Die Leguane auf Guantánamo haben mehr Rechte als die Gefangenen im Gulag unserer Tage. Da sie unter Naturschutz stehen, muss man auf den Straßen des US-Stützpunktes unter einer Geschwindigkeit von 40 Stundenkilometern bleiben, um sie nicht zu gefährden. Wenn durch Eile, Unaufmerksamkeit oder Grausamkeit irgendeines Soldaten diese Begrenzung nicht respektiert und eines der Tiere überfahren wird, muss der Rechtsbrecher 10.000 Dollar Strafe zahlen.
Am Ufer der Karibikidylle liegt ein Haftzentrum, in das seit fünf Jahren etwa 800 Personen aus der Welt entführt wurden. "Mehr oder weniger 430 Gefangene sind jetzt noch hier - der Rest wurde freigelassen", sagt geheimnisvoll General Leacock, zweiter Mann in der Befehlshierarchie der Albtraum-Szenerie, die Guantánamo ist.
Keine Fotos. Kein Aufnahmegerät. Die Namen der Anwesenden dürfen nicht verwendet werden. Beim Betreten des Saals sind nur Schreibpapier und Kugelschreiber gestattet. Die Akkreditierungskarte ist draußen zu lassen, damit der Gefangene dich nicht identifizieren kann. Die Justizparodie, die in Guantánamo abläuft, wird gleich beginnen. Die Eingangstür zum Saal zeigt an: "Verhandlung läuft".
Drinnen ist alles bereit. Der Lehnstuhl des Richters. Der Tisch für die Verteidigung, der Tisch für die Anklage. Der Platz für die Presse. Zusätzliche Sitzplätze für die Zeugen. Die Wände sind weiß, es gibt keine Fenster, draußen kann es Tag oder Nacht sein. Es ist Tag draußen, und es ist heiß, das ist Cuba. Drinnen ist es kalt. Die Klimaanlage bewirkt, dass die Zähne klappern und die Papierblätter hochfliegen. In jeder Ecke gibt es eine Kamera, die den Prozess aufzeichnet und deren Bilder sich andere Militärs oder Geheimagenten in einem angrenzenden Raum ansehen. Alles unter der Fahne der Vereinigten Staaten.
"Aufstehen", ruft ein Oberleutnant der Marine in militärischem Ton. Der Gefangene erhebt sich, korpulent (die tägliche Verpflegung in GITMO - das ist die Abkürzung der Nordamerikaner für das lange und kompliziert auszusprechende Wort Guantánamo - umfasst 4.200 Kalorien, was angesichts minimaler körperlicher Bewegung dick macht), mit langem Bart, ein 27-jähriger Afghane, über dessen Namen die Militärs erneut völlige Diskretion fordern, zur der man sich zuvor per Unterschrift verpflichten muss.
Der Dolmetscher, der den Gefangenen zu vertreten hat, erhebt sich. Und die beiden einzigen Journalisten, denen die Gnade zuteil wird, dem Zirkus beizuwohnen, erheben sich.
"Dieses Gericht beginnt seine Sitzung", versichert feierlich ein weiblicher Marinekapitän, der gerade den Saal betreten hat und dessen Aufgabe es ist, den Richter abzugeben. Mit Ausnahme des Gefangenen, der Journalisten und des Dolmetschers spielen alle anderen Personen, die den Raum bevölkern, nur die eine Rolle - sie sind Militärs, die bestimmte Figuren darstellen.
Kurz zuvor haben zwei sehr junge Soldaten - eine Frau und ein Mann - in Marineuniform mit grünen aseptischen Plastikhandschuhen an den Händen den Raum verlassen. Sie hatten den Gefangenen übergeben und ihn mit den Ketten, die seine Fußknöchel umspannen, an den Boden gefesselt. Alles ist millimetergenau vorgegeben: Der Gefangene hat sich auf einen gewöhnlichen weißen Plastikstuhl zu setzen - "der weder für ihn noch für die übrigen eine Gefahr darstellt", sagt Kapitän Waddingham, der die beiden Journalistinnen instruiert, was sie im weiteren zu sehen bekommen. Auf dem Boden gibt es einen Metallring, an dem man den Gefangenen so festmacht, dass sein Bewegungsspielraum gleich null ist. Die gefesselten Hände presst er gegen seinen Schoss. Seine Kleidung ist weiß. Das bedeutet, dass der Grad seiner "Schlechtigkeit", den die US-Militärs auf Guantánamo festlegen, im unteren Bereich liegt. Wird ein Gefangener als gefährlicher eingestuft, ist die Farbe seiner Kleidung camel. Orange müssen diejenigen tragen, die auch nach Jahren der Gefangenschaft ihren Willen nicht aufgegeben haben.
