Was jetzt ausgebrochen ist, erstaunt einigermaßen. Es hagelt Rücktrittsforderungen, Fragestunden verwandeln sich in aktuelle Stunden, Talkshows geraten außer Rand und Band. Dabei ist doch nicht einmal eine neue Stasi-Akte aufgetaucht. Arbeiten wir doch gerade daran, dass solches uns nicht noch einmal passiert. Denn jetzt könnten, wie alle Welt weiß, allein westliche Prominenzen die Betroffenen sein. Auch von neuen schwarzen Kassen hat man nichts gehört, was ja angesichts der Arbeit jenes Ausschusses, der aus unerfindlichen Gründen Untersuchungsausschuss heißt, auch gewiss nicht zu erwarten steht.
Nun aber jetzt: So viele Bußpredigten, Kniefallforderungen, Entrüstungsorgien - hat es das eigentlich schon einmal im Deutschen Bundestag gegeben?
gegeben? Man wundert sich nur, dass noch nicht die ganze Regierung zum Rücktritt aufgefordert wurde. Schließlich ist der Kanzler schon als Krimineller plakatiert worden! Außerdem wissen wir denn bereits genau, ob Gerhard Schröder nicht seinen Mandanten, sondern etwa jenen berüchtigten, zur Zeit meist zitierten Text der siebziger Jahre verteidigt hat? - Wenn das keine Staatskrise ist!Je länger man freilich dieses in mehr als einer Hinsicht extraordinäre Krisenszenario betrachtet, desto tiefer gerät man ins Kopfschütteln. Wie kann man denn mit derart aufgedonnertem Pomp Bürgern weismachen wollen, es seien ganz enorme, staats- und verfassungsgefährdende Ruchlosigkeiten herausgekommen - derart, dass die von leidenschaftlichem Gemeinsinn hin- und hergerissene CDU-Fraktion sich nur in einen Chor aufgeblasener Empörer verwandeln kann.Denkt denn niemand im Konrad-Adenauer-Haus ein einziges Mal daran, was einem in dieser Sache wirklich unschuldigen Publikum angetan wird? Warum in aller Welt sollte dieses Publikum vergessen, dass es doch genau weiß, was vor sich gegangen ist und noch vor sich geht? Nicht Joschka Fischer oder Jürgen Trittin haben plötzlich aufgerufen, mit Molotow-Cocktails gegen die CDU oder die in dieser Sache hoch und seit alters involvierte Springer-Presse vorzugehen. Nur eine mehr in Rachegelüsten als im politischen Denken starke Dame nahm den Prozess gegen den OPEC-Attentäter Klein zum Anlass zu einer fotografiengeschminkten Kampagne gegen ihren alten Intimfeind Fischer. Hoch verwunderlich ist der Erfolg, den sie damit hatte. Er ist um so verwunderlicher, als die Öffentlichkeit genau weiß, welche Denunziantenhonorare dabei eine Rolle spielten. Sind die 16.000 DM von Frau Röhl denn harmloser als die Geldgeschenke der unglücklichen Sebnitzer Apothekerin?Nein - das können wir uns nicht bieten lassen! Medieninszenierungen und Publizitätsinteressen in allen Ehren - aber wenn sich die CDU und die ihr verbündete Presse unbedingt dumm stellen will: Vom Publikum, das noch einen Rest an Selbstachtung besitzt, kann dieses Ausmaß krasser Heuchelei nicht mehr hingenommen werden. Wem es mit der Frage nach der moralisch-politischen Qualifikation von Bundesministern ernst war, der hätte sich 1998 vor der Regierungsbildung zu Wort melden können.Aber die verspäteten Beschwerdeführer, die ihre Bedenken erst nach zwei Jahren entdecken, versuchen, uns mit frommem Augenaufschlag und der unablässig wiederholten Versicherung zu imponieren, ihnen gehe es einzig und allein um das geheiligte Gewaltmonopol des Staates, demgegenüber Fischer und Trittin sich mindestens in ihrer Jugend als äußerst unsichere Kantonisten erwiesen hätten. Wie fein erinnert uns das an genau jene Auseinandersetzungen, die Fischer und Trittin jetzt wieder einmal zum Vorwurf gemacht werden. Es mutet wie ein Reflex an: In einem Teil des politischen Spektrums wird