Dessen sollte Herr Pflüger gewiss sein: Wir haben nicht vergessen, dass er einer der wichtigsten deutschen Maschinenmeister beim Aufbau der Drohkulisse "Saddam Hussein - atomare Weltgefahr Nr. 1" gewesen ist. War es nicht Friedbert Pflüger, den wir mehr als einmal mit dem Pathos des Insiderwissens haben versichern hören, ihm sei bekannt, die Bundesregierung verfüge über unanfechtbar glaubwürdige Angaben zu dem Massenvernichtungsarsenal Saddam Husseins, weigere sich aber im Interesse ihrer Ablehnung des Irak-Krieges diese Informationen zu veröffentlichen?
Mittlerweile freilich sind solche Behauptungen als Teil jener von Bush und Blair betriebenen Desinformationskampagne diskreditiert, in der die Vereinten Nationen und vor allem ihr Sicherheitsrat zur Bühne einer durch und durch dilettantisch angelegten Propagandainitiative degradiert worden sind.
Wie es um die angebliche "Bedrohung" der Völkergemeinschaft durch Massenvernichtungswaffen des Irak bestellt war, das hat der sonderbare Verlauf des von Bush herbeigeführten Krieges gezeigt. Ein durch Kampfhandlungen kaum unterbrochener Vormarsch auf Bagdad, medienwirksam beendet mit dem Sturz des Saddam-Hussein-Denkmals. Einige Monate später die kampflose Festnahme des angeblich Hitler-gleichen Diktators in seinem Erdloch, ein Vorgang an der Grenze der Lächerlichkeit, der eher der Festnahme eines Kleinkriminellen als der eines Massenmörders glich.
Und all diese Entmythologisierungen einer Weltkriegstheatralik stellen sich ein im Kontext schierer Erfolglosigkeit des pathetisch eröffneten wie ebenso pathetisch mit dem von Bush ausgerufenen "Sieg" beendeten Militäreinsatzes. Der von einer technisch-militärischen Übermacht auszutretende Terrorismus hat sich auf das Verheerendste nicht zuletzt im Irak selbst, aber auch bis Spanien und Marokko ausgebreitet und ist weiter dabei, alle Weltregionen zu verunsichern, die dem islamistischen Fundamentalismus in irgendeiner Hinsicht wichtig erscheinen. Pflüger bringt diese Situation auf die Formel: "Der Krieg, den die Islamisten weltweit gegen die westliche Kultur führen, hat Europa und Deutschland längst erreicht. Aber wir sind auf diese Herausforderung denkbar schlecht vorbereitet."
Das nach dem neuen Weltkrieg fragende Buch soll offenkundig angesichts dieser schlechten Vorbereitung Abhilfe schaffen. Eine gewiss nicht verwerfliche Absicht. Aber hätte dieses Unternehmen nicht mit einer kritischen Reflexion zu beginnen und die Frage zu stellen, ob der Irak-Krieg nicht eine der Hauptursachen jener von Pflüger konstatierten schlechten Vorbereitung darstellt?
Aber solche Selbstkritik liegt unserem Weltkriegsfeldherrn durchaus ferne: "Was mich selbst angeht (und meine Partei), so bin ich durchaus guten Gewissens." Kann man Pflüger diese Versicherung vom guten Gewissen abnehmen? Man täte ihm keine Ehre an, wenn man sie akzeptierte. Denn wenn diese 300-Seiten-Apologetik einen vertretbaren Sinn haben soll, dann eben den, ein sehr schlechtes Gewissen zu beschwichtigen.
Ich will an drei Beispielen zeigen, wie schlecht dieses Gewissen ist. Beginnen wir mit dem Verhältnis Weltkrieg - Weltfrieden. Dass Pflüger hier meinte, die üblichen abgedroschenen Sottisen gegen die Friedensbewegung wiederholen zu müssen, sei ihm kommentarlos konzediert. Keinerlei Kompromiss aber kann es gegenüber den Sophismen geben, die Pflüger als "Lehre vom gerechten Krieg" ausgibt, und dies auch noch unter der anmaßenden Berufung auf Augustinus und Luther.