Wem "gute Führung" bescheinigt wird in Guantánamo, bekommt eine Zahnbürste, Toilettenpapier, Seife, Shampoo, Laken, Decken und Unterwäsche. Die Rebellischen müssen sich die Zähne mit dem Finger säubern, man gestattet ihnen einen Papierstreifen, damit sie sich den Hintern abwischen können - sie schlafen auf einem harten Feldbett. Denjenigen, die versucht haben, sich das Leben zu nehmen, hat man eine Zwangsjacke angelegt, eine dunkelgrüne, auf den nackten Körper. Es gibt allerdings in allen Zellen - ob besondere Strafzellen oder nicht - ein aufgedruckter Pfeil, der nach Mekka weist.
Zurück zum "Prozess": Das zu einem Knoten zusammengebundene Haar spannt die Gesichtshaut, die Uniform ist tadellos gebügelt, eine gigantische Brille verdeckt fast das halbe Gesicht. Es ist der weibliche Marinekapitän, dem man das Textbuch des Richters gegeben hat. In dem Ordner aus weißer Plaste verfügt sie damit über jedes einzelne der Worte, die sie von diesem Moment an sagen wird. Genauso wie der Dolmetscher, dem der Text in paschtunischer Sprache vorliegt. Für die Schauspieler-Militärs ist nichts spontan. Für den Gefangenen muss dies ein solcher Albtraum sein, dass ihm alles, was passiert, nur als surreal erscheinen kann.
"Schwören Sie, dass das, was Sie sagen werden, die Wahrheit ist, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit?", fragt der Marinekapitän auf englisch. Sofort stellt der Dolmetscher, ein Afghane mit US-Pass, den die Regierung der USA für die Arbeit in Guantánamo ausgestellt hat, die Frage in paschtunischer Sprache. Sehr leise, mit Geduld, antwortet der Angeklagte: "Ich habe es schon zweimal geschworen, ich schwöre es erneut."
Zweimal schon. Seit er vor fünf Jahren durch die US-Armee bei deren Kampf gegen den Terrorismus in Afghanistan gefangen genommen wurde, hat der Mann mit dem nicht zu enthüllenden Namen schon zweimal vor denen gesessen, die über Gefangenschaft oder Freiheit entscheiden. Bei den vorangegangenen Gelegenheiten müssen seine Richter geglaubt haben, dass er sich nicht gebessert hat, denn er ist weiter hier und sitzt erneut dieser Farce von einem Gericht gegenüber.
"Ja oder nein?", hakt ungeduldig ein anderer hoher Militär nach, gleichfalls von der Marine. Der Dolmetscher gibt die Frage mit einem nervösen Lachen weiter, verziert mit der Empfehlung, dass er "ja" oder "nein" antworten und es schnell zu Ende bringen solle.
Schließlich kommt das "Ja" - der Angeklagte schwört es "bei Allah".
Dann die nächste Frage: "Gehörten Sie al Qaida, der terroristischen Bande Osama bin Ladens, an?"
Antwort: "Als die Taliban kamen, flohen wir nach Pakistan...."
"Ja oder nein?", erneut der Militär, der nur Zustimmung oder Verneinung verlangt. Und wieder der Dolmetscher, unruhig, fast erschrocken, mit gerötetem Gesicht, der seinem "Klienten" zu raten versucht.
Das Resultat seiner Vermittlung: "Nein".
Frage: "Warum glauben Sie, dass Sie keine Gefahr mehr für die Vereinigten Staaten sind?"
Antwort: "Ich wiederhole zum dritten Mal, dass ich nie ein Wort gegen Amerika gesagt habe, ich bin ein Freund Amerikas und der Amerikaner."
Eine halbe Minute lang tauscht der Angeklagte - der nicht weiß, wessen man ihn beschuldigt, weil man ihm nie eine Anklage vorgelegt hat, weil niemals vor einem Anwalt eine legale Klage gegen ihn eingereicht wurde (nur für zehn Guantánamo-Gefangene gibt es ein offenes Verfahren), weil er niemals einen eigenen Anwalt zur Seite hatte - einen Blick mit der Journalistin. Er weiß genau, wenn er heute nicht überzeugt, muss er ein weiteres Jahr warten, bis sein Fall erneut untersucht wird. Er sieht nach beiden Seiten und begreift, dass er allein ist. Nichts und niemand ist auf seiner Seite. Neben den beiden Reporterinnen und dem Dolmetscher ist er der einzige Zivilist im Raum. Gegenüber sieben Militärs, von denen einer große Mühe hat, nicht einzuschlafen an diesem trägen cubanischen Nachmittag. Es gibt keine Zeugen. Es gibt keine Anwälte. Sein Blick besagt, ihm sei klar, dass er in dem schwarzen Loch, das Guantánamo heißt, Gefangener bleiben müsse; sein Leben lang oder bis die neue Ordnung, die Präsident George Bush installiert hat, zusammenbricht.
