Das Lachen der Minderheit

Afghanistan Der Bundestag hat das deutsche Kriegsmandat verlängert. Es ist die Entscheidung einer politischen Parallelgesellschaft, die zeigt, was sie von der wahren Mehrheit hält

Über den Ausgang der Entscheidung (hier die Liste der namentlichen Abstimmung) hatte es vorher keinen Zweifel gegeben: Die deutschen Soldaten bleiben ein weiteres Jahr in Afghanistan, der Kriegseinsatz, um den so viel Wortakrobatik betrieben wird, damit er nicht so genannt werden muss, geht weiter. Fortsetzung findet damit auch der politische Autismus einer Minderheit, die sich für eine Mehrheit hält: 446 Abgeordnete votierten für eine Verlängerung, 148 Parlamentarier stimmten dagegen oder enthielten sich.

Man musste sich diese Nachmittagsdebatte im Reichstag nicht ansehen, um die Argumente beider Seiten zu erfahren. Sie sind längst und immer wieder ausgetauscht. Dabei hat sich im Parlament über die Jahre eine politische Parallelgesellschaft etabliert, die – zwar in wechselnden Konstellationen aber mit gleichen Argumenten – „deutsche Interessen“ ins Werk zu setzen vorgibt.

Weil allerdings an einen Erfolg dieses Krieges, worin immer der auch bestehen könnte, in Wahrheit niemand mehr glaubt, wird umso lauter das Lied des zivilen Aufbaus gesungen, je deutlicher wird, dass ein solcher gar nicht mehr stattfindet. Der Selbstbetrug treibt Blüten, beschert dem Publikum aber immerhin Einsicht in die Denkwelt der „Volksvertreter“. Zum Beispiel des FDP-Abgeordneten Rainer Stinner, der am Donnerstag erklärte, man wolle und könne es „nicht zulassen, dass dieses Land wieder in die Steinzeit zurückgebombt wird“. Deshalb muss ein Krieg weitergehen? Ist das die Logik?

Was auch immer Stinner sagen wollte – jenen, die nicht erst seit dem tödlichen Luftschlag auf die Tanklastzüge einen Abzug deutscher Truppen fordern, warf der liberale Außenpolitiker Verantwortungslosigkeit vor und unterstellte, ihnen sei „das Schicksal von Millionen Menschen völlig egal“. Das zielte vor allem auf die Linkspartei, traf aber auch jene 78 Abgeordneten von Union, FDP, SPD und Grünen, die der Mandatsverlängerung ebenfalls nicht zustimmen wollten.

Stinners Rede provozierte zwei Kurzinterventionen, die in der Berichterstattung so wenig eine Rolle spielten, wie die Debatte des Parlaments insgesamt in allen Nachrichten hinter der so genannten Neubewertung des Kunduz-Bombardements durch den Verteidigungsminister zum Verschwinden kam. Erst verbat sich der Linkspartei-Abgeordnete Wolfgang Gehrcke den Vorwurf, seiner Partei würden die Menschen gleichgültig – und er tat dies auf eine Weise, die mancher Kritik, nach der es sich die Linke zu einfach machen würde, den Boden entziehen müsste.

Gleich darauf trat Hans-Christian Ströbele ans Mikrofon und wies auf die Mehrheiten außerhalb des Parlaments hin, auf das, was die Bevölkerung von dem Bundeswehreinsatz hält. In einer aktuellen Befragung haben sich sieben von zehn für einen schnellstmöglichen Abzug ausgesprochen. Man kann es drehen und wenden wie man will: Das Abstimmungsergebnis vom Donnerstag kehrt diese Verhältnisse in ihr Gegenteil um.

Er spreche für die Menschen in seinem Wahlkreis in der Mitte Berlins, sagte Ströbele, und er maße sich an, „zu sprechen für die Mehrheit der deutschen Bevölkerung“. Was die „Mehrheit“ im Bundestag davon hält, wenn man sie an den Kerngedanken des Prinzips repräsentativer Demokratie erinnert, war bis in die obersten Reihen der Besuchertribünen des Parlaments zu hören: Die Abgeordneten der Regierungsparteien haben laut gelacht.

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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