Was den ersten anbelangt, so hat er gerade unter dem Hinweis darauf, dass der Gründungsakt der irdischen civitas ein Brudermord gewesen sei, ihre Friedensunfähigkeit konstatiert und darum ihr die civitas Gottes als die einzige wirklichen Frieden erreichende Gemeinschaft gegenübergestellt. Und was Luther betrifft, so kann dessen - theologisch durchaus umstrittene! - Zwei-Regimente-Lehre auf keinen Fall zur Rechtfertigung völkerrechtswidriger, auf Supermachtprivilegien gestützter Militäraktionen herangezogen werden.
Pflüger weiß ganz genau, dass es zwecklos ist, theologische Autoritäten für die Lehre vom gerechten Krieg heranzuziehen, die auf Grund der Zeitbedingtheit ihrer Argumentationen zu den durch das 20. Jahrhundert heraufbeschworenen Problemen des Weltkrieges, der Massenvernichtungswaffen und Genozidverbrechen an Wehrlosen überhaupt nicht Stellung nehmen konnten und darum auch nicht Stellung genommen haben. Wenn man schon angesichts aktueller Probleme eine Lehre vom gerechten Krieg entwickeln wollte, dann allein auf der Basis der Gerechtigkeitsnormen, die die UN-Charta, die UN-Menschenrechtsdeklaration, das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofes und die Europäische Menschenrechtskonvention vorschreiben.
Aber da Pflüger sein schlechtes Gewissen auch durch Berufung auf neutestamentliche Traditionen zu beschwichtigen sucht, muss auch deren Glaubwürdigkeit überprüft werden. Das Ergebnis ist verheerend. Lässt Pflüger doch geradezu alle Versatzstücke der Kriegspredigten von 1914 unseligen Angedenkens aufmarschieren. Allen voran die willkürliche Beschränkung der Bergpredigt auf eine politisch indifferente Individualethik. In seinen Letzten Tagen der Menschheit lässt Karl Kraus den protestantischen Superintendenten Falke predigen: "Und man muss hier klar und bestimmt eingestehen: Jesus hat das Gebot Liebet eure Feinde! nur für den Verkehr zwischen den einzelnen Menschen gegeben, aber nicht für das Verhältnis der Völker zueinander. Im Streit der Nationen untereinander hat die Feindesliebe ein Ende." Auf genau den gleichen Bahnen einer pseudotheologischen Sophistik versucht Pflüger, den Gegensatz seiner Kriegsapologetik zum Neuen Testament zu vertuschen.
Jesus hat sich offenbar getäuscht in der Überzeugung, dass er hinreichend deutlich geredet habe, wenn er in Matthäus 5,5 verheißt, dass die Sanftmütigen das Erdreich (nicht etwa das Himmelreich!) besitzen werden. Und bei den "Friedensstiftern" von Matthäus 5,9 hat er laut Pflüger offenbar lediglich an Schlichter von Privatkonflikten gedacht. Und wenn es vom Frieden Gottes im Philipperbrief des Paulus heißt, er sei höher als alle Vernunft, dann doch wohl nicht deswegen, weil er mit den Friedlosigkeiten, mit denen auch die Vernunft nicht fertig wird, nichts zu tun hat, wie Pflüger meint, sondern weil er der Maßstab von Frieden sein soll, der jedenfalls für Christen der entscheidende ist, ob in der Politik oder in der privaten Zwischenmenschlichkeit. Und meint Pflüger allen Ernstes, das "Hinhalten der anderen Wange" sei im Privatbereich erfolgreicher als in der Politik?