"Ich bin unschuldig", schafft er zu sagen. "Ich bin unschuldig". Und erneut versucht er, einen Blick zu finden, der außerhalb dieser vier Wände von seiner Tragödie erzählen könnte.
Der Marinekapitän mit dem straffen Haarknoten betrachtet ihn. Und erklärt: "Dieses Gericht wird entscheiden. Die Sitzung ist aufgehoben." Mit martialischem Schritt verlässt sie den Raum. Welche Sitzung, wenn es keinen Prozess gibt? Welches Gericht, wenn es keine Justizbeamten gibt? Welche Strafe, wenn es keine Anklage gibt?
"Niemand hat ihm geglaubt", bemerkt der Soldat mit den grünen Handschuhen zu einem Serganten, als er den Gefangenen vom Fußboden losmacht und ihn langsamen Schrittes - so wie die kurzen Ketten, die seine Knöchel peinigen, es erlauben - bis zu seiner Zelle bringt.
Was niemand glauben würde, selbst wenn er es sehen könnte, ist das, was an diesem Donnerstagachmittag zwischen 13.00 und 14.27 Uhr auf dem Marinestützpunkt Guantánamo geschehen ist. Geschehen in einem weißen Saal, an dessen Eingangstür man eigentlich hätte lesen müssen "Verhandlungs-Farce läuft".
General Leacock meint dazu: "Ich werde Ihnen die Schlagzeile des heutigen Tages liefern, sie lautet: Auf der Welt gibt es kein transparenteres Internierungslager als das in Guantánamo!"
So transparent, dass der Tadschike Ulabedin Meroschew, wie er dem Dolmetscher sagt, seit fünf Jahren sein Gesicht nicht gesehen hat. Stellen Sie sich nur für einen Moment vor: Fünf Jahre, ohne sich im Spiegel ansehen zu können. Fünf Jahre in einem Gefangenenlager, Tausende Kilometer von der Heimat entfernt. Fünf Jahre ohne Rechte.
Man muss noch einmal daran erinnern, dass seit Errichtung des Gefangenencamps Anfang 2002 im Namen des Krieges gegen den Terrorismus mehr als 800 Personen, darunter Minderjährige, durch diese Zellen gegangen sind. Dass etwa 430 nach wie vor interniert sind. Dass es ständig Klagen über physische und psychische Folter gegeben hat. Dass die Genfer Konvention verletzt und pervertiert wird, weil die Militärs sie als Vorwand benutzen, um Fotos zu verbieten. Man muss daran erinnern, denn geschieht dies nicht, könnte nach der Besichtigungstour, die das US-Heer anbietet und mit Zahnklinik sowie Harry-Potter-Büchern in arabisch ausschmückt, der Eindruck entstehen, man sei in einem Erholungslager am Strand der Karibik gewesen.
Übersetzung: Paula Figueroa. Wir danken der spanischen Zeitung El País für die Erlaubnis zum Nachdruck dieses Textes.
Die Stunde des Gebets
Lager V ist das neueste Internierungszentrum in Guantánamo, das die US-Militärs eingerichtet haben. Kalt wie Stahl, aseptisch wie ein Leichenschauhaus, uneinnehmbar wie eine Festung. Ein Marine nennt die Qualitäten: "Kapazität für 100 Inhaftierte. Spitzentechnologie. Kameras in jeder Zelle. Gebaut nach dem Hochsicherheitsgefängnis von Indiana." Wenn sich die automatische Tür, die das Gefängnis von der Straße trennt, schließt, fühlt man sich lebendig begraben und möchte fliehen. Für den Besucher dauert das nur fünf Minuten. Die gespenstischen Gestalten in den drei mal vier Meter großen Zellen ertragen es seit fünf Jahren. "Señora, Sie dürfen nicht hinter mir sein", sagt der Wachposten im Lager V. "Sie dürfen weder meine Soldaten noch das Kontrollzentrum meines Gefängnisses fotografieren." Schauderhaft, der Gebrauch des Possessivpronomens. "Sie können den Armstuhl für die Verhöre fotografieren." Zu Füßen des mit Samt bezogenen Armstuhls wachsen einige Fesseln aus dem Fußboden, die dem Gefangenen beim Verhör angelegt werden. Es ist der erste Raum am Gang. Danach folgen die Zellen. Wenn die Tür einer Zelle verschlossen wird, ist der Käfig regelrecht versiegelt. Das verhindert die unangenehmen "Cocktails", die Gefangene für die Wächter vorbereiten - Urin und Exkremente. Nur die Mauer, die die Verzweiflungsschreie schluckt, hat man noch nicht gebaut in Guantánamo. Es ist die Stunde des Gebets. Zwischen den arabischen Gebeten schreit ein Gefangener, als er die Anwesenheit der Journalisten bemerkt, in einem mühseligen Englisch: "Man belügt Sie". Yolanda Monge
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