Verlust an Glaubwürdigkeit

Brief von Wolfgang Ullmann Meine Mitgliedschaft bei Bündnis 90/Die Grünen endet, wenn in der Kyritz-Ruppiner Heide die Rückkehr zu einer antiquierten Militärpolitik stattfindet

An den Bundesvorstand
Bündnis 90/Die Grünen
z.Hd. Frau Angelika Beer
Herrn Reinhard Bütikofer
Platz vor dem Neuen Tor 1
10115 Berlin

Das Bundesministerium für Verteidigung hat seine Entscheidung bekannt gegeben, am 18. dieses Monats auf dem Areal Kyritz-Ruppiner Heide die Flugübungen einschließlich von Bombenabwürfen wieder aufzunehmen, die seit der Friedlichen Revolution und dem Abzug der Sowjetarmee beendet worden waren.

Es besteht Anlass, auf die überregionale Bedeutung dieser Entscheidung sowohl ihrer tatsächlichen wie ihrer symbolischen Wirkung wegen hinzuweisen.

Die Bürgerinitiative "Freie Heide" hat seit Jahren demonstriert, warum die anwohnende Bevölkerung die militärische Nutzung dieses Gebietes ablehnt, nachdem die Friedliche Revolution solcher Nutzung ein Ende gesetzt hatte.

Darüber hinaus haben die Osterdemonstrationen "Freie Heide" der Jahre 2002 und 2003 in Verbindung mit der weltweiten Friedensbewegung eine entschiedene Ablehnung des von der derzeitigen US-Administration propagierten und praktizierten sogenannten "Krieges gegen den Terror" zum Ausdruck gebracht. Es ist sinnwidrig, auf Kapitalverbrechen wie die Terroranschläge vom 11.09.2001 mit Kriegserklärungen ohne klare Adressaten, Inhalte und Begrenzungen zu reagieren. Der Terrorismus wird auf diese Weise nicht als Verbrechen verurteilt und vor den zuständigen Internationalen Gerichtshof gebracht, sondern zu einer Krieg führenden Macht aufgewertet, deren Handlungen als kriegerische Aktionen legitimiert sind.

Die internationale Lage seit dem 11. 09. 2001 zeigt denn auch, dass US-Militäraktionen nicht zum Ende des Terrorismus, sondern zu seiner weiteren Globalisierung geführt haben, ganz zu schweigen von der durch den Irak-Krieg bewirkten Zerstörung, Plünderung und Entzivilisierung eines Zentrums der Weltkultur.

Dass die US-Administration es für nötig gehalten hat, mit der Manipulation eines angeblich vom Irak drohenden Nuklearangriffes die Vereinten Nationen, die Weltöffentlichkeit und ihre eigenen Verbündeten über die machtpolitischen Ziele ihrer Kriegspolitik zu täuschen, ist ein weiterer Beweis für die Haltlosigkeit der Rechtfertigungen des sogenannten "Krieges gegen den Terror".

Was aber die militärischen Nutzungspläne für die Kyritz-Ruppiner Heide anbelangt, die mit den Anforderungen eben jenes "Krieges gegen den Terror" begründet werden, so stehen sie im klaren Gegensatz zu allen Zusagen, die der betroffenen Bevölkerung von der Bundesregierung wie von der Landesregierung Brandenburgs gemacht worden sind.

Minister Strucks Anordnung macht seinen Vorgänger Scharping genau wie die beiden Ministerpräsidenten Stolpe und Platzeck und nicht zuletzt sich selbst zu Lügnern.

Und was das Schlimmste ist: Die vor einem Jahr vollzogene Ablehnung des Irak-Krieges durch die Bundesregierung erweist sich jetzt als wahltaktischer Opportunismus, der nunmehr möglichst unauffällig im nachhinein korrigiert werden soll.

Welche Gründe es für die Wählbarkeit einer Partei noch geben soll, die nach dem Verlust ihrer sozialpolitischen Glaubwürdigkeit auch noch die der friedenspolitischen preisgibt, mögen die entscheiden, die sich offenbar im Bündnis mit finanzstarken und kampagnengerechten Lobbys mächtig genug fühlen, den von ihnen nicht benötigten Wählergruppen das ganze Ausmaß ihrer Verachtung zu zeigen.

Wenn ich mich jetzt aber an den Parteivorstand von Bündnis 90/Die Grünen wende, dann deswegen, weil bei den Osterdemonstrationen der "Freien Heide" 2002 Fritz Kuhn und bei der gleichen Gelegenheit 2003 Christian Ströbele ihre Ablehnung einer militärischen Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide unmissverständlich erklärt haben.