Aber da Pflügers schlechtes Gewissen nichts auslassen kann, kommt es noch schlimmer. Der Vers aus dem Johannes-Evangelium, in dem Jesus seine Liebe zu den Jüngern als Grund seines Opfertodes bezeichnet (Joh. 15,13), wird auch von Pflüger ohne Umschweife auf den Soldatentod angewandt. Dass es sich beim Soldatentod aber just um das Gegenteil des jesuanischen Opfertodes handelt, nämlich um den Tod von solchen, die von der Absicht der wechselseitigen Tötung bestimmt sind, das übergeht Pflüger so wie die Kriegsprediger von 1914 bis 1918. Ihm scheint völlig unbekannt, dass genau um diesen Vers 1928 - 1932 in der evangelischen Theologie ein Kampf entbrannt war, der die Berufung von Günther Dehn auf einen theologischen Lehrstuhl in Heidelberg verhinderte und ihn zwang, seine Lehrtätigkeit in Halle 1932 aufzugeben, weil die nationalistische Studentenschaft Dehns Einspruch gegen die kriegstheologische Verfälschung des Neuen Testamtents nicht dulden wollte. Welch ein Schauspiel, den außenpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages sich in die Reihen des akademischen Präfaschimus einreihen zu sehen!
Aber Pflüger will doch die vom Islamismus gefährdeten "Christlichen Werte" entschiedener als eine linksseitig gelähmte Öffentlichkeit verteidigen. Kann er nicht wenigstens hierfür ein gutes Gewissen beanspruchen? Er kann es nicht. Denn gerade haben wir gesehen, wie er die christlichen Traditionen instrumentalisiert, um sie seinen Kulturkampfszenarien anzupassen. Hat er sich noch nie überlegt, dass die Protagonisten des islamistischen Fundamentalismus fast alles Leute sind, die lange im Westen studiert und dabei akademische Grade erworben haben? Sollten sie bei diesen Studien nicht haben bemerken können, wie weit die Selbstdestruktion christlicher und demokratischer Traditionen mittlerweile zur Selbstverständlichkeit westlicher Politik geworden ist? Wenn es zum Beispiel um die Kopftücher junger Musliminnen geht, dann mag im Grundgesetz noch so deutlich die Glaubens-, Gewissens- und Weltanschauungsfreiheit normiert sein - das spielt keine Rolle. Die Deutungshoheit über den Sinn von Kopftüchern liegt bei Alice Schwarzer, Friedbert Pflüger und den zuständigen Landesministerien mit Annette Schavan an der Spitze.
Und ist es wirklich ein so schwer zu fassender Gedanke, dass diejenigen, die nicht nur im Mittleren Osten, sondern auch - wie zum Beispiel Henry Kissinger, der nach Pflüger "vielleicht größte Außenpolitiker unserer Zeit" in Chile - zahlreiche Geschichten der Destruktion von nationalen Demokratien im Interesse ihrer Macht- und Ausbeutungsinteressen zu verantworten und gewaltige Glaubwürdigkeitsdefizite aufzuarbeiten haben, wenn sie als globale Missionare von Freiheit, Demokratie und Offenheit auftreten wollen?
Pflüger lässt sein Buch in den Appell an die nichtfundamentalistischen Muslime auslaufen, sie mögen sich verbindlich und glaubwürdig lossagen von allen, die Terrorismus im Namen des Islam betreiben. Wann wird sich Friedbert Pflüger von Hetzschriften wie denen von Frau Oriana Fallaci - die im Bezug auf Muslime den Vergleich mit Ratten durchaus nicht scheut! - von den Kreuzzugspredigern in den USA und allen in Deutschland und anderswo üblichen Diskriminierungen des Islam lossagen, die gipfeln in der Ablehnung eines EU-Beitritts der Türkei wegen deren islamischer Bevölkerungsmehrheit. Solange er dies nicht tut, vermag ich ihm sein gutes Gewissen nicht zu glauben.
Friedbert Pflüger: Ein neuer Weltkrieg? Die islamistische Herausforderung des Westens. DVA, München 2004, 304 S., 19, 90 EUR
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