1942 wurde der Widerstandskämpfer Rudolf von Scheliha von den Nationalsozialisten hingerichtet. In der Bundesrepublik wurde ihm die Anerkennung lange versagt
Der Hinrichtungsschuppen, in dem von Scheliha starb
Foto: dpa
Die Witwe des am 22. Dezember 1942 in Berlin-Plötzensee gehenkten Widerstandskämpfers Rudolf von Scheliha stellte 1952 einen Antrag auf „Wiedergutmachung“. Das zuständige Entschädigungsamt lehnte ihn ab. Der Betreffende sei kein Widerständler, sondern ein Landesverräter gewesen, hieß es im Bescheid. Diese höchst merkwürdige Sicht machte sich auch das Auswärtige Amt in Bonn zu eigen. Auf einer 1961 am Gebäude des Ministeriums angebrachten Gedenktafel für Diplomaten, die wegen ihres Widerstands dem NS-Regime zum Opfer fielen, fehlte der Name Rudolf von Scheliha. Dies kam einer „damnatio memoriae“ – einer Verdammung des Andenkens – gleich. Warum traf sie Rudolf von Scheliha?
Der 1897 Geborene war na
ene war nach Schulzeit, Kriegsdienst und Studium in den Auswärtigen Dienst eingetreten. Nach Stationen in Prag, Istanbul und Kattowitz kam von Scheliha 1932 an die deutsche Botschaft in Warschau und unterhielt Kontakte zu polnischen Politikern, die er auch nach dem deutschen Überfall im September 1939 und der anschließenden Okkupation nicht abbrach. Einige warnte er vor drohender Verhaftung und ermöglichte ihnen so die Flucht ins rettende Exil. Darunter waren auch einige Juden.Von Ende 1939 bis zu seiner Festnahme durch die Gestapo im Oktober 1942 war von Scheliha in der Informationsabteilung des Auswärtigen Amtes in Berlin tätig, beauftragt mit der Abwehr der sogenannten Gräuel-Propaganda der Alliierten. Gemeint waren unter anderem Berichte über die von der Wehrmacht, SS und Polizei verübten Verbrechen an Juden und Polen. Die ihm amtlicherseits zugetragenen Informationen über Deportationen und Massenerschießungen gab von Scheliha direkt an den polnischen Widerstand weiter. Die Exilregierung in London sah sich dadurch in die Lage versetzt, eine Anklageschrift zu verfassen, die unter dem ironisch gemeinten Titel The Nazi Kultur in Poland gedruckt und 1945 im Vorfeld des Nürnberger Tribunals gegen die Hauptkriegsverbrecher auch Chefankläger Robert Jackson wertvolle Dienste leistete. Erste, präzise Auskünfte über den Judenmord und die Euthanasie-Aktionen hatte von Scheliha auch an den Schweizer Carl Jacob Burckhardt weitergegeben, von 1937 bis 1939 Hoher Kommissar des Völkerbundes in Danzig. Mit anderen Worten, bei Rudolf von Scheliha handelt es sich um den in vielen Arbeiten über den Holocaust erwähnten geheimnisvollen „deutschen Diplomaten“, der das NS-Staatsgeheimnis „Endlösung der Judenfrage“ gelüftet hat. Das war kein Landesverrat, sondern Widerstand.Von den Sowjets verraten?Auf Reisen durch Deutschland und in die Schweiz fand der Diplomat schließlich Kontakt zu Widerstandskreisen, die ein Attentat auf Adolf Hitler planten. Dieser Teil seiner konspirativen Tätigkeit ist vom Reichssicherheitshauptamt niemals aufgedeckt worden. Von Scheliha verschwieg es trotz verschärfter Verhöre, bei denen er gefoltert wurde. Zum Verhängnis wurde ihm jedoch der Kontakt mit einigen Angehörigen einer Widerstandsgruppe, die von der Gestapo als „Rote Kapelle“ bezeichnet wurde.Dazu gehörten der Journalist Rudolf Herrnstadt (in den fünfziger Jahren Mitglied des SED-Politbüros) sowie die Sekretärin Ilse Stöbe, die beide den sowjetischen Geheimdienst (NKWD) mit Material versorgten, was von Scheliha nicht bekannt war. Dass nun die Gestapo bei ihren Ermittlungen gegen die „Rote Kapelle“ auf ihn aufmerksam wurde, ging möglicherweise auf die gewollte oder ungewollte Mithilfe des NKWD zurück. Und das kam so: Im Sommer 1942 wurde von Moskau aus der Agent Heinrich Koenen mit dem Auftrag nach Deutschland entsandt, Ilse Stöbe aufzusuchen und ihr weiteres Informationsmaterial zu übergeben. Dazu zählten Überweisungsbelege auf ein Schweizer Konto von Schelihas. Sie fielen der Gestapo