das Gewaltmonopol des Staates allemal dann entdeckt, wenn es opportun erscheint, dieses Monopol gegen den politischen Gegner einzusetzen. Anderswo herrscht bei den gleichen Politikern die schiere Großzügigkeit. Das Gewaltmonopol wird an private Sicherheitsdienste verkauft, die auf Bahnhöfen und öffentlichen Plätzen oder Asylbewerberheimen mit Betroffenen ohne Rücksicht auf Freiheits- und Persönlichkeitsrechte nach Belieben schalten und walten können. Meinen die heroischen Heuchler des staatlichen Gewaltmonopols, es sei völlig in Vergessenheit geraten, dass die Friedensbewegung in Ost und West in Opposition getreten ist gegen ein staatliches Gewaltmonopol, das zum Monopol über ABC-Waffen und damit zu einem staatlichen Monopol auf Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörungen degeneriert war?Welche Abgründe wurden offenbar, wenn man anhören musste, was die Verteidiger staatlichen Gewaltmonopols sich unter Gewalt vorstellen. Gewalt - das sind Sitzblockaden. Gewalt - das sind Gegenmaßnahmen gegen die von Grundstücksspekulanten zwecks Leerräumung von Gebäuden angeheuerten Schlägertrupps. Der in den Rücken eines unbewaffneten Studenten abgegebene Schuss aus einer Polizeipistole dagegen - das ist Gebrauch des staatlichen Gewaltmonopols und bleibt darum straffrei. Die in einem Mordanschlag auf den unbewaffneten Rudi Dutschke gipfelnde Hetzkampagne gegen ihn - das ist dagegen legitime Verteidigung des staatlichen Gewaltmonopols. Aber wo ist das von Herrn Wolfsohn gefeierte staatliche Gewaltmonopol in den schändlicher Weise so genannten "national befreiten Zonen" des CDU-regierten Freistaates Sachsen?Den Gipfel der Heuchelei zu erklimmen, blieb der Parteivorsitzenden Merkel vorbehalten, die sich nicht scheute, für ihre unqualifizierten Angriffe gegen Fischer und Trittin die Gewaltlosigkeit der Friedlichen Revolution zu bemühen und damit das Ansinnen an SPD und Bündnisgrüne zu verbinden, sich endlich gegen die Demokratiebewegung von 1968 zu wenden. Sich für immer von ihr loszusagen.So klar hat man die reaktionären Politikziele der gegenwärtigen CDU-Führung lange nicht ausgesprochen gehört. Klarstellungen sind immer zu begrüßen. Aber das Schlimme im gegenwärtigen Falle ist: Selbst dieses Ziel kann nur als Heuchelei formuliert werden. Wer Forderungen wie Frau Merkel aufstellt, will nicht Frieden und Gewaltlosigkeit, der will zurück in den Kalten Krieg und sucht Gewalt zur Unterdrückung von politischen Positionen, denen mit demokratischen Mitteln und Argumenten zu begegnen, man sich nicht zutraut.Genau wie in der DDR! Schämen Sie sich nicht, Frau Merkel, so zu argumentieren, wie es 1968 gegen den Prager Frühling geschah? Leuten wie Dubc?ek, Goldstücker oder Sik wurde die Gefährdung des staatlichen Gewaltmonopols vorgeworfen, das angeblich zu beschützen die sowjetischen Panzer nach Prag gekommen waren. Darum war 1968 die Widerlegung der Demokratiefähigkeit des Marxismus-Leninismus und das geistig-moralische Ende des Kalten Krieges, bevor 1989 sein politisches Ende kam. Wer sich davon lossagt, sagt sich vom größten Demokratieerfolg des 20. Jahrhunderts los. Will das die deutsche CDU wirklich? Ich bezweifle das im Blick auf zahlreiche verdiente Politiker dieser Partei. Was ich aber leider mit aller Deutlichkeit sagen muss: Solange die CDU sich nicht aufrafft, den Spuk ihrer reaktionären Kampagnen zu beenden, hat sie keinerlei Recht, sich auf das Erbe der Friedlichen Revolution zu berufen. Eine geistig-moralische Wende, deren Geist die Heuchelei und deren Moral in einer Hetzkampagne gipfelt, muss als Anschlag auf die Demokratie unseres Landes verurteilt werden.