität dieser Beziehungen nicht etwa über die MfS-Telefonmitschnitte der Öffentlichkeit bekannt werden.Als Carsten Detlev Rohwedder im September 1990 der Volkskammer seinen ersten Bericht über die Tätigkeit der Treuhand erstattete, war deren Schicksal wie das Rohwedders, des einzigen Todesopfers der deutschen Vereinigung, bereits besiegelt. Wenn man diesen Bericht wieder liest, steigen einem viele Fragen auf, gerade im Hinblick auf Rohwedders Ermordung. Sein Bericht vor der Volkskammer ist völlig fern von jenen Horrorgemälden über die Wirtschaft der DDR, die wenig später die öffentliche Meinung beherrschen sollten.Es sind besonders zwei Aussagen, die aufhorchen lassen. Rohwedder charakterisiert das Programm der zukünftigen Arbeit der Treuhand als Schritt von der Verkäufer- zur Anbietersituation. Hat er damit ein Urteil über die Verkäufertätigkeit seiner Vorgänger Moreth und Gohlke seit dem März 1990 fällen wollen?Noch viel auffallender aber liest sich mit heutigen Augen der andere Satz: "Und es geht nicht darum, nun sehr schnell staatliche Monopole durch marktbeherrschende Unternehmen von außerhalb der DDR zu ersetzen." Man glaubt es kaum: Er hat wirklich gesagt "von außerhalb der DDR"! Sollten sich da vielleicht bestimmte marktbeherrschende Unternehmen getroffen gefühlt haben?Der Erfolg, trotz allem Überblickt man diese spannende und einzigartige Geschichte, so drängt sich die Frage auf: Kann man ein derart aus dem Ruder gelaufenes Unternehmen tatsächlich noch als ein Pilotprojekt betrachten?Ich glaube diese Frage bejahen zu können, ohne einen Satz des Gesagten zurücknehmen zu müssen. Meine Gründe sind die folgenden. Erstens ist die Treuhand das nicht zu beseitigende Zeugnis dafür, dass es von Seiten der DDR-Bevölkerung ein bis heute nicht befriedigtes Anrecht auf ihre Anteile am Volkseigentum gibt. Der zweite ist die Erklärung dafür, dass diese Anrechte nicht befriedigt werden konnten. Denn nicht zuletzt war es der Erlös der Treuhandverkäufe, der zur Deckung der immensen Kosten der Stichtags-Währungsunion ohne Übergangsfristen dienen musste.Der dritte und wichtigste Grund aber ist der, der weit über den Anlass der deutschen Vereinigung hinausreicht. Ich bin überzeugt, es ist der, der das Verständnis für das ganze Treuhandunternehmen bis heute verhindert. Es handelt sich um den Bruch mit dem traditionellen Eigentumsrecht, das Kapitalismus und Sozialismus verbindet. Ihr Antagonismus bezieht sich nur auf den jeweiligen Eigentümer, das Individuum oder das Kollektiv. Aber beiden soll Eigentum das unbegrenzte Verfügungsrecht über eine Sache oder Sachen einträumen. So die Doktrin vom römischen Recht bis zum § 903 des Bürgerlichen Gesetzbuches.In einer Rede habe ich mich zu diesem Komplex einmal so ausgedrückt: "Es ist auf einmal der Horizont verlassen, aus dem unser Rechtsdenken kommt, nämlich das Gegenüber von Sache und Person. Aus diesem Horizont von Sache und Person heraus treten wir ins Geflecht von Personen, Funktionen und Strukturen, und wir tun das im Bereich des Eigentumsrechtes."Es sind derartige Überlegungen, die den Bürgerbewegungen den Vorwurf eingebracht haben, sie seien Ideologen des Dritten Weges, Illusionäre eines unmöglichen Kompromisses, zwischen Sozialismus und Kapitalismus. So urteilen kann freilich nur, wer die beiden Ismen für sich wechselseitig ausschließende Alternativen hält. Genau das aber war das Fundamentaldogma des Kalten Krieges, bis hin zu Reagans manichäischem Mythos vom Reich des Bösen im Osten, das man in der Antike - wie jetzt die Islamisten - gerade im Westen sah.Die Friedliche Revolution des Herbstes 1989 proklamierte als Alternative zu diesem unlösbaren Widerspruch der Bourgeois- und Besitzerdemokratie eine Bürger- und Bürgerinnendemokratie, in der Eigentum persönliche Teilhabe, Gleichheit immer neue Selbstorganisation und Freiheit kein Privileg, sondern der Kern der Menschenwürde ist. Insofern war das Treuhandkonzept des Runden Tisches ganz gewiss ein Pilotprojekt.
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