Die Bündnisgrünen stehen damit vor der Alternative, die Position von Kuhn und Ströbele jetzt ohne Koalitionsrücksichten zu bekräftigen oder, wie der große Koalitionspartner, die eigene Position zu verleugnen.

Als Mitinitiator der gegen die Machtblockpolitik des Kalten Krieges gerichteten Erklärung "Absage an Prinzip und Praxis der Abgrenzung", als Mitbegründer der Bürgerbewegungen Demokratie Jetzt und Bündnis 90 sowie als energischer Befürworter der Fusion von Bündnis 90 und Grünen, sowie in der Absicht, das von mir bei den Osterdemonstrationen 2002 und 2003 Vertretene auch gegenüber der von der Bundesregierung gefällten Entscheidung zur Geltung zu bringen, fühle ich mich verpflichtet, den Bundesvorstand von Bündnis 90/Die Grünen darauf aufmerksam zu machen, welche Konsequenzen die Verleugnung der bisherigen Ablehnung einer Remilitarisierung der "Freien Heide" hätte.

Wer die Bezeichnung Bündnis 90 im Parteinamen trägt, ist verpflichtet, ob er will oder nicht, die Inhalte und Ziele der Bürgerbewegungen der Friedlichen Revolution auch unter den veränderten Umständen von Neonationalismus, Neokapitalismus und Neoimperialismus zu vertreten. Für diese Bürgerbewegungen aber war Friedenspolitik nicht ein Politikfeld neben anderen, sondern das zentrale, dem alle anderen ein- beziehungsweise unterzuordnen waren. Es musste dies und muss es nach wie vor sein, weil angesichts immer krasserer Defizite sozialer Gerechtigkeit, die die in der Gesellschaft vorhandenen Gewaltpotenziale ständig aufladen, Frieden auf keinen Fall allein außen- oder gar nur militärpolitisch verstanden werden kann. Genau so wenig kann er - wie weithin üblich - durch den Begriff der "Sicherheit" ersetzt oder herabgestuft werden, der je länger desto mehr auf die Sicherheit von Kapitalexpansion und Überproduktion durch Anbieterdominanz hinausläuft.

Frieden, das kann darum nur Expansionsbegrenzung heißen angesichts der Offenkundigkeit der Begrenztheit globaler Lebensgrundlagen, die auch noch künftigen Generationen zur Verfügung stehen müssen.

Dass dies universale, auf Gerechtigkeit gegründete und die Bewahrung von Lebensgrundlagen als Zentralziel verfolgende Konzept von Friedenspolitik keine praxisfremde Utopie ist, sondern ein umsetzbares Konzept der Politik, dafür hat der Erfolg der Friedlichen Revolution in Polen, Ungarn, der DDR und der Tschechoslowakei unwiderlegbare Beweise geliefert. In allen vier Fällen haben die Bürgerbewegungen Diktaturen zu Fall gebracht, die sich auf hochmoderne Waffen stützten und sich mit ihnen hätten verteidigen können.

Die gegen dieses Friedenskonzept gerichteten Diffamierungen - Kritik an einer bestimmten US-Regierung als angeblicher Anti-Amerikanismus; Unterstellung des Sympathisierens mit Terroristen oder diese protegierenden Regime - haben nicht ein einziges Argument beibringen können, das Anlass geben könnte, die gesamten friedenspolitischen Orientierungen zu widerrufen. Schon deswegen nicht, weil alle für den deutschen Vereinigungsprozess relevanten Rechtsgrundlagen sie sich zu eigen gemacht haben.

Unausweichlich stehen Bündnis 90/Die Grünen darum jetzt vor der Frage - und zwar ohne jede Ausweichmöglichkeit auf außen- und bündnispolitische Verpflichtungen -, ob sie das friedenspolitische Renegatentum der letzten Jahre fortsetzen oder zu dem stehen wollen, wozu ihr Name sie verpflichtet. Wenn sie letzteres nicht wollen, dann sollten sie so ehrlich sein, auf den Beisatz Bündnis 90 in ihrem Namen zu verzichten und nicht weiterhin so tun, als ob sie Traditionen verträten, die sie längst hinter sich gelassen haben.

Was meine Person anbelangt, so endet meine Mitgliedschaft bei Bündnis 90/Die Grünen definitiv mit dem Tag, an dem die von Minister Struck angekündigte Rückkehr zu einer antiquierten Militärpolitik auf der Kyritz-Ruppiner Heide Wirklichkeit geworden ist.

Dr. Wolfgang Ullmann

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