in die Hände, als Koenen und Stöbe verhaftet wurden, und waren der Grund für die Festnahme des Diplomaten. Lag dem nur eine schier unglaubliche Schlamperei des sowjetischen Dienstes zugrunde? Oder wurde etwas nachgeholfen, damit von Scheliha in die Hände der Gestapo fiel? Für diese Vermutung spricht die Tatsache, dass die Sowjets über dessen Kontakte zum polnischen Exil unterrichtet, aber keineswegs erfreut waren. Mit diesen Netzwerken wollten sie nichts zu tun haben, galt die Exilregierung in London doch als ausgesprochen antisowjetisch. Weshalb 1944 unter anderem der Warschauer Aufstand von Moskau nicht unterstützt wurde.So kam es, dass Rudolf von Scheliha am 29. Oktober 1942 direkt aus seinem Büro im Außenamt in die Gestapo-Zentrale an der Berliner Prinz-Albrecht-Straße gebracht wurde. Die Spuren der dortigen Misshandlungen sind auf den für die Gestapo-Kartei aufgenommenen Fotos gut zu erkennen. Von Scheliha stritt alles ab – er habe sich niemals des Landesverrats schuldig gemacht und sei erst recht kein bezahlter Spion in den Diensten einer feindlichen Macht gewesen. Auf Generalrichter Manfred Roeder, Ende 1942 Ankläger im ersten Prozess gegen Mitglieder der „Roten Kapelle“, machte das keinen Eindruck. Auf Roeders Antrag hin wurde von Scheliha am 14. Dezember 1942 von Richter Alexander Kraell zum Tode verurteilt und acht Tage später hingerichtet – das bedeutete, im Todesschuppen von Plötzensee an einem Fleischerhaken aufgehängt und qualvoll erdrosselt zu werden.In der DDR geehrtIn der gleichen Nacht starben Harro Schulze-Boysen, Arvid Harnack, der Bildhauer Kurt Schumacher, John Graudenz, Horst Heilmann, Hans Coppi, Kurt Schulze, Ilse Stöbe, Libertas Schulze-Boysen, Elisabeth Schumacher – also der innere Kreis der „Roten Kapelle“.In der DDR wurden diese Widerstandskämpfer von Anfang an geehrt, nicht so im Westen Deutschlands. Hier galten sie als Landesverräter und Spione der Sowjetunion. Ihre Verurteilung sei rechtens gewesen, meinten nicht zuletzt Richter und Staatsanwälte des nationalsozialistischen Unrechtsstaates, die ihre Karriere im bundesrepublikanischen Rechtsstaat fortsetzen konnten. Sie unternahmen, was möglich war, um die Rehabilitierung ihrer Opfer zu verhindern. Dabei taten sich die Mörder von Schelihas – die Juristen Kraell und Roeder – besonders hervor. Ihrem Gutachten war es zu verdanken, dass der Antrag auf Wiedergutmachung, den die Witwe von Schelihas gestellt hatte, abgelehnt wurde. Ihr blieb auch die Auszahlung eines Witwengeldes mit der Begründung verwehrt, dass ihr Mann vor der Hinrichtung seinen Beamtenstatus verloren habe.Marie Louise von Scheliha gab nicht auf und bat 1956 Bundespräsident Theodor Heuss um die „Gewährung eines Gnadenerweises“, dem letzten Endes stattgegeben wurde. Was sich daraus ergab, war ein „jederzeit widerruflicher Unterhaltsbeitrag in Höhe des gesetzlichen Witwengeldes“. Damit war sie schlechter gestellt als die Witwen vieler verurteilter NS-Täter, die in den Genuss der vollen Pension ihrer Männer kamen. Die inzwischen hoch betagte und verarmte Marie Louise von Scheliha wollte das nicht einsehen und bat deshalb 1993 das württembergische Landesamt für Besoldung und Versorgung um die Auszahlung der vollen Ruhestandsbezüge. Doch wurde dieses Ansinnen mit der Begründung verworfen, dass Rudolf von Scheliha in einem „ordnungsgemäßen Verfahren“ zum Tode verurteilt worden sei.Diese skandalöse Entscheidung des württembergischen Landesamtes wurde dann allerdings 1995 vom Kölner Verwaltungsgericht kassiert und Rudolf von Scheliha endlich rehabilitiert. Erst jetzt fand sich auch das Auswärtige Amt bereit, ihn zu ehren. Sein Name stand auf einer Gedenktafel, die ebenfalls im Jahr 1995 enthüllt wurde – 50 Jahre nach der Befreiung Deutschlands vom Faschismus. Ein halbes Jahrhundert hatte es gedauert, bis Rudolf von Scheliha die Anerkennung zuteil wurde, die er verdiente.
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