Dieses vergangene Osterfest wird in die Kirchengeschichte eingehen. Nicht, weil es das letzte im Kalender des zweiten Jahrtausends gewesen ist. Nein - im Jahr 1999 hat eine Absage an Prinzip und Praxis des Christentums stattgefunden, die ihresgleichen sucht. Die gleichen Regierungen, die größten Wert auf Militärbischöfe und Geistliche in ihren Armeen legen, die bei feierlichen Anlässen gern mit frommem Augenaufschlag und aufs Herz gelegter Hand dastehen, denen ganz klar war, daß man im Monat Ramadan den Irak nicht bombardieren könne, sie alle sagten zu Ostern 1999 einmütig wie Petrus in der Passionsgeschichte über Jesus: »Ich kenne des Menschen nicht!« Was kümmert uns das Kreuz! Was kümmert uns Ostern mitsamt seiner Revolution gegen den Tod? Unsere Macht zu töten, unsere Marschflugkörper sind wichtiger. Und selbst wenn es ein Gerücht war, daß auf den abgeworfenen Bomben »Frohe Ostern» gestanden habe, die abgrundtiefe Frivolität dieser Angriffe an den heiligsten Feiertagen der Christenheit ist offenkundig. Die Welt weiß jetzt, welches die wahren Werte der vielbeschworenen Wertegemeinschaft des Westens sind.
Wir kennen die Abwiegelungsstrategien, die diese schmählichen Tatsachen schönreden sollen: es seien realpolitische Zwänge, und der ethnische Säuberer Milosevic habe es zu verantworten, wenn die Verteidiger der Humanität in alternativlose Zwänge gerieten.
Natürlich trifft das zu. Die NATO war in der Zwangslage, das Bombardement nicht stoppen zu können, weil sie genau wußte, daß sie es nach Ostern nicht wieder aufnehmen konnte. Aber so ist es bisher noch immer gewesen, besonders aber in der Geschichte dieses letzten katastrophalen Jahrhunderts. Wer wider besseren Wissens fällige Entscheidungen nicht trifft, findet sich kurz darauf in einer Lage, in der die fälligen für immer unmöglich geworden sind. So war es 1914, so war es 1938 in München, und so war es 1991, als die Jugoslawienfrage sich stellte.
Aber selbst im Frühjahr 1997, als auch in Belgrad wie zuvor in den anderen Ostblockländern die Opposition gegen Milosevic marschierte - was geschah von seiten derer, die heute mit ihrem Bombengetöse als Anwälte der Humanität auftreten? Was haben sie getan, um den Kräften der Demokratie zum Sieg zu verhelfen? Sie haben die Herrschaft des ethnizistischen Barbaren so stabilisiert, daß heute die Mehrheit seiner Landsleute auf seiner Seite steht und ihm zustimmt, wenn er die NATO-Bombardements auf Belgrad mit denen Hitlers von 1941 vergleicht.
Man sollte sich nicht entrüsten, ohne zu fragen, warum der Vergleich so erfolgreich gezogen werden kann? Kommt das nicht daher, weil die, die um Verständnis dafür ersuchen, daß sie humanitäre Hilfe nicht ohne Bombardements leisten können, zuallererst diejenigen sind, die im vorigen Jahr alles getan haben, um dem Internationalen Gerichtshof der UNO so wenig Kompetenzen wie möglich einzuräumen und keinen Finger gerührt haben, damit Verbrecher wie Karadzic oder Mladic diesem Gerichtshof überstellt werden. Und was tun sie jetzt? Sie behaupten, Milosevic sei der Hauptschuldige an allen Säuberungsgreueln seit Beginn der Kriege in Ex-Jugoslawien. Aber warum verhandelten sie dann mit ihm, statt ihn vor den Internationalen Gerichtshof zu bringen? Warum legten sie ihm in Rambouillet einen Vertragsentwurf vor, der schon in seinen Prinzipien ganz Jugoslawien der Hegemonie der NATO unterwirft und es jeder Regierung unmöglich macht, zu unterschreiben?
Die Antwort auf diese Fragen gibt der Kosovokrieg selbst: Die sogenannte »Neue Strategie« der NATO ist in Wahrheit eine nur zu bekannte alte, nämlich die der Breshnewdoktrin, die 1968 von Moskau aus proklamiert wurde, weil es beim Einmarsch in Prag nichts anderes als die Interessen einer Supermacht durchzusetzen galt.
Hat das von der NATO beanspruchte Recht des beliebigen Außerkraftsetzens von nationalen Souveränitäten, wie es schon den Rambouillet-Text kennzeichnet, einen anderen Grund als die der sogenannten »Sicherheitsinteressen« einer Hegemonialpolitik? Denn daß sie die Politik der ethnischen Säuberung nicht verhindert, sondern genau wie im Sommer 1995 in Srebrenica fördert und beschleunigt, das zeigt jedes neue Bombardement im Kosovo.
Die Vergleiche des derzeitigen Belgrad-Bombardements mit denen Hitlers sind schmählich. Aber sie sind eine Erinnerung daran, daß die NATO mit dem Kosovokrieg alle Errungenschaften der Nachkriegspolitik seit 1945 aufs Spiel setzt: die UN-Charta mit ihren Prinzipien der Achtung für internationales Recht und vor allem der Grundregel, daß bewaffnete Gewalt fortan nur noch im gemeinsamen Interesse der Völker eingesetzt werden darf; die Wiener Vertragsrechtskonvention von 1969, nach der Verträge, die durch Gewalt oder Drohung erzwungen werden, von Anfang an null und nichtig sind; die Grundprinzipien der Europäischen Union, den Raum ohne Binnengrenzen als einen Friedensraum zu organisieren, der den Prinzipien von Helsinki 1975 und Paris 1990 zufolge durch die KSZE/OSZE bestimmt wird und darum kein Truppenübungsplatz für Cavalese-Experimente oder Startbahn für Exekutivkorps einer Hegemonialpolitik sein kann. Eine Zukunft hat die NATO allein als Durchsetzungs- und Schutzmacht von Rechten und Regelungen, wie sie durch die UN-Charta oder die OSZE verfügt werden.
Glaubt im Ernst jemand, das Balkanelend der Unterdrückung beherrschter Völker durch beherrschende könnte dadurch beendet werden, daß die NATO die Rolle der Beherrschenden übernimmt? Sollte sie an dieser Doktrin festhalten, kann man jetzt schon vorhersagen, daß das Kosovo für die NATO das werden wird, was Prag 1968 für den Warschauer Pakt wurde: der Anfang vom Ende, auch wenn dieses Ende erst 1989 kam. Für die NATO würde es schneller kommen. Schon deshalb, weil nach diesem Ostern alle Christen wissen, daß sie auf keinen Fall in einer NATO-Armee dienen können, in der die Maxime: »Am Ende haben die besseren Waffen recht!« gelten soll statt der Realpolitik Jesu, der just im Moment seiner Gefangennahme seinen Jüngern das Schwert verbot: »Denn wer das Schwert nimmt, soll durch das Schwert umkommen.«
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